Berlin. Die SPD hadert mit einer neuen GroKo. Führende Genossen wollen lieber eine Minderheitsregierung. Und Schulz wettert gegen die CSU.

Mit scharfen Worten hat sich SPD-Chef Martin Schulz vor ersten Gesprächen über eine Regierungsbeteiligung gegen Kritik aus der Union gewehrt. Mit Blick auf Äußerungen von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, es sei gut, wenn die SPD jetzt aus ihrer Schmollecke herauskomme, betonte Schulz zum Abschluss des SPD-Bundesparteitags am Samstag in Berlin: „Wir sitzen nicht in einer Schmollecke, aber Ihr habt den Karren an die Wand gefahren.“

Zu Dobrindts Kritik, Schulz sei wegen seines Vorschlags für die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa ein Europaradikaler meinte der SPD-Chef: „Ja, Herr Dobrindt (...) Wir sind radikale Pro-Europäer.“ Die anderen Parteien hätten mit dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen das Land in eine schwierige Situation manövriert. Jetzt solle die SPD Verantwortung übernehmen. „Wie wir sie übernehmen, das entscheidet die SPD selbst, dazu lassen wir uns keine Lektionen von anderen erteilen.“

Kein Drücken vor Verantwortung

Die entscheidende Frage sei, wie das Leben der Menschen in diesem Lande besser gemacht werden könne. Es gehe darum, Europa besser zu machen, die Renten zu sichern und massiv im Pflegebereich zu investieren. Wohnen dürfe zudem kein Luxusprojekt sein.

Schulz: Wie wir Verantwortung wahrnehmen, entscheidet die SPD

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    Wenn man Entsprechendes umsetzen könne, „dann müssen wir die Chancen ergreifen und nutzen“, so Schulz. „Wir drücken uns nicht davor, Verantwortung zu übernehmen, wie andere in diesem Lande“, meinte er mit Blick auf die FDP, die den Abbruch der Jamaika-Verhandlungen erklärt hatte.

    Minderheitsregierung im Gespräch

    In der SPD wachsen vor dem ersten Gespräch am Mittwoch mit der Union aber die Vorbehalte gegen eine erneute große Koalition. Die neue stellvertretende SPD-Vorsitzende und Landeschefin in Bayern, Natascha Kohnen, sagte der „Passauer Neuen Presse“: „Ich plädiere dafür, andere Wege als eine Neuauflage von Schwarz-Rot zu suchen.“

    Die SPD müsse mutig sein. „Dazu gehört es, intensiv über eine Minderheitsregierung zu diskutieren und uns nicht einfach wieder vor den Karren von Bundeskanzlerin Angela Merkel spannen zu lassen.“ Dabei müsste sich Merkel für jedes Projekt Mehrheiten im Bundestag suchen – die Kanzlerin lehnt das als zu unsicher ab.

    SPD-Parteitag gibt grünes Licht für Gespräche mit Union

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      Streitfrage Zuwanderung

      Unionsfraktionschef Volker Kauder wies die Vorstellung zurück, die SPD könne die Union als Preis für eine Regierungsbeteiligung zu massiven Zugeständnissen zwingen. „Das bedeutet kompromissfähig zu sein.“, sagte der CDU-Politiker dem „Tagesspiegel“ (Sonntag).

      Eine „absolute Kernforderung“ der Union sei die Umsetzung des CDU/CSU-Kompromisspapiers zur Zuwanderung, demnach soll der Zuzug von Flüchtlingen nach Möglichkeit auf rund 200.000 Menschen pro Jahr begrenzt werden. Dazu gehöre es auch, den Familiennachzug für Flüchtlinge mit nur eingeschränktem Schutzstatus weiter auszusetzen.

      Kauder wünscht sich GroKo

      Die SPD hingegen pocht in ihren elf Leitlinien für die Gespräche mit der Union darauf, den Familiennachzug wieder zuzulassen. Der CDU-Vorstand will an diesem Sonntag und Montag über das weitere Vorgehen zur Regierungsbildung beraten.

      Kauder machte deutlich, dass er sich eine Neuauflage der großen Koalition wünscht. „Wenn wir Europa in dieser unruhigen Welt stärken wollen, brauchen wir stabile Mehrheiten“, sagte er. Eine Minderheitsregierung oder Duldungsmodelle lehne er ab. „Ich halte davon überhaupt nichts“, sagte Kauder.

