Berlin/Chemnitz. Seit sechs Monaten ist Franziska Giffey (SPD) Familienministerin. Sie kommt gut bei den Leuten an. Ganz besonders, wenn sie berlinert.

Sie hat weiße Rosen mitgebracht, die legt sie dort nieder, wo in der Nacht zu Sonntag der 35-jährige Daniel H. niedergestochen wurde.

ist das erste Mitglied der Bundesregierung, das nach den Vorfällen dieser Woche

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besucht.

Als Angelas Merkels Minister am Mittwoch im Kabinett noch überlegten, wer hinfahren könnte, hatte Giffey bereits für diesen Freitag einen Termin mit Bürgermeisterin Barbara Ludwig ausgemacht. „Wir müssen Gesicht zeigen“, sagt die SPD-Politikerin. Die Menschen dürften nicht „das Gefühl haben, dass sie allein sind“. Ein Satz, der nicht nur für Chemnitz gilt.

Franziska Giffey versteckt sich nicht hinter Politikerformeln

Wer Giffey in diesen Tagen beobachtet, erlebt eine Ministerin, die ein großes Talent dazu hat, Gesicht zu zeigen. Und die dabei erstaunlich gut ankommt. Morgens begeistert sie eine Truppe junger Fußballfans, mittags entzückt sie dreijährige Kita-Kinder und abends rockt sie einen ganzen Saal mit Frankfurter Bildungsbürgern.

Giffey gelingt das, weil sie eine schlichte Wahrheit beherzigt: Versteck dich nicht hinter Politikerformeln, sondern sag, was Sache ist. Die ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln hat ihren Kiez verlassen, aber ihren Stil behalten: mal schnoddrig, mal fürsorglich – aber immer so, dass die Leute nachher denken: „Mensch, die war aber erfrischend!“

