Washington. Die USA erleben eine “Pandemie der Ungeimpften“. In Staaten, die für Donald Trump wählten, grassiert das Coronavirus – kein Zufall.

Im Frühjahr waren die USA mit ihren rasch voranschreitenden Impfaktionen im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie der Musterknabe der westlichen Welt. Auch gehen nach dem steilen Anstieg im Sommer die Neuerkrankungen und Todesfälle nun langsam wieder zurück. Beides Entwicklungen, die zuversichtlich stimmen müssten.

Doch die Etappensiege lassen zu wünschen übrig: Mittlerweile haben nämlich fast alle europäischen Länder die Impfquote der Vereinigten Staaten nicht nur erreicht, sondern deutlich überholt. Dabei besteht nur geringe Hoffnung, dass jene 80 Millionen US-Bürger, die nicht einmal die erste Spitze erhalten haben, jemals den Gang in die Klinik auf sich nehmen werden.

Corona-Impfgegner in den USA meist auch Ex-Trump-Wähler

Manchmal ist die Weigerung religiöser Natur. Häufiger ist aber die Zurückhaltung politisch motiviert. Auffallend ist die scharfe Trennlinie zwischen jenen, die sich gegen das Virus schützen wollen und jenen, die das Vakzin mehr fürchten als eine Erkrankung: In der Regel sind Impfgegner auch jene Menschen, die im November vergangenen Jahres Donald Trump ihre Stimme schenkten.

Die Zahlen sprechen Bände: Im April und Mai, als die Impfstoffe der Pharmakonzerne Pfizer/Biontech, Moderna und Johnson and Johnson auf den Markt kamen, gingen die USA mit gutem Beispiel voran und lieferten einen Beweis dafür, wie effizient die Amerikaner zusammenhalten und energisch zur Tat schreiten, wenn es darum geht, eine Krise zu bewältigen. Krankenhäuser wurden ebenso wie Verwaltungsgebäude, Schulen und Football-Stadien binnen kürzester Zeit zu Impfzentren umgewidmet.

Neben medizinischem Personal, Soldaten und Mitgliedern der Nationalgarde waren es größtenteils unbezahlte, freiwillige Helfer, die für den logistischen Ablauf die Verantwortung übernahmen. Die Folge: Menschenschlangen, die sich über mehrere hundert Meter erstrecken konnten und den Eindruck erweckten, als würde man Stunden lang anstehen, lösten sich nach weniger als einer halben Stunde auf. Die Aktionen liefen auf Hochtouren, wurden mit beeindruckendem Tempo abgewickelt und hatten zur Folge, dass die USA in Sachen Impfungen meilenweit vor Europa lagen.

Ex-US-Präsident Donald Trump bei einer Rede vor Anhängern am 25. September in Perry, Georgia.
Ex-US-Präsident Donald Trump bei einer Rede vor Anhängern am 25. September in Perry, Georgia. © AFP | Sean Rayford

Erst 56 Prozent der US-Bürger vollständig geimpft

Trotz des positiveren Trends der letzten Wochen stimmen die Zahlen nachdenklich: 56 Prozent der US-Bürger haben beide Spritzen erhalten, etwa zehn Prozentpunkte weniger als die meisten EU-Staaten, und die Tendenz ist stagnierend.

Dies, obwohl die Delta-Variante des Virus die Zahl der Erkrankungen verglichen mit dem Frühjahr wieder deutlich höher getrieben hat. So meldet die Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control (CDC) derzeit etwa 110.000 Neuinfektionen und circa 2.000 Todesfälle pro Tag. Auch wurde an diesem Wochenende der Meilenstein von 700.000 Sterbefällen überschritten. Zur Veranschaulichung: Einen von 428 Amerikanern hat die Pandemie bis heute das Leben gekostet.

80 Millionen US-Amerikaner noch ohne jede Corona-Impfung

Dabei wollen trotz der grassierenden Delta-Variante Millionen von US-Bürgern von den Vakzinen nichts wissen. Folglich haben 80 Millionen Menschen, welches in etwa der gesamten deutschen Bevölkerung entspricht, nicht einmal die erste Spritze erhalten.

