Rom/Berlin. Sparkommissar Carlo Cottarelli soll in Italien eine Regierung bilden. Die Anti-Establishment-Parteien schüren den Protest gegen ihn.

In diesen Tagen sehen die Italiener einen Mann in ungewöhnlichem Aufzug im Quirinalspalast aus- und eingehen. Dort ist der Amtssitz von Staatspräsident Sergio Mattarella. Der Mann mit Sonnenbrille trägt einen dunklen Anzug und hat einen Rucksack über die Schultern geklemmt. Er lächelt. Es ist

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, der vom Staatschef beauftragt wurde, eine Übergangsregierung zu bilden.

Die Anti-Establishment-Partei Fünf Sterne und die rechtspopulistische Lega, die bei der Parlamentswahl im März eine Mehrheit an Sitzen erzielt hatten,

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Auch wenn die Börsenkurse in den Keller gehen

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: Im politisch aufgeheizten Klima bleibt Cottarelli cool. Mit seinem unbeugsamen Optimismus ist er das Gegenteil der meisten italienischen Politiker. Nach 25 Jahren beim Internationalen Währungsfonds (IWF) lehrt der 64-jährige Ökonom heute an der renommierten Wirtschaftsuniversität Bocconi in Mailand. Seine Kompetenz in Finanzfragen der öffentlichen Verwaltung vermittelt der verheiratete Familienvater in der Öffentlichkeit in einer klaren Sprache.

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    Ex-Regierungschef Berlusconi hat ihn angerufen

    Und Humor hat er dazu. „Eher bitten sie mich, für Inter Mailand als Stürmer zu spielen“, lachte der in Siena und London ausgebildete Wirtschaftswissenschaftler, als er kurz nach der Wahl als Ministerpräsident ins Spiel gebracht wurde. „Ich bin im Vorteil, denn ich habe alle kritisiert“, sagte er.

    Als er vor dem Urnengang von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi am Telefon gefragt wurde, ob er für einen Kabinettsposten zur Verfügung stehe, habe er das zunächst für einen Scherz gehalten. „Aber dann war tatsächlich Berlusconi dran, der sich erkundigte, ob ich den Sparminister machen wollte.“ Ebenso wie den anderen Parteien antwortete er: Er werde nur auf der Grundlage präziser Programme eine Entscheidung treffen.

    Cottarelli hat den Spitznamen „Mister Schere“

    Cottarelli war 2013 vom damaligen Ministerpräsidenten Enrico Letta zum „Sonderkommissar für die Überprüfung der öffentlichen Ausgaben“ ernannt worden. Seinen Spitznamen „Mister Schere“ verdiente der Ökonom sich daraufhin mit Vorschlägen, wie Italien jährlich 34 Milliarden Euro einsparen könnte. Er hatte herausgefunden, dass 10.000 öffentliche Beteiligungsgesellschaften pro Jahr rund eine Milliarde Euro an Verlusten produzierten. Während im ganzen Land Immobilien in staatlichem Besitz leer stehen und vielfach verfallen, zahlte die italienische Verwaltung eine Milliarde Euro für Mieten.

    Cottarelli nimmt Auftrag für Bildung von Übergangsregierung an

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      Was viele Italiener besonders wütend machte, legte Cottarelli in seinen Sparvorschlägen dar: Die Spitzenbeamten in Italien kämen im Vergleich zu Amtsträgern in anderen europäischen Ländern auf Spitzengehälter. Er präsentierte eine lange Liste, wie überflüssige Ausgaben eingespart werden könnten. Das brachte Cottarelli parteiübergreifend Respekt ein. Doch nur ein geringer Teil seiner Ideen wurde umgesetzt. Vor der Wahl im März war Cottarelli von Silvio Berlusconi bis hin zu den Fünf Sternen umworben worden. Und das, obwohl er vorgerechnet hatte, dass ihre üppigen Wahlversprechen finanziell nicht gedeckt waren.

