Berlin. Am Wochenende wurde Ricarda Lang zur neuen Parteichefin der Grünen gewählt. Was andere über die erst 28-Jährige sagen und wie sie tickt.

  • Ricarda Lang ist neue Parteichefin der Grünen
  • Sie gilt in der Partei schon länger als Talent
  • Lesen Sie hier mehr über die 28-Jährige

Jung, weiblich und offen bisexuell, das sind auch 2021 keine Attribute, aus denen sich ein bequemer Fahrstuhl in die Spitzenpolitik bauen ließe. Und doch ist Ricarda Lang, auf die all das zutrifft, jetzt dort angekommen. Die 28-Jährige war bisher stellvertretende Parteivorsitzende der Grünen und wurde nun zur Parteichefin gewählt.

Die Parteiführung ist damit der vorläufige Höhepunkt einer Laufbahn, von der Lang selbst sagt, dass sie nicht unbedingt vorgezeichnet war: Die 28-Jährige wuchs in Nürtingen in Baden-Württemberg auf, als Tochter einer alleinerziehenden Mutter, die in einem Frauenhaus arbeitete. Noch als Teenager, sagt Lang, sei sie recht unpolitisch gewesen. Doch als sie 18 ist, muss das Frauenhaus schließen, weil nicht genug Geld da ist. Und die Schülerin fragt sich, wie das sein kann.

Ricarda Lang gilt bei den Grünen schon länger als Talent

Es sind Gerechtigkeitsfragen wie diese, die sie in die Politik und zu den Grünen bringen, erst zur grünen Hochschulgruppe, dann zur Grünen Jugend, die sie von 2017 bis 2019 als Bundesvorsitzende vertritt. Im selben Jahr, in dem sie die Leitung der grünen Jugendorganisation abgibt, wird Lang stellvertretende Parteichefin und frauenpolitische Sprecherin der Grünen. Ihr Jura-Studium bricht sie da endgültig ab, widmet sich hauptberuflich der Politik. Bis heute gehören dabei soziale Gerechtigkeit und Frauenpolitik zu ihren inhaltlichen Schwerpunkten. Und auch Queerpolitik ist Lang wichtig. Mit ihrer Entscheidung, als erste Bundestagsabgeordnete offen zu kommunizieren, dass sie bisexuell ist, wollte sie auch Zeichen setzen für mehr Sichtbarkeit von bisexuellen Menschen.

Außerhalb der Grünen sucht und hält Lang den Kontakt zu sozialen Bewegungen, auf queeren Demonstrationen genauso wie auf Protesten zum 1. Mai, an der Tagebaukante im rheinischen Braunkohlerevier und vor dem Kanzleramt, wenn es um die Aufnahme von Geflüchteten geht. Innerhalb der Partei gilt sie seit einer Weile als Talent, das man auf der Rechnung haben sollte: Grüne aus unterschiedlichen Lagern beschreiben sie als analytisch stark, als Politikerin, die weiter nach vorn denkt als andere.

Und: Lang sei keine, die sich wegduckt, wenn es mal unangenehm wird, auch das sagen Parteikolleginnen und -kollegen. Als die Eisenbahner-Gewerkschaft EVG kürzlich vor der Bundesgeschäftsstelle der Grünen demonstrierte, weil sie eine Zerschlagung der Bahn unter der Ampelkoalition fürchtete, kam Lang aus dem Gebäude und erklärte die Position der Partei, auch unter Buhrufen.

Ricarda Lang, hier im Sommer auf einem Parteitag der Grünen, ist neue Parteivorsitzende.
Ricarda Lang, hier im Sommer auf einem Parteitag der Grünen, ist neue Parteivorsitzende. © picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Ricarda Lang: Junge Politikerin war schon oft Zielscheibe von Hass

Doch es sind nicht nur Sachdebatten, in denen sie hart angegangen wird. Langs Körper, ihr Gewicht, machen sie immer wieder zum Ziel von Attacken, die mit ihrer Politik nichts zu tun haben. Im Sommer 2020 geht ein Foto der damals 26-Jährigen viral: Lang im Zug, ohne Maske und mit einer Tüte einer Fast-Food-Kette. Unter anderem AfD-Funktionäre teilen das Bild, es folgt eine Lawine von Häme und Beleidigungen online. Auch nach Fernsehauftritten häufen sich Angriffe, die auf Langs Äußeres abzielen.

Doch darüber will sie nicht mehr als nötig reden, stattdessen lieber über ihre politischen Ziele sprechen. Sie trete auch dafür an, „dass es Menschen wie meine Mutter in Zukunft leichter haben“, sagte Lang dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Ein Klischee sagt: Grün muss man sich leisten können. Meine Familiengeschichte ist ein Beleg fürs Gegenteil.“

Lang will auf Habecks und Baerbocks Strategie aufbauen

Die bisherigen Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck haben die Grünen geöffnet für neue Wählerschichten, versucht, die Partei aus der Wohlfühl-Ökonische zu holen und auch mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die die Partei nicht als ihre natürliche Interessensvertretung sehen.

Darauf will Lang aufbauen: Die Grünen seien noch nicht am Ziel angekommen, „die führende progressive Kraft in diesem Land zu werden“. Sie wolle deshalb „über den Regierungsalltag hinausdenken und das Profil der Grünen weiter schärfen“. Und dann bei der Bundestagswahl in vier Jahren vielleicht die stärkste Kraft des Mitte-links-Lagers werden.

Das ist nun die Aufgabe, die vor dem Außenpolitiker Omid Nouripour, mit dem sie die neue Doppelspitze der Grünen bildet, und ihr liegt. Eine junge queere Frau, ein erfahrener Parlamentarier mit Migrationsgeschichte, eine Vertreterin des linken Flügels, ein erklärter Realo – zusammen bilden Lang und Nouripour einen großen Teil ihrer Partei ab.

Lang erhielt nach Parteiangaben am Samstag 75,93 Prozent der Stimmen, Nouripour kam auf 82,58 Prozent. Die digitalen Voten müssen nun noch formal per Briefwahl bestätigt werden, was bis zum 14. Februar geschehen soll. Erst danach sind die beiden Neuen auch formell im Amt.