Berlin. Ein Anruf alle 20 Minuten: Die Zahl der Beratungen des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ ist im zweiten Corona-Jahr erneut gestiegen.

Im zweiten Jahr der Pandemie hat sich die Situation für Betroffene von häuslicher Gewalt offenbar weiter verschärft: Nach Informationen des Bundesfamilienministeriums, die dieser Redaktion vorliegen, ist die Zahl der Beratungen durch das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ 2021 erneut gestiegen. Demnach verzeichnete das Hilfetelefon im vergangenen Jahr mehr als 54.000 Beratungen. Das waren fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Schon 2020 war die Zahl der Beratungen erheblich angestiegen, um 15 Prozent.

2021 führten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Telefons pro Woche demnach mehr als 1000 Beratungen durch. Das Hilfetelefon berät seit 2013 kostenlos zu allen Formen von Gewalt, etwa auch zu Stalking oder Zwangsverheiratung. In der Mehrheit der Fälle suchen Anrufende aber Hilfe gegen häusliche Gewalt: Im vergangenen Jahr betrafen rund 60 Prozent der Beratungen betrafen diesen Bereich. Im Schnitt ging alle 20 Minuten eine Anfrage ein, bei der es um Gewalt durch Partner oder ehemalige Partner ging.

Häusliche Gewalt: Lage hat sich durch Corona-Pandemie deutlich verschlimmert

89 Prozent der Hilfesuchenden nahmen über das Telefon Kontakt auf, elf Prozent nutzten die Beratung online. Rund zwei Drittel der Kontaktaufnahmen fanden zwischen 18 Uhr abends und 8 Uhr morgens statt.

Expertinnen und Experten hatten seit Beginn der Corona-Pandemie gewarnt, dass die Lockdown-Maßnahmen Opfer von häuslicher Gewalt isolieren und so ihre Lage verschlimmern würden: Ohne Kontakt zur Außenwelt und auf engem Raum zuhause seien Betroffene den Tätern ausgeliefert. Zahlen des BKA zeigten für 2020 eine Zunahme von Delikten aus dem Bereich der Partnerschaftsgewalt um 4,9 Prozent. Für 2021 liegen noch keine BKA-Zahlen vor.

Familienministerin Paus: „Häusliche Gewalt ist ein massives Problem“

Doch die weiter gestiegene Resonanz auf das Angebot des Hilfetelefons legt nahe, dass sich die Situation nicht entspannt hat. Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Grüne) betonte, dass im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und vor allem Partnerschaftsgewalt einer der Schwerpunkte ihrer Arbeit liege. „Häusliche Gewalt ist ein massives Problem – und keine Frage des Alters oder des sozialen Hintergrunds“, sagte Paus dieser Redaktion.

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Die Istanbul-Konvention verpflichte Bund sowie Länder und Kommunen, Frauen wirksam vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Hilfe sicherzustellen. Betroffene Frauen und ihre Kinder müssten schnell Schutz finden, gut beraten werden und Unterstützung erhalten. „Das muss gesetzlich verankert werden und es braucht eine verlässliche finanzielle Absicherung für Frauenhäuser“, erklärte sie. „Daran werde ich mit Hochdruck arbeiten.“

Finanzierung von Frauenhäuser ist „Flickenteppich“

Derzeit ist die Finanzierung von Frauenhäusern in Deutschland ein „Flickenteppich“, wie der Verein Frauenhauskoordinierung beklagt. Die Einrichtungen tragen sich mit Mitteln, die Länder und Kommunen, dazu kommen Spenden und zum Teil auch Eigenbeteiligungen der betroffenen Frauen.

Doch das System ist unterfinanziert, immer wieder müssen die Häuser schutzsuchende Frauen und Kinder abweisen. Schätzungen gehen von bis zu 14.000 fehlenden Plätzen aus. Die Ampel-Koalition hat sich vorgenommen, das Hilfesystem auszubauen. Der Bund soll in die Finanzierung einsteigen. Wann das der Fall sein wird, ist noch offen.

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Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.