Berlin. Die SPD vertagt die Entscheidung über den Fortbestand von Schwarz-Rot. Und stellt sich – überraschend klar – hinter ihre Vorsitzende.

Um 13.31 Uhr rauschen die gläsernen Lifte aus dem vierten Stock des Willy-Brandt-Hauses nach unten. Alles, was Rang und Namen in der SPD hat, steht Seit’ an Seit’ in den engen Kabinen.

Die Chefin kommt als Erste aus dem Fahrstuhl. Andrea Nahles führt die kleine Prozession der 15 Spitzenleute auf die Bühne. Die selbstbewussten Ministerpräsidenten Stephan Weil, Manuela Schwesig und Malu Dreyer (die alle schon Wahlen gewonnen haben) sind dabei, Außenminister Heiko Maas, Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz, der sehr weit links steht, fast schon unter der schützenden Hand der großen Brandt-Bronze-Statue.

Andrea Nahles erfährt unverhoffte Solidarität

„Wir haben uns untergehakt. Wir setzen auf die Kraft des Zusammenhalts. Wir wollen es wissen“, verkündet Nahles im schönsten Genossensprech und in einer Mischung aus Selbstbewusstsein, Trotz und Erleichterung.

SPD rückt enger zusammen

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    Vorsitzende stürzt man – oder stützt sie, das war in der Politik schon immer so. In der SPD allerdings übertrieb man es mit dem Stürzen oft. Nahles erfährt am Montag unverhoffte Solidarität, was nach zwei krachenden Walniederlagen keine Selbstverständlichkeit ist, aber auch nicht von Dauer sein muss.

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    Sieger und Verlierer der Wahl in Hessen

    Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident von Hessen, lässt sich trotz großer Verluste neben seiner Ehefrau Ursula von den Anhängern der CDU feiern. Bouffier sagte später, seine Partei hätte ihre Wahlziele erreicht.
    Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident von Hessen, lässt sich trotz großer Verluste neben seiner Ehefrau Ursula von den Anhängern der CDU feiern. Bouffier sagte später, seine Partei hätte ihre Wahlziele erreicht. © dpa | Boris Roessler
    Die Spitzenkandidaten Priska Hinz und Tarek Al-Wazir von den Grünen mit der Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock waren in Jubellaune. Sie haben in Hessen deutlich zugelegt.
    Die Spitzenkandidaten Priska Hinz und Tarek Al-Wazir von den Grünen mit der Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock waren in Jubellaune. Sie haben in Hessen deutlich zugelegt. © dpa | Uwe Anspach
    Partystimmung auch in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Berlin: Michael Kellner, Katrin Göring-Eckardt, Robert Habeck und Claudia Roth feierten das beste Ergebnis, das die Grünen in Hessen jemals erzielt haben.
    Partystimmung auch in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Berlin: Michael Kellner, Katrin Göring-Eckardt, Robert Habeck und Claudia Roth feierten das beste Ergebnis, das die Grünen in Hessen jemals erzielt haben. © dpa | Arne Immanuel Bänsch
    Die SPD um Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel muss sich nach der Wahl in Bayern nun auch in Hessen geschlagen geben. Er habe aus Berlin nicht nur keinen Rückenwind bekommen, sagte Schäfer-Gümbel, es hätten ihm sogar starke Böen ins Gesicht geweht.
    Die SPD um Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel muss sich nach der Wahl in Bayern nun auch in Hessen geschlagen geben. Er habe aus Berlin nicht nur keinen Rückenwind bekommen, sagte Schäfer-Gümbel, es hätten ihm sogar starke Böen ins Gesicht geweht. © dpa | Arne Dedert
    „Es muss sich in der SPD etwas tun“, kündigte die sichtlich getroffene SPD-Chefin Andrea Nahles an. Sie stellte auch die Zukunft der GroKo in Frage. „Der Zustand der Bundesregierung ist nicht akzeptabel.“
    „Es muss sich in der SPD etwas tun“, kündigte die sichtlich getroffene SPD-Chefin Andrea Nahles an. Sie stellte auch die Zukunft der GroKo in Frage. „Der Zustand der Bundesregierung ist nicht akzeptabel.“ © dpa | Kay Nietfeld
    Die AfD stößt gemeinsam auf den Wahlerfolg an: Die Partei ist zum ersten Mal im hessischen Landtag vertreten.
    Die AfD stößt gemeinsam auf den Wahlerfolg an: Die Partei ist zum ersten Mal im hessischen Landtag vertreten. © dpa | Frank Rumpenhorst
    Rene Rock und seine FDP konnten sich ebenfalls freuen. Sie ziehen erneut in den Landtag ein und können möglicherweise sogar mitregieren.
    Rene Rock und seine FDP konnten sich ebenfalls freuen. Sie ziehen erneut in den Landtag ein und können möglicherweise sogar mitregieren. © dpa | Silas Stein
    Janine Wissler und Jan Schalausken, Spitzenkandidaten der Linken, wurden mit Applaus von ihren Kollegen empfangen. Ihre Partei legte laut den ersten Hochrechnungen leicht zu.
    Janine Wissler und Jan Schalausken, Spitzenkandidaten der Linken, wurden mit Applaus von ihren Kollegen empfangen. Ihre Partei legte laut den ersten Hochrechnungen leicht zu. © dpa | Thomas Frey
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    Die Bilder der um Worte für den Niedergang ringenden Vorsitzenden hatten den Eindruck verstärkt, die erst seit April amtierende Chefin werde bei der Herkulesaufgabe, die Volkspartei SPD vor dem Untergang zu bewahren, mehr oder weniger allein gelassen. „Wir gucken auch Fernsehen und lesen Zeitung“, sagte Weil über den Lerneffekt, der nun zum neuen Bühnenbild führte.

