Berlin. Bundesregierung will intensiver als bisher ausländische Fachkräfte anwerben, um die Personalnot zu lindern. Experten sind skeptisch.

Die Pflegerin aus Weißrussland kennt oft die passenden deutschen Wörter nicht. Sie ersetzt sie dann mit Begriffen, die etwas Ähnliches bezeichnen. Kommt sie zum Beispiel morgens, um den Bewohnern des Pflegeheims beim Zähneputzen zu helfen, sagt sie „Prothese, Prothese!“. Doch viele haben gar keine Prothese und sind verwirrt, weil die Pflegerin so energisch darauf besteht. Die Heimleitung entschied am Ende, sich von der 51-Jährigen zu trennen. Das Risiko war zu groß, dass aus sprachlichen Missverständnissen ein echtes Risiko wurde.

Im gleichen Haus arbeitet auch ein 40-jähriger Pfleger aus Kroatien. Er hat bereits gut Deutsch gelernt, will aber noch mehr können, um auch die Redewendungen und Sprichwörter der Heimbewohner zu verstehen. Weil nur so wirkliche Nähe entstehen kann. Die Heimleitung fördert das, denn Pflegekräfte sind rar – und so engagierte erst recht.

Wer in diesen Tagen über den Pflegenotstand in Deutschland spricht, landet automatisch bei den Hunderttausenden Frauen und Männern aus dem Ausland, die Deutschland bereits jetzt vor einem Personalkollaps bewahren. Und es sollen noch mehr werden: Die Regierung will stärker als bisher Pflegekräfte aus dem Ausland rekrutieren, um die wachsende Personalnot zu lindern. Eine gute Idee?

Wie viele ausländische Pflegekräfte arbeiten derzeit in Deutschland?

2017 waren insgesamt rund 1,8 Millionen Menschen in der Pflege tätig – 317.000 (17,7 Prozent) davon kamen aus dem Ausland. 70.000 dieser Pflegekräfte stammen aus Polen, sie stellen damit die größte Gruppe. Weitere größere Zuwanderergruppen, die als Pflegekräfte tätig sind, kommen aus der Russischen Föderation (32.000), aus Kasachstan (31.000), aus Rumänien (19.000), aus der Türkei (13.000) sowie aus Bosnien und Herzegowina (12.000).

© Rudolf Stumberger

Die allermeisten sind Frauen – wobei es große Differenzen bei den Nationalitäten gibt: Liegt der Frauenanteil bei den Pflegekräften vom Balkan bei 72 Prozent, sind es bei Zuwanderern aus Polen oder Kasachstan mehr als 90 Prozent. Hinzu kommen Pfleger, die nicht in den Statistiken auftauchen: Experten schätzen, dass mehr als 200.000 Haushalte in Deutschland eine Betreuungskraft aus Osteuropa beschäftigen – zum Teil am Rande oder sogar jenseits der Legalität.

Wie läuft es im Alltag?

Es könnte besser laufen: Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass die meisten Arbeitgeber, die bereits ausländische Pfleger eingestellt haben, zwar insgesamt zufrieden waren. Doch immerhin jeder Zweite beklagte Probleme mit Behörden und Ämtern, jeder Dritte ärgerte sich zudem über Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche und beim Familiennachzug. Einer von drei Personalchefs war unzufrieden mit den Fachkenntnissen

In anderen Fällen berichteten Arbeitgeber aber auch von Problemen durch Unterforderung. Denn: Hilfsdienste wie Waschen oder Füttern gehören in manchen Ländern gar nicht zur Tätigkeit examinierter Pflegekräfte. Viele Pflegekräfte aus Spanien seien zuletzt auch deshalb wieder in ihre Heimat zurückgegangen, sagt Christel Bienstein, Präsidentin des Berufsverbands für Pflegeberufe.

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    Kulturelle Konflikte, Ressentiments und Probleme mit Kollegen beklagten die Personalchefs dagegen nur selten. Genau das sehen die ausländischen Pfleger jedoch zum Teil anders: Pflegekräfte mit Migrationshintergrund haben laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung schlechtere Arbeitsbedingungen als einheimische Pflegekräfte: Sie leisten demnach öfter Überstunden und fühlen sich häufiger erschöpft. Von ausländerfeindlichen Kommentaren seien 15 Prozent betroffen.

    Was plant die Regierung?

    „Das Anwerben ausländischer Pflegekräfte ist ein Baustein von vielen, um bei uns die Personalsituation in der Pflege zu verbessern“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unserer Redaktion. Die deutschen Botschaften müssen künftig deutlich schneller als bisher solche Visa-Anträge bearbeiten. Wer in seinem Heimatland Deutsch gelernt und eine Pflegeausbildung absolviert hat, ist für unsere Gesellschaft ein Gewinn.“

    Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
    Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). © Getty Images | Carsten Koall

    Spahn geht aktuell von einer Lücke von bis zu 50.000 Pflegekräften auf dem deutschen Arbeitsmarkt aus. Weil es in Deutschland nicht genug Bewerber gibt, will Spahn nun stärker als bisher im Ausland suchen – allerdings „nur in Ländern mit sehr junger Bevölkerung, die nicht selbst dringend Pflegekräfte benötigen“. Im Kosovo und in Albanien sei die Pflegeausbildung häufig besser, als man denke. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will zudem für ausländische Pflegekräfte eine halbjährige Aufenthaltserlaubnis zur Jobsuche einführen. Sie würden in dieser Zeit kein Geld aus den Sozialsystemen erhalten und müssten wieder gehen, wenn sie keine Stelle als Pflegekraft gefunden hätten.

    Warum sind viele Experten skeptisch?

    „Die Rolle der ausländischen Pflegekräfte bei der Lösung des Pflegenotstands wird dramatisch überschätzt“, sagte SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach unserer Redaktion. „Wer darauf setzt, begeht einen Denkfehler: In den nächsten Jahren werden wir eher einen Rückgang der Ausländer in der Pflege erleben.“

    SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach.
    SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. © imago/Klaus W. Schmidt | Klaus W. Schmidt

    Das liege daran, dass die Löhne in Osteuropa, zum Beispiel in Polen, langsam stiegen und viele Pfleger wieder nach Hause zurückkehren würden. „Gleichzeitig ist es ethisch problematisch, den Arbeitsmarkt in Ländern wie Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien oder anderen Balkanländern zu plündern.“ In vielen osteuropäischen Ländern herrsche jetzt schon Pflegermangel.

    Auch der Bremer Pflegeforscher Heinz Rothgang warnt vor überzogenen Hoffnungen: „Es reicht ja nicht, wenn Fachkräfte zwar wissen, wie Pflege geht, aber nicht in Kontakt mit den häufig alten und dementen Menschen treten können.“ Experten verlangen Sprachkenntnisse auf B2-Niveau – das heißt: Sie müssen sich fließend mit Muttersprachlern unterhalten können. Nicht nur bei der Morgentoilette.