Berlin. Die Regierung will mit neuem Gesetz die Bundespolizei und ihre Kontrolle neu aufstellen. Hinter den Kulissen ringen die Fachleute.

Wir schreiben das Jahr 1994: Helmut Kohl regiert im Bundeskanzleramt. Mobiltelefone sind in Deutschland ein recht neues Phänomen, Smartphones Zukunftsmusik. Es gibt keine verschlüsselten Messengerdienste, Drohnen lassen sich nicht im Internet bestellen. Damals tritt das Bundespolizeigesetz in Kraft, es regelt die Aufgaben, Befugnisse und Zuständigkeiten der noch Bundesgrenzschutz genannten Truppe in der damaligen Welt.

Bis heute wurde es kaum reformiert, nur einzelne Vorschriften geändert. Doch die Sicherheitslage ist eine völlig andere. Verbrecher agieren globaler, sie sind online vernetzt. "Kriminelle arbeiten mit neuester Technik – die Verbrechensbekämpfung sollte dies auch können", sagt der Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion Dirk Wiese.

Doch wenn Polizisten Drohnen und Bodycams einsetzen, aber auch Personen technisch überwachen, wachsen auch Sorgen und Ängste – gerade auch, weil der aktuelle Fall der Reichsbürger-Razzia zeigt, dass einzelne Beamte im Dienst mit Verschwörungsideologien auffallen.

Wachsende Bedrohungen, mächtige Technik einerseits, aber auch höhere Anforderungen an Datenschutz und Transparenz – es ist das Spannungsfeld, in dem nun Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein neues Gesetz für die rund 50.000 Beamtinnen und Beamte vorlegen will. Fast 30 Jahre nach Kohls Vorlage.

Was darf die Polizei?

"Die Novelle des Bundespolizeigesetzes ist auch eine Richtungsentscheidung für die Zukunft der Bundespolizei", sagt die Innenexpertin der Grünen, Irene Mihalic. Die Pläne für ein neues Gesetz sind weit, ein Entwurf liegt unserer Redaktion vor. "Das ist mehr als ein Update: Wir erneuern das Gesetz ordentlich", verspricht Faesers Parteikollege Wiese. Doch hinter den Kulissen wird noch gerungen, wie viel Macht die Polizisten an Bahnhöfen, Flughäfen und Grenzen bekommen sollen. Schon in der vergangenen Regierungszeit unter der Großen Koalition war ein neues Polizeigesetz am Widerstand der Länder gescheitert.

Eigentlich sollte nun das Gesetz der neuen Regierung noch in diesem Jahr vom Kabinett beschlossen werden, nun wird es Januar. Und auch Datenschützer und Verbände wollen den Entwurf dann noch prüfen, die Debatten können zäh werden.

Neues Gesetz: Das sind die Knackpunkte

Faeser will die Bundespolizei bemächtigen, auch präventiv Mobiltelefone zu überwachen und den Standort orten zu können. "Die präventive Telekommunikationsüberwachung soll eine Erkenntnislücke der Bundespolizei schließen" und sich gegen Personen richten, von denen eine "dringende Gefahr" ausgehe, heißt es in einem Gesetzentwurf des Innenministeriums, der unserer Redaktion vorliegt.

Als Beispiele für eine präventive Überwachung oder die Ortung eines Standortes werden etwa Bombendrohungen gegen Bahnhöfe und Flughäfen, ein Grenzübertritt von Extremisten oder ein möglicher Anschlag sein. Drohungen gegen Anlagen der Bahn oder Luftverkehr kommen etwa siebzig Mal pro Jahr vor, heißt es in dem Gesetzentwurf.

Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Innern und Heimat, will mehr Befugnisse, aber auch mehr Kontrolle für die Bundespolizei.
Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Innern und Heimat, will mehr Befugnisse, aber auch mehr Kontrolle für die Bundespolizei. © dpa | Michael Kappeler

Für die Gewerkschaft der Polizei (GdP) geht der Entwurf nicht weit genug. Es sei eher ein "Novellinchen" als eine Novelle, sagt Vorstandsvorsitzender für den Bereich der Bundespolizei, Andreas Roßkopf, unserer Redaktion. "Es fehlt die Möglichkeit, in besonders schweren Verbrechensfällen auch Online-Durchsuchungen einzusetzen und verschlüsselte Messengerdienste zu überwachen. Hier muss die Politik dringend nachsteuern." Roßkopf blickt hier vor allem auf die gestiegene Gefahr durch Terrorismus.