Das ist das Bundeskabinett

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am 14. März 2018 zum vierten Mal zur Regierungschefin gewählt worden. Auch ihr Bundeskabinett aus SPD-, CDU- und CSU-Ministern wurde vereidigt. Wir stellen das Kabinett vor.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am 14. März 2018 zum vierten Mal zur Regierungschefin gewählt worden. Auch ihr Bundeskabinett aus SPD-, CDU- und CSU-Ministern wurde vereidigt. Wir stellen das Kabinett vor. © dpa | Gregor Fischer
Nach der Wahl im Bundestag wurde Merkel von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zur Bundeskanzlerin ernannt.
Nach der Wahl im Bundestag wurde Merkel von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zur Bundeskanzlerin ernannt. © Getty Images | Michele Tantussi
Ursula von der Leyen (CDU) bleibt Bundesverteidigungsministerin. Sie ist eine von drei Frauen aus der sechsköpfigen CDU-Ministerriege.
Ursula von der Leyen (CDU) bleibt Bundesverteidigungsministerin. Sie ist eine von drei Frauen aus der sechsköpfigen CDU-Ministerriege. © dpa | Wolfgang Kumm
Peter Altmaier (CDU) ist Wirtschaftsminister. Zuvor war der Merkel-Vertraute Bundesminister für besondere Aufgaben – der offizielle Name für den Posten, der kurz Kanzleramtsminister genannt wird.
Peter Altmaier (CDU) ist Wirtschaftsminister. Zuvor war der Merkel-Vertraute Bundesminister für besondere Aufgaben – der offizielle Name für den Posten, der kurz Kanzleramtsminister genannt wird. © imago/Metodi Popow | M. Popow
Anja Karliczek (CDU) ist Ministerin für Bildung und Forschung. Vor ihrer Vereidigung war sie Bundestagsabgeordente aus NRW.
Anja Karliczek (CDU) ist Ministerin für Bildung und Forschung. Vor ihrer Vereidigung war sie Bundestagsabgeordente aus NRW. © imago/photothek | Florian Gaertner/photothek.net
Jens Spahn (CDU) ist Gesundheitsminister. Zuvor war er parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium.
Jens Spahn (CDU) ist Gesundheitsminister. Zuvor war er parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium. © dpa | Kay Nietfeld
Julia Klöckner ist Landwirtschaftsministerin und gleichzeitig CDU-Vize sowie Mitglied im CDU-Bundesvorstand.
Julia Klöckner ist Landwirtschaftsministerin und gleichzeitig CDU-Vize sowie Mitglied im CDU-Bundesvorstand. © dpa | Andreas Arnold
Der CDU-Politiker Helge Braun, Jahrgang 1972, ist neuer Kanzleramtsminister.
Der CDU-Politiker Helge Braun, Jahrgang 1972, ist neuer Kanzleramtsminister. © imago/photothek | Inga Kjer/photothek.net
CSU-Chef Horst Seehofer, als bayerischer Ministerpräsident von seiner Partei nicht mehr gewollt, ist Innenminister. Die CSU handelte indes aus, dass das Innenministerium um die Bereiche Heimat und Bauen erweitert wird.
CSU-Chef Horst Seehofer, als bayerischer Ministerpräsident von seiner Partei nicht mehr gewollt, ist Innenminister. Die CSU handelte indes aus, dass das Innenministerium um die Bereiche Heimat und Bauen erweitert wird. © imago/IPON | Stefan Boness/Ipon
Die CSU stellt insgesamt drei Minister, darunter auch Andreas Scheuer, zuvor Generalsekretär seiner Partei: Der Politiker Jahrgang 1974 ist Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Die CSU stellt insgesamt drei Minister, darunter auch Andreas Scheuer, zuvor Generalsekretär seiner Partei: Der Politiker Jahrgang 1974 ist Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. © dpa | Kay Nietfeld
Gerd Müller (CSU) bekam seine Ernennungsurkunde als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ebenfalls von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Müller hatte das Amt auch schon im vorhergehenden Merkel-Kabinett inne.
Gerd Müller (CSU) bekam seine Ernennungsurkunde als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ebenfalls von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Müller hatte das Amt auch schon im vorhergehenden Merkel-Kabinett inne. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
Die SPD stellt insgesamt sechs Minister in der dritten großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel. Olaf Scholz ist Finanzminister und der Vizekanzler. Der SPD-Politiker war zuvor Hamburgs Erster Bürgermeister und von 2002 bis 2004 SPD-Generalsekretär.