    Tribunal über die Parteivorsitzende

    Einige in der SPD wollten Nahles ans Leder, weil die Partei wieder einmal als Juniorpartner der Union in einer großen Koalition böse unter die Räder geraten ist. Im Vorfeld war die Sitzung des Vorstandes teilweise zu einer Art Tribunal über die Parteivorsitzende stilisiert worden.

    Rufe nach einem Vorziehen des für Herbst 2019 geplanten Parteitages wurden laut, um schon im Frühjahr über den Fortbestand der Koalition und letztlich auch über Nahles abzustimmen. „Wenn jemand meint, es schneller oder besser zu können, soll er sich melden“, hatte sie ihren Kritikern vor der Sitzung in einem Interview zugerufen.

    Die Vorsitzenden der SPD seit 1946

    Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
    Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963.
    Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
    Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987.
    Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987. © BM | imago/ Sven Simon
    Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt.
    Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt. © imago stock&people | imago stock&people
    Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück.
    Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück. © imago/Rainer Unkel | imago stock&people
    Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch.
    Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch. © imago/photothek | Thomas Imo
    Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995.
    Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995. © imago stock&people | imago stock&people
    Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging.
    Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging. © BM | imago/ Jürgen Eis
    Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004.
    Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004. © imago stock&people | imago stock&people
    Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur.
    Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur. © BM | imago/ Rainer Unkel
    Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück.
    Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück. © BM | imago/ Michael Schöne
    Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte.
    Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte. © imago stock&people | imago stock&people
    Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze.
    Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze. © BM | imago/ Rainer Unkel
    Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an.
    Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an. © imago stock&people | imago stock&people
    Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt.
    Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt. © imago/ZUMA Press | Emmanuele Contini
    Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen.
    Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch.
    Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch. © Adam Berry/Getty Images | Adam Berry
    Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021.
    Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
    Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze.
    Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze. © dpa
    Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die
    Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die "Alte Tante SPD". © Privat | Privat
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    Und wagte sich jemand aus der Deckung, Zeit dafür gab es reichlich, mehr als drei Stunden brütete der Vorstand? Die „Köpfe“ seien dran geblieben, erklärte der aus Hannover angereiste Regierungschef Weil nach der Pressekonferenz.

    In Präsidium und Vorstand hätten sich alle in die Hand versprochen, „dass wir uns am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen müssen“.

    Mehrheit entscheidet sich für Neustart der GroKo

    Die Jusos kämpften in der Sitzung für einen früheren Parteitag, offene Kritik oder Forderungen nach einem Rücktritt von Nahles gab es nach Angaben von Teilnehmern aber nicht. Damit niemand behaupten konnte, er sei nicht gefragt worden, lässt Nahles abstimmen. Die Stimmen werden nicht ausgezählt, aber das Meinungsbild ist eindeutig.

    Etwa zwei Drittel stützen Nahles’ Linie, nicht kopflos die Regierung zu verlassen und sich in gefährliche Neuwahlen zu stürzen, sondern auf einen Neustart der Koalition zu setzen.

    Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, empfiehlt mehr Optimismus: „Die Leute schauen in unsere Gesichter und haben den Eindruck, wir diskutieren über die Verschiebung von Parteitagen. Das hat nichts mit der Lebensrealität der Menschen zutun.“ Auch Karl Lauterbach, der SPD-Gesundheitsguru mit der Fliege, mahnt, die Selbstbeschäftigung einzustellen: „Die SPD braucht bessere Laune.“

    SPD-Genossen wollen Zeit gewinnen

    Überraschenderweise vertagt die SPD-Führung dann einen erwarteten Beschluss über den von Nahles erarbeiteten Fahrplan, was die Partei denn zwingend mit den Koalitionspartnern CDU und CSU in den nächsten Monaten umsetzen muss, um den GroKo-Kritikern entgegenzukommen.

    „Das hätte doch nach Alarmismus ausgesehen. Die stehen bei 13 Prozent und hauen eine Forderung nach der anderen aus. Wir müssen die Nerven bewahren, auch wenn es schwer fällt“, sagte ein Spitzengenosse dazu. Nun sollen die Arbeiten an der Parteireform bis zum 14. Dezember fortgesetzt werden. Nahles spricht von einem „Klärungsprozess“, der bis Weihnachten abgeschlossen sein solle. Dann wird es erneut eine Klausur der SPD-Spitze geben.

    Dass die Genossen Zeit gewinnen wollen, ist nachvollziehbar. Was würde es bringen, wenn Nahles Kanzlerin Angela Merkel jetzt eine to-do-Liste übergeben würde, nach dem CDU-Parteitag Anfang Dezember mit dem Rückzug Merkels vom Parteivorsitz aber

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    , Annegret Kramp-Karrenbauer oder

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    bei den Christdemokraten die großen Linien vorgeben?

    SPD debattiert am Wochenende in Berlin

    Ministerpräsident Weil rechnet damit, dass die CDU in der Nach-Merkel-Ära auf jeden Fall einen „Rechtsruck“ vollziehen werde – was der SPD als Partei für den gesellschaftlichen Zusammenhalt strategisch neue Spielräume eröffnen könnte.

    Nahles wiederholte, auf welchen Feldern ihre Partei beweisen muss, dass sie noch gebraucht wird. Kinderarmut, Pflege, Mietenstopp für fünf Jahre, dauerhaft sichere Rente. An diesem Wochenende veranstaltet die SPD in Berlin ein großen Debattencamp, zu dem mehr als 2000 Teilnehmer sowie die linken Ministerpräsidenten Alexis Tsipras aus Griechenland und Pedro Sanchez aus Spanien erwartet werden.

    Es wird um die kleinen und ganz großen Fragen gehen: Wie soll der Sozialstaat der Zukunft ohne Hartz IV aussehen, wie kann die im Industriezeitalter groß gewordene SPD in der digitalen Welt überleben? Nahles nimmt das Brainstorming mit der eigenen Basis ernst.

    Europawahl 2019 für die SPD entscheidend

    Rückblickend auf die Zeit seit der Bundestagswahl wird in der Partei aber als größter strategischer Fehler eingeschätzt, dass Anhängern und Wählern eine komplette „Erneuerung“ der SPD versprochen worden war. Nun regiert die Partei mal wieder ordentlich, hat es aber noch schwerer als früher, eigene Erfolge als neu und bahnbrechend zu verkaufen.

    So dürfte es Nahles ohne Wahlerfolge und steigende Umfragewerte dauerhaft kaum gelingen, die 450.000 Mitglieder bei Laune und in der Koalition zu halten. Zur „wichtigsten Auseinandersetzung“ des kommenden Jahres rief sie nun die Europawahl aus.

    Am Abschneiden der SPD, die 2014 mit Martin Schulz als Spitzenkandidat aus heutiger Sicht famose 27,3 Prozent erreichte, wird Nahles spätestens gemessen werden, ebenso wie am Ausgang der parallel stattfindenden Landtagswahl in Bremen, wo die Partei kämpfen muss, nicht erstmals seit dem Krieg die Macht zu verlieren.

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      Den Humor haben sie in der SPD-Spitze nicht verloren. Welchen Spitzengenossen auf der Bühne der

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      wohl gemeint habe, als er von „linksradikalen Kräften“ in der SPD gesprochen habe, die ihn aus dem Amt gedrängt hätten, fragt ein Reporter.

      „Alle“, antwortet Weil mit breitem Grinsen. Auch Nahles, die einst ihre Karriere ganz links als krawallige Juso-Chefin begann, lacht auf. „Wenn man lange genug bei mir gräbt, sollte was zutage kommen.“ Aber Maaßen sei jetzt „Geschichte“, ergänzt Nahles. Sie selbst hat ein paar Monate gewonnen, damit der SPD und der großen Koalition dieses Schicksal erspart bleiben.