Moskau. Die Ukraine steht vor einer wichtigen Wahl. Unter den drei Präsidentschaftskandidaten mit den besten Chancen ist auch ein TV-Komiker.

Das in die EU strebende Krisenland Ukraine steht fünf Jahre nach der Revolte auf dem Maidan vor einer richtungsweisenden Präsidentenwahl. Die Hoffnung der Bevölkerung auf ein besseres Leben ist verpufft. Wenige Tage vor der Entscheidung am Sonntag hat der Schauspieler, Komiker und politische Quereinsteiger Wladimir Selenski seinen Vorsprung auf Amtsinhaber Petro Poroschenko weiter ausgebaut. Knapp 28 Prozent geben an, für ihn stimmen zu wollen, wie jüngste Umfragen ergeben.

Poroschenko und Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko liefern sich mit etwa 16 bis 17 Prozent ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Einzug in die für den 21. April erwartete Stichwahl. Die 36 weiteren Kandidaten blieben in den Umfragen unter zehn Prozent der Stimmen.

Ukraine wählt – Das sind die Kandidaten


Petro Poroschenko konnte die Korruption nicht eindämmen.
Petro Poroschenko konnte die Korruption nicht eindämmen. © Reuters | Valentyn Ogirenko

• Petro Poroschenko (54) droht diese Wahlen zu verlieren, weil er nie aufgehört hat, den Staat als Profitcenter zu betrachten. Dass er bei den Minsker Verhandlungen die von Moskau unterstützte Offensive russischer Separatisten im Osten des Landes im Frühjahr 2015 stoppte, dass die Armee unter ihm wieder kampfkräftig geworden ist, gilt zwar als großer Verdienst des Wirtschaftsoligarchen. Aber er scheiterte vor allem an der zentralen Forderung der Maidan-Revolution von 2014: „Kampf der Korruption!“

Zwar eröffnete die Ukraine auf westlichen Druck ein Antikorruptionsbüro. Aber das gilt als eher machtlos. Nach Medienangaben kassierte eine Werft, die Poroschenko gehört, Rüstungsaufträge für umgerechnet über 80 Millionen Euro. Und der Sohn eines ihm nahestehenden Sicherheitsbeamten soll aus Russland eingeschmuggelte Ersatzteile zu zwei- bis vierfach überteuerten Preisen an die Armee verkauft haben.

„Die Korruption ist noch schlimmer als unter seinem Vorgänger Wiktor Janukowitsch“, schimpft der Oppositionelle Alexei Jeremiza. Obwohl der von den Maidan-Rebellen gestürzte Wiktor Janukowitsch als Gangster galt. Der Politologe Wadim Karasjew urteilt: „Poroschenko ist auch als Präsident Geschäftsmann geblieben.“ Sollte Poroschenko diese Wahl wirklich verlieren, für das politische System der Ukraine wäre es kein großer Schaden. Allerdings gilt das auch für seine Hauptkonkurrenten.

Julia Timoschenko kandidiert zum dritten Mal für das Amt.
Julia Timoschenko kandidiert zum dritten Mal für das Amt. © dpa | Janos Nemes


• Julia Timoschenko
(58) will endlich den ukrainischen Staat regieren. Timoschenko kandidiert zum dritten Mal für das höchste Staatsamt. 2010 unterlag die Chefin der Partei „Vaterland“ dem russlandfreundlichen Janukowitsch, der sie später für mehr als zwei Jahre ins Gefängnis werfen ließ. 2014 verlor sie gegen Poroschenko.

Ihr Programm strotzt vor populistischen Versprechungen. Die Gasverbraucherpreise will sie mindestens um die Hälfte senken, die Durchschnittslöhne binnen fünf Jahren auf 1000 Dollar verdreifachen. Und ihrem Widersacher Poroschenko droht sie, er werde sich nach ihrem Wahlsieg vor Gericht für jede gestohlene Kopeke verantworten müssen.

Hintergrund:

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Poroschenkos Anhänger wiederum werfen Timoschenko vor, sie habe sich insgeheim mit dem Kreml geeinigt und werde das Vaterland an Russland verraten. Viel realer ist aber wohl die Gefahr, dass Timoschenko sich selbst treu bleibt. Ein berechnendes und sehr ehrgeiziges Einzelkind aus Dnepropetrowsk, das mit 18 seinen ersten Videosalon eröffnete, unter Gouverneur Pawel Lasarenko in die korrupte Rohstoffbranche einstieg. Er wurde Premier, Timoschenko zur steinreichen „Ölprinzessin“.

Laut Schweizer Staatsanwaltschaft zahlte sie Lasarenko 72 Millionen Dollar Schmiergeld. Jetzt wurde bekannt, dass Reinigungskräfte und Rentner ihren Wahlkampf mit fünfstelligen Euro-Summen unterstützt hätten. Laut dem Antikorruptionsprojekt Naschi Groschi sind es Fake-Spender, die verbergen sollen, welche Oligarchen ihre wahren Sponsoren sind.

Wladimir Selenski im Februar bei einem Auftritt in einer Comedyshow in Kiew. In Umfragen liegt der 41-Jährige deutlich vor seinen Konkurrenten.
Wladimir Selenski im Februar bei einem Auftritt in einer Comedyshow in Kiew. In Umfragen liegt der 41-Jährige deutlich vor seinen Konkurrenten. © Reuters | REUTERS / Valentyn Ogirenko

• Wladimir Selenski (41) profitiert vom Image des fiktiven und grundanständigen Präsidenten, den er in der TV-Serie „Diener des Volkes“ spielt. In ihr ist der Geschichtslehrer Goloborodko völlig überraschend Staatschef geworden.

Der Berufshumorist mit Jura-Diplom aus dem südostukrainischen Kriwoi Rog gilt als einer der erfolgreichsten Produzenten von Unterhaltungsshows, Film- und Fernsehkomödien in der Ukraine. Seit Jahren lästert er mit spitzer Zunge über Politik, jetzt aber macht er Anstalten, die traumhafte Karriere seines Serienhelden in die Wirklichkeit umzusetzen. Auch seine neu gegründete Partei heißt „Diener des Volkes“.

Kommentar:

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Seine Wahlkampfsprüche aber unterscheiden sich nicht entscheidend von der Konkurrenz. Wie etwa Poroschenko propagiert er den Beitritt zu Nato und EU, er begrüßt den Plan des US-Sonderbeauftragen Kurt Volker, eine internationale Friedenstruppe im Donbas zu stationieren, ist zugleich zu Verhandlungen mit Wladimir Putin bereit. Selenski will ausländische Firmen ins Land holen und – natürlich – die Korruption bekämpfen. Nichts wirklich Neues. Es gilt als offenes Geheimnis, dass der Oligarch Ihor Kolomoiski, der angeblich auch Timoschenko unterstützt, Selenski finanziert.

„Die Masse seiner Anhänger“, sagt der Politologe Witali Portnikow, „will nicht Selenski wählen, sondern Goloborodko.“ Der steht in einer vorab aufgetauchten Szene der neuen „Diener des Volkes“-Staffel entsetzt im Parlament. Dieses hat sich geschlossen geweigert, für Reformen zu stimmen, Goloborodko zückt zwei Maschinenpistolen und ballert los. Unklar, ob es eine Traumszene ist, die Behörden haben die Ausstrahlung als getarnte Wahlwerbung verboten. Unklar aber auch, ob Selenski selbst weniger primitive Methoden zum Kampf gegen die Korruptokratie zu bieten hat.