Während es in der Partei kräftig brodelt, hat Franz Müntefering angekündigt, dass er im November erneut für den SPD-Vorsitz kandidieren wird.

Berlin. Wer nicht hören will, muss fühlen, sagt ein altes Sprichwort. Und wer nicht wählen geht, soll zahlen. 50 Euro. Sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörn Thießen. Seine Begründung gegenüber der "Bild"-Zeitung: "Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen - das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen."

Das ist bislang die bizarrste Angstblüte, die die Europawahl vom Sonntag getrieben hat, bei der die Sozialdemokraten eine schwere Niederlage einstecken mussten. In der Partei brodelt es. Und mit der von Parteichef Franz Müntefering ausgegebenen Losung, dass man dieses Mal nur "Mobilisierungsprobleme" gehabt habe, sind keineswegs alle einverstanden.

Die Parlamentarische Linke in der SPD forderte gestern energische Kurskorrekturen. "Unser Markenkern, die soziale Gerechtigkeit, muss wieder stärker herausgestellt werden", sagte ihr Sprecher Ernst Dieter Rossmann der "Rheinischen Post". Die Partei müsse in den nächsten Wochen ein Sozialpaket auflegen. "Wir müssen alle sozialen Investitionen bündeln und offensiv in den Vordergrund stellen", so Rossmann. Dazu gehörten die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze für Kinder, ein flexibler Übergang in die Rente mit 67 und neue Investitionsprogramme für Bildung. Die staatlichen Hilfen für die Unternehmen müssten solidarisch finanziert werden, sagte Rossmann. Er forderte die Einführung einer Börsenumsatzsteuer und eine Zwangsanleihe für Reiche.

Wenn es nach Ottmar Schreiner geht, muss jetzt die komplette SPD-Politik auf den Prüfstand gestellt werden. "Die Generallinie der Sozialdemokraten stimmt nicht", sagte der Chef des Arbeitnehmerflügels der "Nordwest Zeitung". Den Sozialdemokraten seien ganze Wählerschichten langfristig abhandengekommen. Schreiner machte die Agenda 2010 dafür verantwortlich - "Hartz IV ist ein Thema mit negativer Fernwirkung für die SPD!" - und brachte die von den Parteilinken bereits mehrfach vergeblich geforderte Einführung einer Vermögensteuer wieder in die Diskussion.

Aus Bayern meldete der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Florian Pronold, die Stimmung vieler Genossen sei "verzweifelt". "Wir haben einen Tiefschlag bekommen und sind jetzt in Atemnot", sagte Pronold der "Passauer Neuen Presse". Und er fügte hinzu, statt zur Tagesordnung überzugehen, brauche die SPD jetzt "ein klares Nein zum schwarz-gelben Glauben an die Selbstheilungskräfte des Marktes und deren Privatisierungswut".

So sieht das auch die stellvertretende Parteivorsitzende Andrea Nahles. Nahles sagte im Interview mit Deutschlandradio Kultur, die SPD müsse im Wahljahr deutlich machen, "dass es um eine Zeitenwende geht, dass wir nicht mehr wollen, dass ein unregulierter Markt und Steueroasen die nächste Krise vorprogrammieren".

Parteichef Franz Müntefering hat unterdessen angekündigt, dass er im November erneut für den SPD-Parteivorsitz kandidieren wird und ein anderes Amt - etwa den Fraktionsvorsitz im Bundestag - nicht anstrebt. Sollte die SPD in der nächsten Bundesregierung den Kanzler stellen, würde sie wieder von einer "Troika" aus Kanzler, Parteichef und dem Nachfolger des ausscheidenden SPD-Fraktionschefs Peter Struck geführt, sagte Müntefering der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Ich bin Parteivorsitzender. Ich lebe gut damit. Das ist für mich leichter als damals, als ich Fraktionsvorsitzender war und den Parteivorsitz dazu übernahm. Das war eine sehr anstrengende Sache. Jetzt habe ich mehr Zeit, mich auf diese Aufgabe zu konzentrieren. Das tut der SPD gut. Ich habe keine anderen Ambitionen." Ob sich SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier im Bundestags-Wahlkampf mit einer Führungsmannschaft umgeben wird, steht nach Angaben Münteferings noch nicht fest.

Müntefering kritisierte erneut Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie habe es zum wiederholten Mal zugelassen, dass gemeinsame Beschlüsse von einzelnen Ministern nicht mitgetragen würden, sagte der SPD-Chef mit Blick auf die Haltung von Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im Fall Opel. "Das schadet der Demokratie", sagte Müntefering. Die SPD werde sich auch im Wahlkampf "nicht aus dem Staub machen. Merkel und Guttenberg hoffentlich auch nicht".