      Italiener haben wenig Hoffnung auf Verbesserung

      Egal, ob Cottarelli oder ein Parteipolitiker am Ende die nächste Regierung anführen wird: Viele Italiener haben die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage längst aufgegeben. Aus Wut über die hohe Steuerlast und Angst vor Flüchtlingen

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      . „Die Leute sind arm, deshalb kaufen sie immer weniger ein“, klagt Antonella hinter ihrem bunten Obststand am Markt auf dem Esquilin-Hügel nahe Roms Hauptbahnhof Termini. Seit es den Euro gebe, gehe es mit Italien bergab, glaubt die 64-Jährige.

      Berge von Pfirsichen, Erdbeeren und Kirschen verströmen an ihrem Stand ihren frischen, süßen Duft. In diesem Stadtviertel leben viele Ethnien zusammen. Antonella führt ihr Geschäft in dritter Generation. Den Glauben daran, dass es irgendwann besser werde, hat sie aufgegeben. Gern würde sie wieder die kleinen, aromatischen Walderdbeeren vom Nemi-See südlich von Rom verkaufen. Aber kaum jemand kann sie sich leisten.

      „Hier geht alles gegen Italiener“

      Dazu müssten alle Ausländer in ihre Heimat zurückgeschickt werden, findet die Frau. Diese seien für die Gesellschaft zu teuer. In dem Markt ist Laura eine der letzten Italienerinnen inmitten von Fischhändlern aus Bangladesch und anderen asiatischen Ländern. „Hier geht alles gegen Italiener“, schimpft die 59-Jährige mit der riesigen Plastikschürze vor dem Bauch. Wenn sie ihren Stand auch nur um einen Zentimeter verbreitere, bekomme sie sofort ein Bußgeld.

      Die anderen Händler hätten keine Wohnung und keinen Wagen, die mit einer Hypothek belegt werden könnten, wenn sie Strafen nicht zahlten. „Ich muss dagegen noch froh sein, wenn man nicht auch noch meinen Sohn mit einer Hypothek belegt.“

      Law-and-Order-Politik von Lega-Chef beliebt

      In der Hoffnung, dass endlich keine Migranten mehr ins Land kommen, hat die Fischverkäuferin die Lega-Partei gewählt. „Hier kommt die Polizei noch nicht mal, wenn es einen Toten gibt“, sagt sie und hofft auf die Law-and-Order-Politik von Lega-Chef Matteo Salvini. Viele Terroristen seien in den vergangenen Jahren über Italien nach Europa gekommen, sagt sie empört. Damit müsse endlich Schluss sein. Sie hat Salvini gewählt, weil er die rasche Abschiebung abgelehnter Asylbewerber verspreche. Auch habe er eine Ausweitung des Rechts zugesagt, Einbrecher zu erschießen.

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      Unter dem Eindruck starker Verluste an den Börsen als Reaktion auf die politische Unsicherheit in Italien bemühten sich Fünf Sterne und Lega am Mittwoch um Mäßigung. Die Wellen waren hochgeschlagen, als Staatspräsident Mattarella sich geweigert hatte, den Euro-Gegner Paolo Savona zum Wirtschaftsminister zu ernennen. Beide Parteien sprachen von einem „Putsch“ Mattarellas. Hinter den Kulissen verhandelten Lega und Fünf-Sterne-Bewegung nun wieder über eine Koalitionsregierung, berichten italienische Medien.

      Hetzkampagne gegen Staatspräsident Mattarella

      „Wahlen zum frühesten Termin, aber nicht Ende Juli“, fordert Salvini bei einer Veranstaltung in Pisa. Wahlen im Hochsommer sind wegen der Ferienzeit in Italien aus Furcht vor niedriger Wahlbeteiligung tabu. Die geplanten Protestdemonstrationen gegen Mattarella an diesem Sonntag funktioniert der aggressiv auftretende Salvini in eine Kundgebung für ein Präsidialsystem um. „Die Lega wird auf allen Plätzen sein, um die Direktwahl des Präsidenten zu fordern, denn er macht sowieso, was er will. Dann kann er auch gleich von den Bürgern gewählt werden.“

      Mattarella hatte mit seiner Weigerung, den von Lega und Fünf Sternen vorgeschlagenen Kandidaten zum Minister zu ernennen, zwar schlicht sein Amt ausgefüllt. Die Populisten überzogen ihn daraufhin jedoch mit einer Hetzkampagne. Italien steht in jedem Fall ein unruhiger Sommer bevor.