Berlin. Erst wird der mutmaßlicher Leibwächter Bin Ladens abgeschoben, dann soll er zurückgeholt werden – weil die Politik die Justiz überging.

Die Abschiebung in den frühen Morgenstunden war das vorläufige Ende einer langen Geschichte:

, mutmaßlicher Leibwächter von Al-Kaida-Chef Bin Laden, hatte 2006 in Deutschland Asyl beantragt. Am Freitag brachte ein Flug von Düsseldorf nach Enfidha den 42-Jährigen in sein tunesisches Heimatland.

Doch A. könnte schon bald wieder zurück sein. Denn die Abschiebung war möglicherweise rechtswidrig. Das zuständige Gericht fühlt sich übergangen, das Land Nordrhein-Westfalen verteidigt sein Vorgehen und der Bundesinnenminister schweigt.

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ist seit Langem im Visier der Behörden. Bereits in dem Jahr, in dem er Asyl beantragt, beginnt die Bundesanwaltschaft, gegen ihn zu ermitteln. Der Verdacht: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. A. soll Ende 1999, Anfang 2000 eine militärische Ausbildung bei Al Kaida absolviert haben und sogar Teil der Leibgarde Osama bin Ladens gewesen sein. A. bestreitet das, das Verfahren wird 2007 eingestellt. Ein Anspruch auf Asyl wird ihm nicht zuerkannt, doch abgeschoben werden kann er auch nicht: In Tunesien drohen ihm Folter und unmenschliche Behandlung, entscheidet damals das Verwaltungsgericht Düsseldorf.

Auch zweiter Versuch der Abschiebung scheiterte

Das zuständige

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versucht es einige Jahre später erneut: Mit dem Arabischen Frühling, argumentiert das Amt 2014, und dem Sturz von Diktator Zine el-Abidine Ben Ali habe sich die Situation in dem nordafrikanischen Land ausreichend verbessert, sodass A., der mit Frau und Kindern in Bochum lebt, nun abgeschoben werden könne.

Erneut sieht ein Gericht das anders. Im Juni dieses Jahres nimmt das Bamf schließlich erneut Anlauf und ordnet die sofortige Abschiebung A.s an. Der Fall hat da längst eine politische Dimension gewonnen: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), im Streit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bemüht, durchsetzungsstark und hart in der Asylpolitik zu wirken, sagt schon im Mai, er sei „entschlossen“, an der Abschiebung „weiter dranzubleiben“. Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) will „alles“ unternehmen, um A. loszuwerden.

69 zum 69. - Seehofer-Zitat zur Abschiebung

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    Bundesamt soll wichtigen Punkt verschwiegen haben

    Doch A. wehrt sich juristisch, der Fall landet beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Die Konstellation ist nicht ungewöhnlich, viele Anträge auf Asyl werden in letzter Instanz von Gerichten entschieden. In den allermeisten Fällen, sagt Wolfgang Thewes, Sprecher des Verwaltungsgerichtes Gelsenkirchen, ist die Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden dabei reibungslos.

    Nicht so in diesem Fall: Mehrmals fragt das Gericht beim Bamf nach, ob ein Termin für die Abschiebung bereits angesetzt sei, erhält keine Antwort. Aus Akten der Ausländerbehörde erfährt die Kammer schließlich, dass es bereits einen Termin für die Abschiebung gibt: Donnerstag, den 12. Juli.

    Üblich, so erklärt es Thewes, sei in solchen Fällen eine sogenannte Stillhaltezusage, mit der das Bamf zusichert, keine Tatsachen zu schaffen, bevor das Gericht entscheiden kann. Eine solche fordert das Amtsgericht auch in diesem Fall. Sollte es die nicht geben, will die Kammer eine Abschiebung mit einem vorläufigen Beschluss zunächst verhindern. Das Bamf beschwichtigt: Eine Stillhaltezusage sei nicht nötig, der Abschiebeflug am Donnerstag sei ohnehin storniert. Dass es dafür einen neuen Termin einen Tag später gibt, teilt das Amt nicht mit.

    A. saß seit einer Stunde in der Luft als das Fax kam

    Für das Gericht ist klar: „Das Bundesamt hat den entscheidenden Punkt verschwiegen“, so Thewes. Denn: „Wenn der konkrete Termin uns mitgeteilt worden wäre, hätte die Kammer unverzüglich eine Zwischenentscheidung erlassen.“ Im Glauben, Zeit zu haben, verzichten die Richter darauf.

    Stattdessen entscheiden sie am Donnerstagabend, ausführlich begründet auf 22 Seiten, dass A. nicht abgeschoben werden dürfe, da ihm in Tunesien noch immer Folter drohe. Als die Entscheidung die Geschäftsstelle des Gerichts erreicht, sind alle im Feierabend. Verschickt wird die Entscheidung erst am Freitagmorgen: Das Bamf bekommt die Mitteilung um 8:10 per Computerfax. Da ist die Maschine, in der Sami A. sitzt, seit mehr als einer Stunde in der Luft.

    Mittlerweile sitzt A. in Tunesien in Haft

    Das Gericht fordert jetzt, A. zurückzuholen, da seine Abschiebung „grob rechtswidrig“ gewesen sei und grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien verletzte. Joachim Stamp, Flüchtlingsminister in NRW, verteidigt die Abschiebung. Es habe zum Zeitpunkt des Flugs keine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes vorgelegen, so Stamp.

    Innenminister Seehofer, dem A.s Abschiebung nach Angaben einer Sprecherin „politisch wichtig“ war und dem auch das Bamf untersteht, schweigt bislang zu dem Fall. Dabei wusste auch sein Haus schon am Mittwoch, dass ein Flug für Freitag geplant war. Einfluss genommen habe das Innenministerium aber nicht, so die Sprecherin. Es hat die deutsche Botschaft in Tunis nun gebeten, Kontakt mit den dortigen Behörden aufzunehmen. Denn von denen hängt ab, ob A. überhaupt wieder nach Deutschland kommen kann: Seit seiner Ankunft am Freitag sitzt der 42-Jährige in Tunesien in Haft. A.s Anwältin in Deutschland und sein Anwalt in Tunesien sind zuversichtlich, dass er nach Deutschland zurückkehren wird.