Brüssel. Beim EU-Sondertreffen geht es nicht nur um den deutschen Asylstreit. Andere Staaten sehen die Chance, ihre Interessen durchzusetzen.

Ein

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German Chancellor Angela Merkel speaks during a joint conference at the government palace in Beirut, Lebanon June 22, 2018. REUTERS/Mohamed Azakir
Von Kerstin Münstermann, Tim Braune, Theresa Martus, Alexander Kohnen

für die deutsche Kanzlerin? Sebastian Kurz hebt abwehrend die Hände. „Es geht nicht um innerdeutschen Streit“, versichert der

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, als er am Sonntagnachmittag das Gebäude der EU-Kommission betritt, „wir wollen sehen, was wir auf europäischer Ebene machen können.“ Und da, lächelt Kurz, sei „jetzt eine Lösung möglich“.

Wenig später erscheint der luxemburgische Premier Xavier Bettel und beteuert treuherzig: „Es geht nicht um das Überleben einer Kanzlerin, sondern um eine gemeinsame Politik.“ So klingen viele der

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im Brüsseler Berlaymont, Freunde der Kanzlerin ebenso wie ihre Gegner.

Treffen hat „eigene Dynamik entfaltet“

Klar ist das geflunkert. Natürlich wissen alle, dass diese Runde von Merkel dringend erbeten und von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker freundlicherweise organisiert wurde, weil die Kanzlerin innenpolitisch in höchsten Nöten ist.

Und doch geht es jetzt um mehr. Das „informelle Arbeitstreffen“ vor dem eigentlichen EU-Gipfel am Donnerstag hat „eine eigene Dynamik entfaltet“, wie es bei EU-Diplomaten heißt. Zahlreiche Regierungen haben die Chance erkannt, dass im Zuge der deutschen Krise ihre eigenen Anliegen in der Asylpolitik auf die Brüsseler Tagesordnung kommen – und sogar mal ernst genommen werden.

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, bei dem der unergiebige Streit um die solidarische Flüchtlingsverteilung einfach beiseite geräumt wird, ersetzt durch eine Verständigung auf mehr Abschottung nach außen, Abschreckung im Innern. Dazu zählen nach ersten Kommissionsplänen ein massiv verstärkter Außengrenzschutz oder die Auslagerung von Asylbewerber-Sammelstellen außerhalb Europas. Auch neue Hindernisse für die Weiterreise registrierter Asylbewerber durch Europa sind Teil dieses Plans.

Merkel fordert EU-Solidarität mit deutschen Migrationsproblemen

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    Es ist das, worum es Merkel geht, um zu vermeiden, dass Innenminister Horst Seehofer (CSU) in Kürze mit der Zurückweisung von Asylbewerbern an der Grenze einen Alleingang unternimmt und den Fortbestand der Koalition aufs Spiel setzt. Die Kommission hat dazu Abkommen zwischen den Staaten vorgeschlagen, aber auch scharfe Kontrollen – diese Unterstützung für Merkel wäre aber eingebettet in eine insgesamt veränderte Flüchtlingspolitik.

    Merkel hofft auf Absprachen mit einzelnen Ländern

    Die Kanzlerin ist guter Dinge in Brüssel. Sie lässt indes gar keinen Zweifel, was sie vor allem umtreibt: Merkel hofft auf der Grundlage der Kommissionsvorschläge schon für die nächsten Tage auf Absprachen mit einzelnen EU-Ländern, um das Weiterwandern von Flüchtlingen nach Deutschland zu begrenzen – also mit Italien und Griechenland vor allem. Es gehe um die Frage, wie man fair miteinander umgehen und einen Ausgleich schaffen könne, sagt Merkel. Eine Gesamtlösung für die europäische Asylpolitik werde es nicht geben.

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    Und doch ist klar, dass beides miteinander zusammenhängt.

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    Innenminister Matteo Salvini hatte zwar im Vorfeld getönt, Italien werden „keinen einzigen“ Asylbewerber aus anderen EU-Ländern aufnehmen.

    Doch zeigen sich Salvini und Premier Paolo Gentiloni tatsächlich verhandlungsbereit, sie pochen nur auf eine klare Reihenfolge: Erst müsse die EU Italien helfen, dann könne man auch über Umverteilung reden – und nebenbei, fügt man in Rom hinzu, über Bankenunion und Staatsverschuldung.

    Flüchtlingszentren auf europäischem Boden?

    Der Zehn-Punkte-Plan für einen „radikalen Wandel“ der EU-Asylpolitik, den Premier Gentiloni in Brüssel auf den Tisch legt, ist Teil der Verhandlungsmasse: Wenn durch eine entschlossene Politik wesentlich weniger Migranten nach Europa kämen und die ankommenden Flüchtlinge in Zentren auch jenseits von Spanien und Italien verteilt würden, dann könnten die Weiterreisen von Asylbewerbern innerhalb der EU in „technischen Abkommen“ zwischen einzelnen Staaten geregelt werden; dieses Problem wäre dann ohnehin „nebensächlich“.

    Die EU-Kommission wäre vorbereitet, ein dickes Hilfspaket für die Mittelmeeranrainer zu schnüren, mit Geld und Personalhilfen – es bräuchte nur den Auftrag der Mitgliedsländer.

    Teil des Versprechens wäre mehr Abschottung, die Italien als Endpunkt der Mittelmeerroute entlasten würde. Für die diskutierten Asyl-Sammellager außerhalb Europas hat die Kommission Gespräche mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk aufgenommen – von dort, wird am Rande des Asylgipfels zufrieden berichtet, komme jetzt das Signal, „an einer tragfähigen, gemeinsamen Lösung“ mitzuarbeiten.

    Macron hilft Merkel - Auch Flüchtlingszentren im Gespräch

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      Eine Alternative schlagen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der spanische Premier Pedro Sanchez vor: Solche Zentren für ankommende Flüchtlinge sollten auf europäischem Boden errichtet werden. Ihnen schwebt dabei vor, dass andere EU-Länder dann solidarisch die Migranten, die einen Asylanspruch haben, aufnehmen; wer die Aufnahme verweigere, für den müsse es finanzielle Sanktionen geben.

      Hardliner freuen sich über neuen europäischen Kurs

      Macron und Sanchez sprechen damit das Problem an, dass die nun diskutierten Asyl-Sammellager den Verteilungsstreit in Wahrheit gar nicht beenden – die anerkannten Asylbewerber müssten ja doch irgendwo aufgenommen werden. Aber solche Fragen sind nun erstmal ausgeklammert.

      Jetzt geht es um möglichst scharfe Töne: Österreich etwa schlägt vor, den EU-Grenzschutz nicht nur auszubauen, sondern gleich noch das Mandat auszudehnen – künftig sollen auch Polizisten und Soldaten eingesetzt werden können. Und Bulgariens Premier Boiko Borissow plädiert für Sofort-Maßnahmen zur Schließung der EU-Außengrenzen.

      Dänemarks Ministerpräsident Lokke Rasmussen freute sich in Brüssel, dass endlich mehr über diese Grenzschutzfragen diskutiert werde. Es ist ein Signal auch nach Deutschland: Gerade jene Hardliner in Europa, denen sich Seehofer und die CSU bei der Flüchtlingspolitik verbunden fühlen, können ihre Freude über den neuen europäischen Kurs nicht verbergen. 2015 sei er noch für viele Forderungen zur Flüchtlingspolitik kritisiert worden, sagt Österreichs Kanzler Kurz. „Heute ist das mehrheitsfähig“.