Berlin. Jamaika geplatzt, die SPD verharrt in der Opposition. Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier will die Parteien zum Regieren bringen.

Es gibt einen Spitznamen für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: „Graue Effizienz“. Die Bezeichnung stammt aus der Zeit, als Steinmeier für den damaligen Regierungschef Gerhard Schröder als Kanzleramtsminister alle Krisen im Hintergrund meisterte. Auf den Mann mit den weißen Haaren, die er bereits seit einer Augenoperation mit Mitte 20 hat, richten sich derzeit alle Blicke in der deutschen Politik.

Das Scheitern der Sondierungen für eine Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen hat Deutschland an den Rand einer Staatskrise geführt. Eine stabile Regierungsmehrheit scheint derzeit nicht in erreichbarer Nähe. Der Bundespräsident als Staatsoberhaupt hat daher laut Grundgesetz das Heft des Handelns in der Hand. Steinmeier könnte Neuwahlen ansetzen, falls der Bundestag Angela Merkel – oder einen anderen Kandidaten – nur mit einfacher Mehrheit zum Kanzler wählen würde.

Verantwortung nicht an Wählerinnen und Wähler zurückgeben

Bereits am Montag las er den politischen Parteien die Leviten: „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält.“ Zudem hatte sich Steinmeier skeptisch über Neuwahlen geäußert. Die Verantwortung zur Regierungsbildung könne man nicht einfach an die Wählerinnen und Wähler zurückgeben.

Es sind klare Worte. Am Dienstag lud er zunächst die Grünen-Vorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir ins Schloss Bellevue. Danach wollte er von

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wissen, warum dieser die Gespräche für eine Jamaika-Koalition hat platzen lassen.

Merkel: Habe nicht über Rücktritt nachgedacht

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    Nach dem 35-minütigen Treffen hieß es aus der FDP, es sei ein „Informationsgespräch“ gewesen und Lindner habe seine Beweggründe dargelegt. Die Einschätzung des FDP-Vorsitzenden, dass es keine ausreichenden Übereinstimmungen zwischen den Parteien gegeben habe, habe sich nicht geändert. Am Mittwoch soll CSU-Chef Horst Seehofer dann seine Sicht der Dinge darlegen, am Donnerstag kommt Steinmeier dann mit dem SPD-Vorsitzenden Martin Schulz zusammen.

    Steinmeier ist für Krisenmanagerjob geeignet

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    , Bundesrat und Bundesverfassungsgericht will er in den nächsten Tagen sprechen. Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist Steinmeier trotz seiner Überparteilichkeit in diesen Tagen ein Hauptgewinn. Ist der ehemalige Außenminister doch ein Sozialdemokrat und mit dieser Nähe derzeit der Einzige, der möglicherweise die SPD aus ihrer starren „Anti-große-Koalition-Haltung“ zu reißen vermag. Und die Partei dazu bringt, sich doch noch zu Verhandlungen mit der Union unter Merkel zu überwinden.

    Das Gespräch mit Schulz am Donnerstag wird für beide kein leichtes sein. Die Argumente des SPD-Vorsitzenden scheinen den Bundespräsidenten bislang nicht überzeugt zu haben. Der 61 Jahre alte Steinmeier ist für diesen Krisenmanagerjob zwischen den Parteien bestens geeignet. Er genießt seit Jahren über die Parteigrenzen hinweg viel Respekt. Selbst CSU-Chef Horst Seehofer nennt ihn inzwischen „den lieben Frank“, in der Bundesversammlung erhielt er auch Stimmen aus den Reihen von FDP und Grünen. Zunächst wollten Merkel und Seehofer den damaligen Außenminister als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt zwar nicht mittragen.

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      Verhältnis zwischen beiden Verfassungsorganen gilt als gut

      Doch der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel agierte geschickt, der Kanzlerin sagten dagegen eigene Kandidaten ab. So rang sie sich dann doch dazu durch, den SPD-Politiker als gemeinsamen Kandidaten vorzuschlagen. Sie würdigte ihn dann als „Mann der politischen Mitte“. Gerade in Zeiten weltweiter Unruhen stünde die Wahl von Steinmeier für ein „Signal der Stabilität“. Merkel betonte damals, sie kenne den Außenminister als „verlässlichen und immer auf Ausgleich und Lösungen ausgerichteten Politiker“.

