Berlin. Wenn die Politik im Kampf gegen das Virus nicht zurück zu einer gemeinsamen Linie findet, verspielt sie überlebenswichtiges Vertrauen.

Die deutsche Politik erhält weltweit Bestnoten für den Kampf gegen die Corona-Pandemie. Wenige Länder stünden so gut da wie Deutschland, heißt es anerkennend nicht nur bei unseren europäischen Nachbarn. Das war mal so. Jetzt ist es höchste Zeit, Wasser in den Wein zu kippen.

Wenn Deutschland so wie in den vergangenen Tagen und Wochen weitermacht, ist es nur eine Frage der Zeit, dass sich entweder das Virus wieder stärker ausbreitet oder die Wirtschaft irrepara­ble Schäden erleidet. Während Deutschland in der frühen Phase der Pandemie-Bekämpfung eine geschlossene Allianz der Vernunft aufbieten konnte, herrscht mittlerweile eine unerträgliche Kakophonie. Maske Pflicht? Empfohlen? Ausgangsverbot ja? Ausgangsverbot nein? Parkbanksitzen erlaubt oder ordnungswidrig?

Coronavirus: Aus einer Allianz der Vernunft wurde ein wildes Durcheinander

Das Durcheinander entnervt auch den vernünftigsten Bürger und kann alle Erfolge der Vergangenheit gefährden. „Öffnungsdiskussionsorgien“ nannte Kanzlerin Angela Merkel diese Entwicklung. Das war sicher keine glückliche Formulierung, weil Diskussionen immer erlaubt sein müssen.

Aber was Bund, Länder und neuerdings auch Kommunen den vom Virus verunsicherten Bürgern mittlerweile zumuten, ist eine echte Orgie. Und zwar eine Orgie unterschiedlichster Regelungen und Empfehlungen, die keiner mehr durchblickt.

Wer wissen will, wann er wo und wie sich bewegen darf – mit Maske oder ohne – braucht eine lange Excel-Tabelle, um alle unterschiedlichen Vorschriften im Blick zu behalten. Mehr noch: Wer hat schon im Alltag ein GPS-System dabei, das permanent zurückmeldet, auf welchem Hoheitsgebiet er sich gerade befindet? Schon von Stadt zu Stadt gelten jetzt unterschiedliche Regeln beim Maskentragen oder bei der Öffnung von Geschäften.

Die Regierenden sollten an einem Strang ziehen

Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion.
Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion. © Dirk Bruniecki

Der Regelungswust mag der Profilierung einzelner Verantwortlicher dienen. Aber er verwirrt die Menschen. Wenn an jeder Ecke andere Regeln gelten, sind sie wertlos. Schon für Moses und die gesamte Christenheit war es hilfreich, dass die Zehn Gebote überall galten. Warum soll das bei lebenswichtigen Regeln für das Zusammenleben in Corona-Zeiten anders sein?

Ein Durcheinander bei den Vorschriften ist kein Leistungsnachweis für föderale Strukturen, sondern brandgefährlich. Daher sollten sich Bund, Länder und Kommunen ganz schnell auf einheitliche Maßnahmen im ganzen Land einigen.

Gelegenheit dazu ist bei der nächsten Konferenz der Kultusminister und beim anstehenden Spitzentreffen der Kanzlerin mit den 16 Ministerpräsidenten. In diesen Runden wird mancher Corona-Experte über seinen Schatten springen und eine Mehrheitsmeinung akzeptieren müssen.

Der Preis dafür ist vielleicht eine Schlagzeile weniger – aber gewonnen wäre viel: nämlich das Vertrauen darin, dass die Verantwortlichen in den Grundsatzfragen der Pandemie-Bekämpfung an einem Strang ziehen und Vorschriften im Umgang mit Corona nicht eine Frage der persönlichen Interpretation sind.

Der Bürger hat seinen Soll erfüllt, jetzt ist die Politik dran

Wenn diese Gemeinsamkeit, die zu Beginn der Krise so überzeugend war, indes nicht mehr herzustellen ist, wird es chaotisch. Der Bürger wird den Glauben an die Politik verlieren und sich seine eigenen Regeln schaffen oder sich an gar nichts mehr halten. Das wäre ein schlimmer Rückschlag. Menschen würden unnötig sterben und auch viele Betriebe einen erneuten Lockdown nicht überleben.

Es ist in Talkshows und Ansprachen derzeit viel von „Vernunft“, „Einsicht“ und „Gemeinsamkeit“ die Rede. Die hat der Bürger in den vergangenen Wochen eindrucksvoll gezeigt. Jetzt ist die Politik wieder am Zuge.