Libanon

Nach Explosion: 80.000 Kinder in Beirut obdachlos

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Ursache der Explosionen in Beirut weiter unklar

Ursache der Explosionen in Beirut weiter unklar

Nach den verheerenden Explosionen in Beirut liegen die Ursachen der Detonationen weiter im Dunkeln. Freiwillige räumen derweil im Ausgehviertel der Stadt auf.

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Libanesischer Präsident zieht eine Rakete oder Bombe als Auslöser der Explosion in Betracht. Suche nach Vermissten geht weiter.

Beirut. 
  • Nach den gewaltigen Explosionen in Beirut suchen die Rettungskräfte weiter nach Verschütteten
  • Die Zahl der Toten stieg auf 154, rund 5000 Menschen wurden verletzt
  • Laut dem libanesischen Präsidenten kann das Unglück auch durch eine Rakete oder eine Bombe ausgelöst worden sein
  • Deutsche Rettungshelfer sind vom Ausmaß der Zerstörung schockiert
  • Libanesen sind wütend auf die Regierung und die politische Elite
  • 80.000 Kinder sind laut UN-Kinderhilfswerk nach Explosion obdachlos
  • Schätzungsweise 250.000 Einwohner von Beirut verloren ihre Wohnungen
  • Die libanesische Hauptstadt wurde zur „Katastrophenstadt“ erklärt

Der libanesische Präsident Michel Aoun hat sich drei Tage nach der Explosion in Beirut zum Unglückshergang geäußert und von „Nachlässigkeit oder einem Eingreifen von außen“ als Ursache gesprochen. Es sei möglich, dass die Explosionen durch „Fahrlässigkeit oder durch äußere Einwirkung, mit einer Rakete oder einer Bombe“, ausgelöst wurden, sagte Aoun am Freitag in einem Fernsehinterview.

Forderungen nach einer internationalen Untersuchung wies er zurück. Auf die Frage, ob er gegen eine internationale Untersuchung sei, antwortete Aoun mit „natürlich“. Eine solche Untersuchung würde „die Wahrheit verwässern“.

In einem Rennen gegen die Zeit haben Rettungshelfer am Freitag nach weiteren Überlebenden der Explosion gesucht. Sie bargen weitere Opfer aus den Trümmern. Die Zahl der Toten stieg auf 154, wie das libanesische Gesundheitsministerium am Freitag erklärte. Rund 5000 Menschen wurden verletzt. Die Zahl der Toten könnte weiter steigen, weil noch viele Schwerverletzte auf der Intensivstation um ihr Leben kämpfen. Hilfsorganisationen warnen, die Kliniken seien überlastet.

Die Suche nach Überlebenden ging weiter, kam aber nur langsam voran. Kräne und Bulldozer versuchten, große Trümmerteile zu räumen. Das libanesische Rote Kreuz schätzt, dass noch rund 100 Menschen vermisst werden. Dabei soll es sich vor allem um Hafenarbeiter handeln. Angesichts der massiven Zerstörung gebe es Zweifel, noch Überlebende zu finden, sagte ein Helfer. „Aber wir haben noch immer Hoffnung.“Internationale Teams waren an der Suche beteiligt, darunter auch das Technische Hilfswerk (THW). Ein Krisenunterstützungsteam (KUT) der Bundeswehr sollte am Freitag in Libanons Hauptstadt eintreffen.

Explosion in Beirut: Ausmaß der Zerstörung schockierend

Deutsche Rettungshelfer zeigten sich vom Ausmaß der Zerstörung in Beirut schockiert. „Das Einsatzgebiet ist wirklich riesig“, sagte die THW-Sprecherin Georgia Pfleiderer aus dem Einsatzgebiet der Deutschen Presse-Agentur am Telefon. Die Schäden seien immens. „Was hier an Gebäuden stand, das waren ja richtige Hochregallager und Großgebäude, die liegen alle in Trümmern. Das ist wirklich eine Dimension, die ist echt atemberaubend.“ Ihr bisher fünfter THW-Einsatz im Ausland sei „vom Ausmaß des Schadens das Größte, was ich bisher gesehen habe“.

Infolge der Explosion wurden auch rund 80.000 Kinder obdachlos wie die Sprecherin des UN-Kinderhilfswerks Unicef, Marixie Mercado, sagte. Viele Haushalte hätten nur begrenzt Wasser und Strom. Zudem gebe es Berichte, dass mehr als 120 Schulen beschädigt worden seien. Beiruts Gouverneur hatte erklärt, durch die Explosion könnten in Libanons Hauptstadt bis zu 250.000 Menschen obdachlos geworden sein.

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An der Absperrung zum Hafen versammelten sich auch wütende Einwohner, darunter Angehörige von Vermissten. Sie riefen: „Diese Regierung hat versagt“. „Die Explosion war am Dienstag, und sie arbeiten noch immer langsam“, sagte einer der Demonstranten. „Wenn noch Lebende unter den Trümmern festgesessen haben, dann sind sie jetzt tot.“

Libanesen wütend auf politische Führung

Die Wut vieler Libanesen auf die Regierung und die politische Elite ist groß. Sie machen die Führung für die Explosion verantwortlich und werfen ihr grobe Fahrlässigkeit vor. Die heftige Explosion soll durch große Mengen Ammoniumnitra t ausgelöst worden sein, die seit Jahren ohne Sicherheitsmaßnahmen im Hafen gelagert wurden. 16 Hafenmitarbeiter wurden inzwischen festgenommen.

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In der Nacht auf Freitag kam es in Beirut vereinzelt zu Protesten. Aktivisten haben für Samstag zu weiteren Demonstrationen aufgerufen, die nach der Beerdigung von Opfern beginnen sollen. Vereinzelt wird im Libanon auch öffentlich nach der Verantwortung der einflussreichen schiitischen Hisbollah für die Explosion gefragt. Die Iran-treue Organisation ist an der Regierung beteiligt und bildet im Libanon einen Staat im Staate. Ihre Macht sehen viele als unantastbar. Der Bruder von Ex-Regierungschef Saad Hariri, Baha Hariri, sagte nach Angaben lokaler Medien, die Hisbollah kontrolliere den Beiruter Hafen. Nichts komme dort ohne sie hinein und hinaus.

Die zyprischen Behörden befragten den früheren Besitzer des Frachtschiffs „Rhosus“, Igor Gretschuschkin. Das Schiff soll 2013 große Mengen Ammoniumnitrat nach Beirut gebracht haben. Die Befragung von Gretschuschkin sei auf Antrag der libanesischen Polizei geschehen, wie der Sprecher der zyprischen Polizei Christos Andreou sagte. Die libanesischen Behörden hätten den Zyprern „einige Fragen geschickt“, die der 43-jährige Russe „gerne beantwortet“ habe. (jb/dpa)

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