      Dass diese Eigenschaften mal wegen einer Regierungskrise im Inland gefragt sein könnten, hat sich Merkel im Herbst 2016 – damals in Verantwortung als Regierungschefin einer großen Koalition – nicht vorstellen können. Das Verhältnis zwischen den beiden Verfassungsorganen gilt als gut. Merkel schätzt an Menschen gemeinhin eine uneitle und unprätentiöse Art.

      Steinmeier hat eine solche Persönlichkeit. Der Bun­des­präsident gilt als geduldiger, besonnener Moderator, zäher Vermittler und ehrlicher Konfliktlöser. Mit einem scheinbar grenzenlosen Optimismus und unerschütterlichem Glauben an die Vernunft setzte er als Außenminister auf das persönliche Gespräch, die Kraft der Argumente und die Bereitschaft zum Kompromiss.

      Einzug ins Schloss Bellevue als krönender Abschluss

      Auch wegen dieser Eigenschaften stieg er in der Achtung der Menschen zum beliebtesten Politiker auf. Doch man darf ihn nicht unterschätzen: Steinmeier verfügt – wie alle Spitzenpolitiker – über eine Menge Ehrgeiz und Machtbewusstsein, kann auf Kritik auch durchaus empfindlich reagieren. Seine Wahl durch die Bundesversammlung am 19. März 2017 und der damit verbundene Einzug ins Schloss Bellevue waren der krönende Abschluss einer Karriere, die 1991 in Hannover mit einer denkwürdigen Begegnung begann.

      Der im 1000-Seelen-Dorf Brakelsiek im Lipperland aufgewachsene Tischlersohn und Jurist Steinmeier traf dort auf Gerhard Schröder, zu diesem Zeitpunkt schon der Ministerpräsident Niedersachsens. In den folgenden 14 Jahren gingen die beiden einen gemeinsamen Weg: stets steil nach oben. Steinmeier zog in Schröders Staatskanzlei ein, wurde schließlich als Chef der Regierungszentrale Schröders Dirigent der Macht.

      Er war einer der Konstrukteure der Agenda 2010. Im Jahr 2005 verlor Schröder eine von ihm selbst herbeigeführte Neuwahl, sorgte aber dafür, dass „sein Mann“ Steinmeier als Vizekanzler und Außenminister in die erste große Koalition unter Kanzlerin Merkel einzog.

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        Rede zum Tag der Einheit im Oktober

        Das Team Merkel/Steinmeier funktioniert gut – am Ende vielleicht zu gut. Von den Erfolgen der großen Koalition profitierte vor allem die CDU-Vorsitzende. Merkel fügte dem SPD-Kanzlerkandidaten Steinmeier 2009 eine bittere Niederlage zu. Die Sozialdemokraten stürzten auf 23 Prozent ab, das bis dahin schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten. Steinmeier wurde trotzdem Oppositionsführer und kehrte vier Jahre später – wieder unter Merkel – ins Auswärtige Amt zurück. In seinen ersten Monaten als Bundespräsident fehlten die ganz großen Auftritte. Doch dann kam im Oktober die Rede zum Tag der Einheit, jetzt die Regierungsbildung.

        Steinmeiers Rückhalt ist seine Familie. In First Lady Elke Büdenbender hat er seine Frau an seiner Seite, die bedingungslos zu ihm steht. Mit der sechs Jahre jüngere Verwaltungsrichterin hat Steinmeier eine Tochter, Merit. Sein Familienleben spielte eine größere Rolle in der Öffentlichkeit, als Steinmeier im Jahr 2010 seiner Frau eine Niere spendet.

        Er zog sich dafür zehn Wochen aus der Politik zurück, ein Liebesbeweis. „Lasst uns mutig sein, dann jedenfalls ist mir um die Zukunft nicht bange“, sagte Steinmeier am Tag seiner Wahl zum Bundespräsidenten. Nun ist genau dieser Mut gefragt.