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Zum Einsatz sollen vermehrt auch Drohnen kommen. "Die Möglichkeit, Drohnen zur Aufklärung rechtssicher einsetzen zu können und Drohnen abwehren zu können, gehört dazu, um auf Augenhöhe zu sein", sagt SPD-Fraktionsvize Wiese. Das neue Gesetz soll es der Bundespolizei ermöglichen, Drohnen mit technischen Mitteln aufspüren und gegebenenfalls vom Himmel holen zu können.

Die Kosten für entsprechen Abwehrsysteme mittels Laser, elektromagnetischer Impulse oder Störung des GPS-Signals werden mit 4,5 Millionen Euro kalkuliert. Für die Bundespolizei selbst habe der Einsatz von Drohnen und die Übertragung von Livebildern einen "einsatztaktischen Mehrwert", um Gefahrenlagen an Bahnhöfen, Gleisen oder Flughäfen zu analysieren, heißt es in Faesers Entwurf.

Doch die Überwachung von Handys ist datenschutzrechtlich heikel, der Bundesdatenschützer prüft den Fall. Auch der Drohnen-Einsatz durch die Polizei ist rechtlich umstritten. Die Bundespolizei setzt sie schon in Teilen ein – ohne eine klare gesetzliche Regelung. Dabei erzeugen "Kameradrohnen ein Gefühl des Überwachtwerdens", wie ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags festhält. Dies könne einen "Einschüchterungseffekt" auf Menschen haben, die Fachleute sprechen von einer „hohen Eingriffsintensität“.

FDP-Politiker Kuhle sagt, dass die Abwehr von Drohnen etwa an Flughäfen wichtig sei. Aber: "Der Einsatz von Drohnen bei Versammlungen ist nicht Aufgabe der Bundespolizei." Und Bodycams sollten nicht zum Einsatz in Privatwohnungen kommen, so Kuhle.

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Mehr Personal, mehr Technik für komplexe Ermittlungen

Grünen-Politikerin Mihalic mahnt, dass neue Befugnisse und Technik nicht ausreichen. Es brauche auch mehr Personal, die Daten auswerten können, da die Polizei "mit komplexen Netzwerken und Strukturen" konfrontiert ist. Und der Kriminologe und Polizeiforscher Martin Thüne wendet ein: "Bei Polizeigesetzen verengt die Politik den Blick oft zu sehr darauf, was an neuen Kompetenzen und Befugnissen hinzukommen soll. Wir müssen aber auch regelmäßig darauf blicken, was sich nicht bewährt hat – wir dürfen Polizistinnen und Polizisten im Einsatz nicht mit immer neuen und immer noch mehr Regeln und Techniken überfordern."

Ähnlich sieht es auch der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle. Er sagte unserer Redaktion: "Wir brauchen keine neue Polizeibehörde, die sich mit den Landespolizeien um Befugnisse streitet." Nur eine Ausnahme sieht er: beim Thema Abschiebungen ausreisepflichtiger Ausländer. Hier solle der Bund stärker unterstützen.

Per Gesetz bestreifen die Polizisten Bahnhöfe, Flughäfen und vor allem deutsche Grenzen. Immer wieder stoppen sie Migranten ohne Papier, setzen Schleuser fest, patrouillieren zur Gefahrenabwehr an Gleisen. Bewährt hat sich die "Bodycam", eine Kamera, die an der Uniform des Beamten befestigt ist und den Einsatz dokumentiert.

Diese Technik soll ausgebaut werden – und künftig auch an nichtöffentlichen Orten, etwa im Rahmen von Abschiebungen in Büros, Fluren oder Warteräumen an Flughäfen sowie Bussen oder dem Inneren eines Flugzeugs. 2021 waren allein knapp 12.000 Beamte auf Abschiebungen dabei.