Die SPD stellt insgesamt sechs Minister in der dritten großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel. Olaf Scholz ist Finanzminister und der Vizekanzler. Der SPD-Politiker war zuvor Hamburgs Erster Bürgermeister und von 2002 bis 2004 SPD-Generalsekretär. © imago/IPON | Stefan Boness/Ipon
Heiko Maas (SPD) ist in Merkel Kabinett Außenminister. Im Kabinett Merkel III hatte er zuvor das Amt des Justizministers inne.
Heiko Maas (SPD) ist in Merkel Kabinett Außenminister. Im Kabinett Merkel III hatte er zuvor das Amt des Justizministers inne. © dpa | Michael Kappeler
Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, ist Arbeits- und Sozialminister und bekam die entsprechende Urkunde vom Bundespräsidenten.
Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, ist Arbeits- und Sozialminister und bekam die entsprechende Urkunde vom Bundespräsidenten. © Getty Images | Michele Tantussi
Franziska Giffey (SPD), zuvor Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln, ist die neue Familienministerin.
Franziska Giffey (SPD), zuvor Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln, ist die neue Familienministerin. © dpa | Karlheinz Schindler
Svenja Schulze (SPD), bisher Generalsekretärin der NRW-SPD, hat nun den Posten als Umweltministerin inne.
Svenja Schulze (SPD), bisher Generalsekretärin der NRW-SPD, hat nun den Posten als Umweltministerin inne. © dpa | Rolf Vennenbernd
Und das sind die Staatsminister: SPD-Politiker Michael Roth ist Staatsminister für Europaangelegenheiten im Auswärtigen Amt.
Und das sind die Staatsminister: SPD-Politiker Michael Roth ist Staatsminister für Europaangelegenheiten im Auswärtigen Amt. © Getty Images | Carsten Koall
Die CSU-Politikerin Dorothee Bär ist Staatsministerin für Digitales und im Kanzleramt angesiedelt.
Die CSU-Politikerin Dorothee Bär ist Staatsministerin für Digitales und im Kanzleramt angesiedelt. © dpa | Karlheinz Schindler
SPD-Politikerin Katarina Barley übernahm zunächst das Justizministerium. Nach der Europawahl wechselt sie allerdings nach Brüssel.
SPD-Politikerin Katarina Barley übernahm zunächst das Justizministerium. Nach der Europawahl wechselt sie allerdings nach Brüssel. © imago/Reiner Zensen | Reiner Zensen
Neue Bundesjustizministerin wird Christine Lambrecht (SPD). Sie war zuvor parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion.
Neue Bundesjustizministerin wird Christine Lambrecht (SPD). Sie war zuvor parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. © imago/Metodi Popow | M. Popow
Monika Grütters (CDU) bleibt Kulturstaatsministerin.
Monika Grütters (CDU) bleibt Kulturstaatsministerin. © Getty Images | Pascal Le Segretain
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering, Frau des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, ist Staatsministerin für internationale Kulturpolitik.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering, Frau des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, ist Staatsministerin für internationale Kulturpolitik. © dpa | Kay Nietfeld
Feierlicher Termin am 14. März 2018 im Schloss Bellevue in Berlin (v.l.n.r.): Helge Braun (CDU), Gerd Müller (CSU), Anja Karliczek (CDU), Jens Spahn (CDU), Katarina Barley (SPD, inzwischen nach Brüssel gewechselt), Julia Klöckner (CDU), Ursula von der Leyen (CDU), Heiko Maas (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz (SPD), Horst Seehofer (CSU), Peter Altmaier (CDU), Hubertus Heil (SPD), Franziska Giffey (SPD), Andreas Scheuer (CSU) und Svenja Schulze (SPD).
Feierlicher Termin am 14. März 2018 im Schloss Bellevue in Berlin (v.l.n.r.): Helge Braun (CDU), Gerd Müller (CSU), Anja Karliczek (CDU), Jens Spahn (CDU), Katarina Barley (SPD, inzwischen nach Brüssel gewechselt), Julia Klöckner (CDU), Ursula von der Leyen (CDU), Heiko Maas (SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz (SPD), Horst Seehofer (CSU), Peter Altmaier (CDU), Hubertus Heil (SPD), Franziska Giffey (SPD), Andreas Scheuer (CSU) und Svenja Schulze (SPD). © dpa | Bernd von Jutrczenka
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Giffey berlinert heftig, wenn sie will. Und sie will oft: Weil sie damit das Eis schmelzen kann – zwischen der Bundesministerin und den Leuten, für die sie Politik machen will. „Hingehen, zuhören, handeln“ – das ist ihr Mantra, nicht erst seit sie vor knapp einem halben Jahr Familienministerin geworden ist.