Stephanie Edmonds, eine Geschichtslehrerin aus New York, hat deswegen sogar ihren Job verloren. So hatte die Stadt angeordnet, dass sämtliche Lehrer an öffentlichen Schulen bis zum vergangenen Freitag sich impfen lassen, welches sie ablehnte. „Das ist aus religiöser Überzeugung“, sagt Edmonds. die jüdisch ist. Gleichzeitig räumt sie ein, dass ihre Glaube die Vakzine nicht ausdrücklich verbietet.

Impf-Verweigerung meist aus politischen Gründen

Eine wesentlich größere Rolle spielen politische Überzeugungen. So sind in West Virginia, Wyoming und Idaho im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung die wenigsten Menschen geimpft, in einigen Gegenden nicht einmal jeder vierte. Nicht weit dahinter liegen die Südstaaten Georgia, Texas, Louisiana, Mississippi, Arkansas und Texas. Gemeinsam haben alle, das sie traditionell republikanische Hochburgen sind, in denen Trump mit der Ausnahme von Georgia sowohl 2016 als auch 2020 haushohe Siege feierte.

Viele Impfunwillige sind Anhänger der sogenannten QAnon-Verschwörungstheorien, die zugleich fest davon überzeugt sind, dass Trump die Wahl gestohlen wurde und er noch im Herbst wieder eine „Reinkarnation“ erleben und zum Präsidenten gekürt wird. Einige der Trump-Loyalisten organisieren sogar regelmäßige Veranstaltungen, in denen sie gegen die Vakzine wettern und vor angeblich lebensgefährlichen Nebenwirkungen warnen.

Der Unternehmer Clay Clark aus Oklahoma lädt zu seinen „Konferenzen für Gesundheit und Freiheit“ tausende von Menschen ein und rät ihnen von Corona-Impfungen ab. Zahlreiche Spender des ehemaligen Präsidenten und der in Ungnade gefallene Ex-General Michael Flynn, der unter Trump für kurze Zeit Nationaler Sicherheitsberater war, führen die Bewegung „Re-Awaken America“ an, zu deutsch „Amerika, wach wieder auf“. Auch sie versuchen, ihren Besuchern Impfungen auszureden.

Umstrittene Ärzte-Bewegung macht Stimmung gegen zugelassene Vakzine

Die Ärztin Dr. Simone Gold hingegen, die wegen ihrer Teilnahme an dem blutigen Aufstand im Kapitol am 6. Januar angeklagt wurde, geht sogar noch weiter. Als prominentes Mitglied der Bewegung „America’s Frontline Doctors“ geißelt sie ebenfalls die Produkte von Pfizer/Biontech ebenso wie jene, mit denen Moderna und Johnson & Johnson bereits Millionen von Menschen vor dem Virus geschützt hat.

Stattdessen macht sich Gold für andere Medikamente stark, etwa das Anti-Malaria-Mittel Hydroxychloroquin, deren Wirksamkeit gegen das Coronavirus nicht bewiesen und und die folglich nicht zugelassen sind. Auch verdient Gold an ihren Ratschlägen gutes Geld: Wer bei ihr für 90 Dollar einen kurzen Termin per Videokonferenz bucht, dem ist sie gern bereit, ein Rezept für ihre „alternativen Therapien“ zu verschreiben.

Angesichts der massiven Diskrepanzen in den Impf- und Infektionsraten in konservativen „Trump-Staaten“ auf der einen und politisch liberaleren Staaten auf der anderen Seite hat der führende US-Immunologe Anthony Fauci einen neuen Namen für die Gesundheitskrise: Fauci spricht von einer „Pandemie der Ungeimpften“. Er glaubt, dass solange weit über 40 Prozent der 330 Millionen US-Bürger nicht beide Spritzen bekommen, ein Ende der Corona-Krise lange nicht, womöglich niemals in Sicht sein wird.