Kameras an öffentlichen Plätzen können auch Polizisten schützen

Angesichts einer wachsenden Zahl von Übergriffen gegen Polizistinnen und Polizisten soll das ein Schutz sein. Die Kamera soll aber auch Betroffene von Kontrollen schützen. In der Vergangenheit gab es jedoch immer wieder Fälle, in denen die Kameras bei umstrittenen Polizeieinsätzen ausgerechnet nicht liefen. Zudem sind Polizisten mit dem Vorwurf des "Racial Profiling" konfrontiert, wenn sie in Bahnen und Flughäfen Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe kontrollieren. Gerade hier setzt die Ampel-Koalition einen Schwerpunkt: Ein neuer Absatz im Polizeigesetz wendet sich gegen "jegliche Art von Diskriminierung in der Bundespolizei".

Doch reicht das aus? Innenpolitikerin Mihalic fordert die Einführung einer "Kontrollquittung" bei der Bundespolizei. Vorbild ist Bremen. Dort bekommen Menschen, die von der Polizei kontrolliert wurden, seit 2021 eine Art Quittung. Die Dienstnummer des Beamten ist festgehalten, Ort und Dauer der Kontrolle sowie der Anlass.

In Stadtbereichen mit viel Straßenkriminalität darf jeder Bürger eine "Quittung" anfordern, vor allem am Hauptbahnhof oder in Waffenverbotszonen gilt das. Auf Nachfrage heißt es aus Bremen allerdings, dass erst 13 Quittungen überhaupt ausgestellt wurden. Grund aus Sicht der Polizei: das "Vertrauen in die Maßnahmen" des Staates.

Duisburg: Polizisten der Bundespolizei kontrollieren am Hauptbahnhof. Gibt sie bald „Kontrollquittungen“ aus?
Duisburg: Polizisten der Bundespolizei kontrollieren am Hauptbahnhof. Gibt sie bald „Kontrollquittungen“ aus? © dpa | Christoph Reichwein

Fachleute jedoch dringen darauf, das Recht auf die Kontrollquittung noch stärker zu etablieren. "Es schafft Sicherheit und Transparenz für die kontrollierten Menschen, aber eben auch für die Polizisten selbst", so Kriminologe Thüne.

Er fordert: Wer der Polizei neue Befugnisse ermögliche, müsse immer auch "Ausgleich schaffen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen". Ein wichtiger Schritt dabei ist die Kennzeichnungspflicht von Beamten. Das sieht der Entwurf von Innenministerin Faeser vor. Vergehen von Polizisten im Dienst sollen so besser aufgeklärt werden können.

Razzia bei Reichsbürger belegt unangehme Warhheit

Die jüngste Razzia bei sogenannten Reichsbürgern und Verschwörungsideologen um den selbsternannten "Prinzen" Heinrich XIII. hat es bitter vor Augen geführt: Immer wieder finden sich in extremistischen Netzwerken auch Bundeswehr-Soldaten und Polizeibeamte. Jedes Jahr kommen fast 5000 junge Menschen in die engere Auswahl für den Dienst in der Bundespolizei.

Nun will das Innenministerium flächendeckend eine Sicherheitsüberprüfung zur Bedingung machen, was bisher nur in besonderen Fällen galt. Nun ist das Ziel: Eine einfache Prüfung, etwa anderthalb Stunden lang, aber eben für alle. So soll die Polizei eine extremistische Gesinnung vor Antritt im Dienst erkennen und potenzielle "Innentäter" enttarnen.

Noch etwas geht die Bundesregierung an: das Bundesdisziplinargesetz. Bisher warten Behörden bei Verstößen und Verbrechen von Bediensteten oftmals auf das Urteil eines Gerichts – und leiten erst dann Disziplinarstrafen ein. Dieses oftmals jahrelange Verzögern soll durchbrochen werden, indem Polizeibehörden nun schon ohne Urteil Verfahren im Disziplinarrecht einleiten können. Die Hoffnung: Extremisten schneller aus den Ämtern entfernen – bevor sie ihr Gewaltmonopol missbrauchen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.