Berlin. Habeck und Baerbock geben die Parteiführung ab. Die Neuen wollen jetzt den enttäuschenden Wahlkampf aufarbeiten. Das sind ihre Pläne.

Der Abschied ist recht lapidar. „Tschüs, macht’s gut“, sagt Robert Habeck, bevor er und Annalena Baerbock die Bühne im Berliner Velodrom verlässt, wo die beiden am Freitagabend eben gemeinsam ihre letzte Rede als grüne Parteivorsitzende gehalten haben.

Vier Jahre, in denen sie aus der kleinsten Oppositionspartei im Bundestag eine neue Regierungspartei gemacht haben, in denen sie den Grünen neue Mitglieder, neue Wählerschichten, ein neues Selbstbewusstsein verschafft haben, gehen zu Ende mit schütterem Applaus von den wenigen Parteimitgliedern, die den Parteitag am Wochenende vor Ort verfolgen. Die meisten sind zuhause am Bildschirm.

Doch Zeit für Wehmut ist wenig. Habeck und Baerbock, das zeigen ihre Reden, sind längst im Ministermodus. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck spricht über den Ausbau der erneuerbaren Energien, über die EU-Taxonomie und den Ärger um den Förderstopp von energieeffizienten Häuser, Außenministerin Baerbock über den Weg, Frieden in der Ukraine zu wahren.

Ricarda Lang will die neue Parteichefin der Grünen werden.
Ricarda Lang will die neue Parteichefin der Grünen werden. © dpa | Guido Kirchner

Die beiden sind im Kabinett angekommen – die Parteiaufgaben, etwa die Aufarbeitung des Wahlkampfs, sollen jetzt andere lösen. Mit Ricarda Lang und Omid Nouripour steht die nächste grüne Doppelspitze in den Startlöchern. Dass die 28-jährige Vertreterin der grünen Linken und der 46 Jahre alte Realo am Sonnabend von den Delegierten gewählt werden, gilt als sicher.

Aussichtsreiche Gegenkandidaturen sind nicht in Sicht

Die junge Feministin und der erfahrene Außenpolitiker mit Migrationshintergrund, die Linke und der Realo: Gemeinsam vertreten Lang und Nouripour große Teile der Partei, die Wert auf die Sichtbarkeit vieler Gruppen in Spitzenämtern legt. Beide verbindet, dass sie früh Erfahrungen gemacht haben, die sie politisiert haben.

Langs Anstoß, als damals 18-Jährige in die Politik zu gehen, war der Moment, als ihre Mutter ihren Job verlor, wie sie erzählt. Die alleinerziehende Sozialarbeiterin arbeitete in einem Frauenhaus, bis dafür keine Mittel mehr da waren. Soziale Gerechtigkeit und feministische Themen stehen heute im Zentrum der Arbeit von Lang.

Auch Nouripours Fachgebiet, die Außenpolitik, spiegelt sich in seiner Biografie: Der 46-Jährige kam in Teheran zur Welt, doch die Familie verließ den Iran, als er 13 war, um dem Krieg gegen den Irak und dem Mullah-Regime zu entkommen. Aus Nouripour wurde ein „Frankfurter Bubb“, wie er selbst sagt – und ein leidenschaftlicher Grüner.

Omid Nouripour: Der Grünen-Politiker, der an die Parteispitze will.
Omid Nouripour: Der Grünen-Politiker, der an die Parteispitze will. © picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Er und Lang kennen die Partei gut, sind vernetzt in viele Richtungen. Es sind Kontakte, die sie in den nächsten Jahren brauchen werden. Denn die neue Parteiführung muss vermitteln zwischen den grünen Kabinettsmitgliedern, die im Regierungsalltag um oft kleine Schritte ringen, und der Basis, die Druck macht für mehr Grün in der Ampel. Nicht umsonst warben die scheidenden Parteivorsitzenden am Freitagabend um Verständnis für Kompromisse.

