Berlin. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten Bartels ist die Neuvermessung einer Lücke: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ein Kommentar.

Es gibt zwei Armutsberichte in Deutschland. Einer heißt allerdings anders, und es ist der Wehrbeauftragte, der ihn beisteuert. Die aktuelle Ausgabe, am Dienstag vorgestellt, beweist: Auch eine Großorganisation wie die Bundeswehr mit einem 43-Milliarden-Euro-Etat kann arm dran sein.

Ersatzteile fehlen, Instandsetzungen ziehen sich hin, die Qualität stimmt nicht, Kosten explodieren, „geradezu grotesk“ beim Schulschiff „Gorch Fock“, meint der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels. Vollausstattung gibt es auf dem Papier.

All die angekündigten und gefeuerten „Trendwenden“ beim Material seien überwiegend „noch nicht spürbar“, schreibt er. Anspruch und Wirklichkeit – der Wehrbericht ist die jährliche Vermessung einer Lücke.

Beispiele für schlechte Führung gibt es immer. Vorgesetzte, die zu ihren Untergebenen „Primaten“ sagen, findet man auch im Jahresbericht 2018. Allein, sie sind nicht das größte Problem.

Bundeswehr ist gleichzeitig unterbesetzt und überreguliert

Bartels setzt diesmal mit seiner Kritik an der Überbürokratisierung einen Kontrapunkt. Paradox ist, dass die Bundeswehr gleichzeitig unterbesetzt und überreguliert ist; zu viel Arbeit doppelt oder gegeneinander getan wird. In das „wahrscheinlich größte Labyrinth“ begeben sich nach Bartels Darstellung alle, die mit der Beschaffung zu tun haben. Neu ist die Klage nicht.

Relativ neu ist allerdings, dass niemand mehr Probleme schön redet. Aus allen Teilen kommt das Klagelied „wir sind am Limit“. Jeder kennt das „Prinzip Murphy“, wonach alles, was schief gehen kann, irgendwann auch schief gehen wird. Murphy ist der Adjutant, den Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nie haben wollte.

Besorgniserregend sind die Anstiege der Neuerkrankungen mit posttraumatischen Belastungsstörungen und der rechtsextreme Vorfälle,

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dazu 23 Prozent mehr sexuelle Übergriffe. Letztes hat auch damit zu tun, dass der Frauenanteil steigt und die Gesellschaft

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sensibilisiert ist.

Es ist nicht sicher, ob es mehr Übergriffe gibt. Auf jeden Fall werden sie häufiger gemeldet. Die Frauen lassen sich weniger denn je gefallen. Und das ist auch gut so.

Die Armee wird immer älter

Der Wehrbericht ist eine Fundgrube. Man erfährt, dass die Truppe die unbesetzten offenen Stellen kaschiert und ihre Sollstärke nur dadurch einhält, dass Zeitverträge verlängert werden – mit der Folge, dass die Armee immer älter wird.

Der gesellschaftliche Wandel macht auch vor den Streitkräften nicht halt. Vor 20 Jahren klagten sie vielleicht über die Verpflegung, heute obendrein über den Verpackungsmüll der Lunchpakete. Früher hätte man sich keine Gedanken über die Muslime gemacht.

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, immerhin so viele, dass Bartels abermals muslimische Seelsorger anmahnt. Und warum auch nicht? Die Armeen in den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien oder Österreich machen es uns vor.

Job des Wehrbeauftragten ist eine dankbare Aufgabe

Das Parlament hatte meist Glück mit seinen Wehrbeauftragten. Der Job ist eine dankbare Aufgabe, weil der Amtsinhaber über den Parteien steht und die jeweilige Regierung ihm Respekt schuldig ist. Hinzu kommt ein positives Vorurteil der Öffentlichkeit gegenüber der Institution. Bartels spielt fast in einer Akzeptanz-Liga mit Amnesty International.

Zuhören ist wichtig. Bei Bartels kommt hinzu, dass er gern formuliert und einen feinen Sinn für Ironie hat. Über die Verantwortung, eine Tugend der inneren Führung, schreibt er, sie scheine heute in einem Labyrinth zu verschwinden. Nicht alles, aber viele Missstände folgen daraus.