Giffey kann zum Wähler durchdringen

In der SPD gilt sie deswegen als Hoffnungsträgerin, viele sehen in ihr einen Politikertyp, der schaffen kann, was vielen nicht mehr gelingt: zum Wähler durchdringen. Doch auch das gehört zur Wahrheit: Viele im Land kennen die Frau, die mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn in Berlin lebt, überhaupt nicht.

Leon zum Beispiel, 16 Jahre alt, Teilnehmer des Demokratieprojekts von DFB-Pokalsieger Eintracht Frankfurt. Giffey ist im Zuge ihrer Sommerreise durch Deutschland am Donnerstag zu Besuch gekommen. „Ich habe sie gestern erst gegoogelt“, sagt der Junge und blickt aufmerksam zu der Frau im roten Kostüm rüber, die gerade ins Eintracht-Trikot geschlüpft ist.

In der hektisch organisierten Talkrunde mit den Jugendlichen redet sie nicht lange um den heißen Brei: „Was ist mit Mobbing? Redet ihr über sowas?“, fragt sie. Es geht um Respekt, Toleranz und darum, was der Sport dazu beitragen kann.

Man kann sich Giffey auch gut als Lehrerin vorstellen – eine von denen, die aus jedem Schüler sein Bestes herauskitzeln wollen. „Die interessiert sich wirklich“, sagt Eintracht-Vorstand Axel Hellmann nachher. „Von solchen Politikern wünscht man sich mehr.“

„Echt jetzt!“

Zuhören ist das neue Zauberwort in der deutschen Politik. „Es ist immer gut, wenn die Politik mal rausgeht“, sagt Giffey, manchmal sagt sie sogar „jut“ statt „gut“. In dieser Woche ist Giffey viel unterwegs. Sie hockt auf Kitastühlen, spricht mit Alleinerziehenden und Leuten, die sich gegen die Ausbreitung rechter Gruppen in ihrem Ort wehren.

Dass die 40-Jährige auch Säle mit westdeutschen Bildungsbürgern zum Jubeln bringen kann, zeigt sich bei der Eröffnung der Ausstellung zu 100 Jahren Frauenwahlrecht in Frankfurt: Sie beklagt wie ihre Vorgängerinnen, dass in den Vorständen der Unternehmen immer noch 94 Prozent Männer sitzen.

Aber sie hat eine Pointe: Eine Studie, erzählt Giffey, habe herausgefunden, dass nicht nur fast

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– „sie heißen auch noch fast alle Thomas oder Michael.“ Pause. „Echt jetzt!“

Mehr Mittel für Kinderbetreuung

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bei dem der Bund 5,5 Milliarden Euro in bessere Betreuungsqualität und niedrigere Elternbeiträge stecken will. Sie wirbt auch für Demokratieprojekte und mehr Anerkennung für soziale Berufe. Nur ein Wort nimmt sie dabei kaum in den Mund: SPD. Es scheint fast so, als wolle sie am liebsten gar nicht an ihre Partei erinnert werden.

Zu Spekulationen, sie könne die nächste regierende Bürgermeisterin in Berlin werden, bleibt sie wortkarg. Und dass sie nicht ständig für die SPD wirbt und auf die CDU eindrischt? Nun, da windet sie sich heraus: Es sei doch wohl klar, dass sie alles, was sie tue, als Sozialdemokratin tue. Doch der Eindruck bleibt, dass hier jemand versucht, möglichst nicht mit quälenden Dingen in Verbindung gebracht zu werden: nicht mit der Krise der SPD, nicht mit dem Gezänk in der Koalition. Giffey macht SPD-Politik ohne SPD-Etikett.

Dabei könnten die Genossen einiges von ihr lernen: Giffeys Stil, diese direkte, barrierefreie Sprache, klingt wie das Gegenmittel zu der bitteren Diagnose, die sich die SPD nach dem letzten Bundestagswahlkampf gestellt hat. In der Fehleranalyse heißt es klar: Die Sozialdemokraten reden über die Köpfe der Menschen hinweg. Zu hölzern, zu technokratisch, zu lahm.

Giffey will so bleiben wie sie ist

„Wir müssen an unserer Sprache arbeiten. Wir haben das viel zu sehr vernachlässigt“, sagt Giffey unserer Redaktion. „Es hilft nichts, gute Politik zu machen, wenn die Leute gar nicht verstehen, was wir vorhaben.“ Als ersten Schritt hat Giffey das „Kita-Qualitätsentwicklungs-Finanzierungsgesetz“ in „Gute-Kita-Gesetz“ umbenannt. „Wenn man für gute Politik gute Begriffe findet, dringt man viel besser zu den Menschen durch.“

Giffey hat ihre Leute gebeten, gut auf sie aufzupassen: dass sie so bleibt wie sie ist. Dass sie nicht abhebt, keine Allüren entwickelt. Oder plötzlich nur noch Hochdeutsch spricht. Doch die Sache ist riskant: „Was zunächst Authentizität, Alltagsnähe und eine gewisse Durchdringungsdichte suggerierte, erschien, je länger desto phrasenhafter und gestanzter, leblos und abstrakt.“

Der Satz aus der Wahlanalyse bezieht sich auf Martin Schulz, nicht auf Giffey. Auch Schulz war am Anfang so beliebt, weil er authentisch wirkte. Doch das verpuffte. Schon fragen die ersten, was Giffey eigentlich erreicht habe. Das Gute-Kita-Gesetz soll jetzt immerhin im September ins Kabinett kommen. Es wäre ihr erster großer Erfolg als Ministerin.