Wer wirklich etwas verändern wolle, sagte Baerbock, müsse bereit sein, „auch mal über den eigenen Schatten zu springen“.„Die Parteispitze muss diese Kompromissschritte erklären und gleichzeitig klar machen, dass wir mehr wollen und die Vision für dieses Mehr deutlich herausstellen“, sagt Renate Künast, die Ministerin war, als die Grünen zum letzten Mal in Regierungsverantwortung hatten. Kein einfacher Spagat – doch „ich traue das den beiden zu“, sagt sie über Lang und Nouripour.

Die Grüne Jugend warnte vor dem Parteitag, sich in der Koalition zu stark anzupassen: „Die Grünen dürfen sich nicht im Regierungshandeln verlieren“, sagte Timon Dzienus, Bundessprecher der Jugendorganisation. Und auch außerhalb der Partei gibt es Erwartungen. Es sei Aufgabe der neuen Parteispitze, gewaltige ökologische Herausforderungen anzugehen, sagte Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND, dieser Redaktion. „Dabei darf Umweltpolitik nicht zum Elitenprojekt werden.“

Auch 2025 wollen die Grünen ums Kanzleramt kämpfen

Nicht an Kontur verlieren zwischen SPD und FDP – das wollen auch die voraussichtlichen neuen Parteichefs. Erklärtes Ziel ist es, über „den Regierungsalltag hinauszudenken“ (Lang) und die SPD als „führende Kraft der linken Mitte“ abzulösen, wie Nouripour vor dem Parteitag sagte. Das Kanzleramt haben die Grünen noch immer im Blick. Wer sich darum in vier Jahren bewerben könnte, ist derzeit allerdings noch völlig offen.

Gut positioniert ist aktuell Robert Habeck, der sich nach der Wahl den Zugriff auf den Posten des Vizekanzlers gesichert hat. Doch der Wirtschafts- und Klimaschutzminister ist auch derjenige, an dem der Erfolg des grünen Projekts in der Regierung hängt wie an keinem anderen grünen Kabinettsmitglied. Seine Bilanz und seine Chancen auf eine Kandidatur werden sich messen lassen in Tonnen COZ.

„Krachend gescheitert“ war der, wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann seiner Partei kürzlich noch einmal in Erinnerung gerufen hatte. Am Freitagabend bekräftigte er seine Kritik am Wahlkampf noch einmal. Die Partei habe sich „zu klein gemacht“, sich zurückgezogen auf die Rolle einer „Ergänzungspartei“, sagte Kretschmann. Ausstrahlen müsste die Partei aber, dass sie für alle wichtigen Felder der Politik die Richtung vorgeben wollen.

Lang und Nouripour wollen nun analysieren, woran es lag, dass es am Ende statt dem Kanzleramt nur 14,8 Prozent wurden. Auch mit externer Hilfe werde man das angehen, hat die designierte Parteispitze angekündigt. Auch die Bundesgeschäftsstelle der Partei soll neu aufgestellt und an das rasante Mitgliederwachstum der letzten Jahre angepasst werden.

Ricarda Lang ist mit Corona infiziert

Und noch eine Hypothek gilt es auszuräumen: Die Corona-Boni von 1.500 Euro, die der grüne Bundesvorstand 2020 nicht nur den Mitarbeitern in der Geschäftsstelle, sondern auch sich selbst ausgezahlt hatte, hängen der Partei nach. Das Geld ist inzwischen zurückgezahlt, doch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Berlin wegen Untreue laufen – auch gegen Lang, die damals als Vizeparteichefin bereits Mitglied des Vorstands war. Dass das Verfahren ihre Chancen auf den Parteivorsitz schmälert, gilt aber als unwahrscheinlich.

Am Sonnabendnachmittag werden die Delegierten online über die neue Parteispitze abstimmen. Lang wird das Verfahren von zu Hause aus verfolgen. Die Bundestagsabgeordnete, die am Mittwoch ihre erste Rede im Parlament gehalten hatte, bekam kurz darauf ein positives Ergebnis eines PCR-Tests und befindet sich seitdem in häuslicher Quarantäne.