Bratislava . Die letzten Recherchen des ermordeten Journalisten Kuciak zeigen: Vertraute des Premiers Fico Verbindungen zu Verbrecher-Clans haben.

Nach der Ermordung des slowakischen Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten stellt sich immer mehr die Frage: Was wusste die Regierung in Bratislava von den dunklen Mafia-Geschäften am östlichen Rand der EU? Hatte sie Betrügereien ermöglicht oder zumindest gedeckt? Das erste politische Opfer des Skandals ist der für Medien zuständige Kulturminister Marek Madaric, der zurücktrat. Der 27-jährige Kuciak hatte für das Internetportal aktuality.sk immer wieder Geschichten über die Verstrickungen der italienischen Mafia mit der hohen Politik veröffentlicht. Die Webseite gehört dem schweizerisch-deutschen Gemeinschaftsunternehmen Ringier Axel Springer Slovakia.

In seinem letzten, unvollständigen Artikel beschrieb Kuciak Spuren, die direkt in das Umfeld des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Robert Fico führen. So soll Ficos persönliche Assistentin Maria Troskova eine ehemalige Geschäftspartnerin und Lebensgefährtin von Anto­nino Vadala gewesen sein. Vadala tritt in Kuciaks Recherchen als wichtigster Drahtzieher der ’Ndrangheta – der Vereinigung der kalabrischen Mafia – in der Slowakei auf. Das Ex-Model Troskova und Vadala sollen 2011 gemeinsam das Unternehmen GIA Management gegründet haben.

Chef des einflussreichen Sicherheitsrates im Kabinett soll verdächtig sein

Auch Viliam Jasan, Ficos Büroleiter und Chef des einflussreichen Sicherheitsrates im Kabinett, soll verdächtig sein. Jasan war Eigentümer einer privaten Sicherheitsfirma namens Prodest. Nach Informationen von Kuciak hatten Vadala und seine Kollegen diesen Betrieb vor Kurzem übernommen. Außerdem habe Jasans Sohn Slavomir noch ein Joint Venture mit den Italienern, das AVJ Real heiße.

Troskova und Jasan bestreiten, einen Draht zur Mafia zu haben. Dennoch wollen sie vorläufig ihr Amt ruhen lassen. „Da unsere Namen zum politischen Kampf gegen den Regierungschef missbraucht werden, haben wir uns entschieden, unsere Posten im Regierungsamt bis zur Aufklärung dieser Tat niederzulegen“, schrieben Troskova und Jasan in einer Mitteilung.

Zwischen 2007 und 2013 bekam die Slowakei elf Milliarden Euro Hilfe aus Brüssel

Für den Chefredakteur der liberalen slowakischen Tageszeitung „Dennik N“, Matúš Kostolný, reicht das nicht. Er forderte den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Der Journalist berichtete, dass Fico alle Chefredakteure des Landes in die Regierungszentrale beordert habe. „Doch nicht einmal bei diesem Treffen konnte er seinen Hass auf die Medien verbergen und belehrte uns, was wir nun schreiben sollten und was nicht“, teilte Kostolný mit. „Ich hatte das Gefühl, wir hätten uns mit einem Premier getroffen, der die Kontrolle verloren hat. Er sollte nicht mehr Regierungschef sein.“

Eine der Finanzoperationen, über die Kuciak schrieb, waren die Transfers von der EU an die Slowakei. Angeblich versickerte ein Teil des Geldes in den Kassen der Mafia. Zwischen 2007 und 2013 hatte die Slowakei rund elf Milliarden Euro Hilfe aus Brüssel bekommen. Eine zweite Betrugsmasche, die Kuciak aufdeckte, war der Mehrwertsteuer-Trick. Demnach fingierten slowakische Firmen Exporte in EU-Länder. Die Mehrwertsteuer ließen sie sich vom Staat erstatten, obwohl überhaupt nichts ins Ausland geliefert wurde.

Mordfall hat nun auch die Europäische Union aufgeschreck

Ohne Mitwissen oder aktive Mithilfe in Regierung und Behörden ist dies kaum möglich. Weiteres pikantes Detail der Kuciak-Recherchen: Premierminister Fico lebt in einer Wohnung, die dem Unternehmer Ladislav Bašternák gehört, der ebenfalls mit der Mehrwertsteuer-Nummer reich geworden sein soll. Am Donnerstag wurden italienische Geschäftsleute in der Ostslowakei verhaftet, die in den Recherchen Kuciaks vorgekommen waren. Der Mordfall hat nun auch die Europäische Union aufgeschreckt. „Wir schauen uns den Fall jetzt genau an“, sagte EU-Kommissar Günther Oettinger der „Welt“.

Er halte für möglich, dass EU-Zahlungen an die Agrarwirtschaft „für kriminelle Zwecke missbraucht“ worden seien. „Wir werden in ein paar Wochen Klarheit über die Finanzströme und einen möglichen Missbrauch haben.“ Das Europaparlament will ein Untersuchungsteam in die Slowakei entsenden. EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani kündigte am Donnerstag an, dafür einen Beschluss vorzubereiten. Der CSU-Abgeordnete Manfred Weber hatte zuvor als Vorsitzender der christdemokratischen EVP-Fraktion einen entsprechenden Antrag gestellt.