      SPD: Das sind die sechs Schulz-Vertreter

      Malu Dreyer: Die Regierungschefin von Rheinland-Pfalz, die 2016 nach Riesenrückstand die Landtagswahl noch triumphal für die SPD gewann, wird in der Partei erstmals Bundesvize und damit noch wichtiger. Sie holt das beste Resultat aller Vizes mit 97,5 Prozent. Dreyer will keine „GroKo“, sondern wirbt dafür, nur eine Minderheitsregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu dulden. Sie ist in der Partei beliebt, fördert viele Frauen.
      Malu Dreyer: Die Regierungschefin von Rheinland-Pfalz, die 2016 nach Riesenrückstand die Landtagswahl noch triumphal für die SPD gewann, wird in der Partei erstmals Bundesvize und damit noch wichtiger. Sie holt das beste Resultat aller Vizes mit 97,5 Prozent. Dreyer will keine „GroKo“, sondern wirbt dafür, nur eine Minderheitsregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu dulden. Sie ist in der Partei beliebt, fördert viele Frauen. © dpa | Michael Kappeler
      Manuela Schwesig: War als Bundesfamilienministerin ein Aktivposten in der großen Koalition, machte für die SPD bei Frauen und Familie einige Punkte. Wechselte im Sommer als Ministerpräsidentin in ihre Heimat Mecklenburg-Vorpommern, nachdem sich Erwin Sellering schwer erkrankt aus der Politik zurückzog. Dort will sich die zweifache Mutter auf höhere Aufgaben vorbereiten. Ihr Top-Ergebnis von 2015 (92,2 Prozent) kann sie nicht halten – jetzt sind es 86 Prozent.
      Manuela Schwesig: War als Bundesfamilienministerin ein Aktivposten in der großen Koalition, machte für die SPD bei Frauen und Familie einige Punkte. Wechselte im Sommer als Ministerpräsidentin in ihre Heimat Mecklenburg-Vorpommern, nachdem sich Erwin Sellering schwer erkrankt aus der Politik zurückzog. Dort will sich die zweifache Mutter auf höhere Aufgaben vorbereiten. Ihr Top-Ergebnis von 2015 (92,2 Prozent) kann sie nicht halten – jetzt sind es 86 Prozent. © dpa | Michael Kappeler
      Die Landeschefin aus Bayern steigt ebenfalls zu einer Stellvertreterin auf. Im nächsten Herbst muss sie als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl versuchen, die Genossen im Freistaat angesichts der CSU-Umfrageschwäche aus dem Keller zu führen. Der Parteitag schickt die Wahlkämpferin mit den blonden Locken aber nur mit 80,1 Prozent ins Rennen.
      Die Landeschefin aus Bayern steigt ebenfalls zu einer Stellvertreterin auf. Im nächsten Herbst muss sie als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl versuchen, die Genossen im Freistaat angesichts der CSU-Umfrageschwäche aus dem Keller zu führen. Der Parteitag schickt die Wahlkämpferin mit den blonden Locken aber nur mit 80,1 Prozent ins Rennen. © dpa | Michael Kappeler
      Thorsten Schäfer-Gümbel: Landes- und Fraktionschef der hessischen SPD, der im dritten Anlauf bei der Landtagswahl im Herbst 2018 endlich Ministerpräsident werden will. Ist seit 2013 Vize. Der Parteilinke arbeitete federführend das Steuerkonzept für das Wahlprogramm aus. Jetzt trommelt er für ein neues Grundsatzprogramm der SPD. „TSG“ ist glühender Bayern-Fan, trat aus Protest gegen die Hoeneß-Steueraffäre aber beim Rekordmeister aus. Von den Delegierten bekommt er aber bei der Wiederwahl nur eine mäßige Note – 78,3 Prozent (2015: 88 Prozent).
      Thorsten Schäfer-Gümbel: Landes- und Fraktionschef der hessischen SPD, der im dritten Anlauf bei der Landtagswahl im Herbst 2018 endlich Ministerpräsident werden will. Ist seit 2013 Vize. Der Parteilinke arbeitete federführend das Steuerkonzept für das Wahlprogramm aus. Jetzt trommelt er für ein neues Grundsatzprogramm der SPD. „TSG“ ist glühender Bayern-Fan, trat aus Protest gegen die Hoeneß-Steueraffäre aber beim Rekordmeister aus. Von den Delegierten bekommt er aber bei der Wiederwahl nur eine mäßige Note – 78,3 Prozent (2015: 88 Prozent). © dpa | Michael Kappeler
      Ralf Stegner: Die Allzweckwaffe vom linken Flügel - über den es in der SPD spöttisch heißt, er twittere schneller als sein Schatten. In Schleswig-Holstein gab es laute Rufe nach einer Ablösung des Landesvorsitzenden nach dem Machtverlust in Kiel. Stegner aber ist ein Überlebenskünstler - und einer der wenigen in der Führung, der fest zu Schulz hält. Stegner verteidigt seinen Vize-Posten mit Ach und Krach. Es werden 61,6 Prozent.
      Ralf Stegner: Die Allzweckwaffe vom linken Flügel - über den es in der SPD spöttisch heißt, er twittere schneller als sein Schatten. In Schleswig-Holstein gab es laute Rufe nach einer Ablösung des Landesvorsitzenden nach dem Machtverlust in Kiel. Stegner aber ist ein Überlebenskünstler - und einer der wenigen in der Führung, der fest zu Schulz hält. Stegner verteidigt seinen Vize-Posten mit Ach und Krach. Es werden 61,6 Prozent. © dpa | Michael Kappeler
      Olaf Scholz: Gilt seit Jahren vor allem in den Medien als Reserve-Parteichef. Nach der verlorenen Wahl machte er Stimmung gegen die Schulz-Kampagne. Scholz, kluger Verhandler bei den Bund-Länder-Finanzen, kriegt jetzt (nicht zum ersten Mal) die Quittung: Schlusslicht mit 59,2 Prozent. Vor zwei Jahren waren es noch 80,2 Prozent. Zuvor bekam sein Macher-Image als Bürgermeister Kratzer, weil er den Hamburgern den G20-Gipfel als friedlichen Hafengeburtstag ankündigte – dann brannte das Schanzenviertel. Für Verhandlungen mit der Union gilt er dennoch als unverzichtbar.
      Olaf Scholz: Gilt seit Jahren vor allem in den Medien als Reserve-Parteichef. Nach der verlorenen Wahl machte er Stimmung gegen die Schulz-Kampagne. Scholz, kluger Verhandler bei den Bund-Länder-Finanzen, kriegt jetzt (nicht zum ersten Mal) die Quittung: Schlusslicht mit 59,2 Prozent. Vor zwei Jahren waren es noch 80,2 Prozent. Zuvor bekam sein Macher-Image als Bürgermeister Kratzer, weil er den Hamburgern den G20-Gipfel als friedlichen Hafengeburtstag ankündigte – dann brannte das Schanzenviertel. Für Verhandlungen mit der Union gilt er dennoch als unverzichtbar. © dpa | Michael Kappeler
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      Dreyer bevorzugt Tolerierung

      Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hält die Tolerierung einer CDU/CSU-Minderheitsregierung durch die SPD dagegen für die beste Lösung. Dreyer, die mit dem besten aller Ergebnisse vom Parteitag zur Bundesvize aufgestiegen ist, sagte der „Allgemeinen Zeitung Mainz“: „Ich präferiere nach wie vor ein Tolerierungsmodell.“ Sie könne sich vorstellen, mit der Union einen Tolerierungsvertrag über Politikfelder zu schließen, auf denen eine breite Mehrheit unerlässlich sei, etwa bei Europa-Themen und der Außenpolitik.

      Am Donnerstag hatte der SPD-Bundesparteitag in Berlin beschlossen, ergebnisoffen in Gespräche mit der Union zu gehen. Parteichef Schulz und Fraktionschefin Andrea Nahles stehen bei den Gesprächen mit CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer, Kauder und Dobrindt am Mittwoch in Berlin unter starkem Druck.

      Am Ende Briefwahl

      Der Parteitag zeigte deutliche Skepsis gegen eine Koalition mit der Union, weil die SPD nach der letzten Koalition mit 20,5 Prozent das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik kassiert hatte und eigentlich in der Opposition an Profil gewinnen und einen Modernisierungsprozess der Partei in die Wege leiten will.

      Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) sagte der „Rheinischen Post“: „Aus unserer staatspolitischen Verantwortung heraus müssen wir nun dafür sorgen, dass die Gespräche mit der SPD zu einer Regierung führen, die das Land vier Jahre stabil regiert und in der Sache Entscheidungen trifft, die das Land voranbringen.“ Entscheidungen müssten in einem überschaubaren Zeitraum getroffen werden.

      Über die Aufnahme konkreter Koalitionsverhandlungen müsste ein SPD-Sonderparteitag, wahrscheinlich Mitte Januar, entscheiden. Am Ende sollen dann die rund 440.000 SPD-Mitglieder per Briefwahl über einen möglichen Koalitionsvertrag abstimmen, das könnte zwei bis drei Wochen dauern und rund zwei Millionen Euro kosten. Es wird daher damit gerechnet, dass eine Regierung erst im März stehen könnte. (dpa)