Halle. Adrian Ursache soll einen SEK-Beamten beinahe getötet haben. Die Verhandlung wird eine Show. Das Gericht will er nicht akzeptieren.

Es ist 11.23 Uhr am Montag, Adrian Ursache ist gerade dabei, dem Richter Jan Stengel zum dritten oder vierten Mal zu erklären, dass er das Gericht nicht akzeptiere und dass er alle auffordere, ihre vollen Namen zu nennen – da wird seine Frau Sandra in den Gerichtssaal gerufen. „Was sind denn das für Spinner hier“, ruft Ursache. Der Vorsitzende Richter Jan Stengel stoisch: „Fürs Protokoll: Der Angeklagte bezeichnet das Gericht als Spinner.“ Die Frau wird gebeten, sich in den Zeugenstand zu setzen. Der Richter klärt sie auf, dass sie am Montag nicht vernommen werde.

Ein neuer Termin für Mittwoch wird vereinbart, während Ursache weiter zetert. Schließlich läuft er auf seine Frau zu und ruft: „Ich werde meine Frau jetzt küssen!“ Dann nimmt er sie in den Arm und drückt ihr filmreif einen Kuss auf den Mund. Kurz darauf sagt seine Frau leise zu ihm, fast verzweifelt: „Reg’ dich nicht so auf!“

Anklage wegen versuchten Mordes

Der Vormittag im Landgericht Halle endet damit so bizarr, wie er schon begann. Es ist der erste Verhandlungstag von Adrian Virgil Ursache (gesprocen: Ursake), rumänischer Einwanderer, der 1998 zum „Mister Germany“ gewählt wurde. Im August 2016 soll das Haus des Geschäftsmannes wegen Überschuldung zwangsgeräumt werden.

Laut Anklage soll Ursache auf den Beamten geschossen haben – er habe auf das Gesicht gezielt.

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Außerdem wird ihm Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Bei einer Verurteilung droht dem 42-Jährigen eine lebenslange Haftstrafe.

Adrian Ursache gründete den Scheinstaat „Ur“

Den Vorwurf, der sogenannten Reichsbürger-Szene anzugehören, weist der Angeklagte zum Auftakt des Prozesses am Montag zurück. Das ist jene lose Gruppierung, die laut Bundesinnenministerium rund 13.000 Mitglieder in Deutschland hat. Ihre Anhänger weigern sich, Steuern zu zahlen, bezeichnen den Staat BRD als eine „GmbH“, die unter der Aufsicht der USA stehe. Angela Merkel sei nur deren „leitende Angestellte“.

Darum sind die Reichsbürger gefährlich

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    Auch Ursache hat sich in Youtube-Videos ähnlich geäußert. Auf dem Grundstück seiner Schwiegereltern gründete er den Scheinstaat „Ur“. Auch er erkennt weder Polizei noch Richter oder Staatsanwalt als Vertreter des Deutschen Justizsystems an – letztlich habe er sich auch deswegen im August 2016 verteidigt. Kurz danach wurde bei einem ähnlichen Einsatz gegen einen Reichsbürger südlich von Nürnberg ein Polizist getötet.

    Angeklagter muss Fußfessel tragen

    Wie ernst der Staat die bizarre Bewegung nimmt, lässt sich an den neun vermummten und bewaffneten Beamten im Saal erkennen. Ursaches Wunden von damals sind noch nicht verheilt: Zu Beginn des Prozesstages trägt der Angeklagte eine Metallschiene am rechten Handgelenk, die er fast stolz präsentiert. Ebenso wie den gut sitzenden Anzug, den dunkel schillernden Schlips, die Frisur, mit den akkurat dünn zulaufenden Koteletten.

    Er trägt gute Lederschuhe, die die Fußfesseln, die er tragen muss, noch auffälliger wirken lassen. Er stellt sich zu Beginn des Prozesses neben seine Anwälte an deren Tisch. Als Richter Stengel auf den Stuhl weist, sagt er: „Danke, ich stehe lieber.“ Der Richter ruhig: „Der Angeklagte will gern stehen.“

    Ex-„Mister Germany“ kommt mit Bibel und Grundgesetz zum Prozess

    So geht es während der gesamten Prozesstages, der mehrfach unterbrochen wird, weil sich Anwälte oder Staatsanwaltschaft zu Beratungen zurückziehen. Adrian Ursache unterbricht, redet sich in Rage, beginnt ungefragt einen Vortrag über das Deutsche Grundgesetz, das er – neben der Bibel – mitgebracht hat. Der Richter unterbricht ihn nur, um ihn nachdrücklich über seine Rechte aufzuklären, nämlich, dass er auch das Recht habe, zu schweigen. Der Richter tut all dies nicht amüsiert, eher routiniert.

    Der Gerichtssprecher Wolfgang Ehm sieht das als Zeichen, dass unser Rechtsstaat, den Adrian Ursache ablehnt, sehr gut funktioniert. „Seine Strategie scheint offenbar, dass er das Gericht vorführen will“, sagt er, „aber der Vorsitzende Richter verweist nur auf die gültige Strafprozessordnung, an die er sich hält.“ So wird Ursaches Antrag, die Anklage erst gar nicht verlesen zu lassen, abgewiesen.

    Auch die Anwälte von Adrian Ursache haben so etwas noch nie erlebt

    Dabei war dieser Teil von Ursaches Strategie noch vonseiten der Anwälte Manuel Lüdkte und Hartwig Meyer auf fast theatralische Art unterstützt worden. Sie wiesen unter anderem auf zwei Minuten der Stille hin, die zwischen den Schusswechseln an jenem Morgen am 25. August geherrscht haben sollen. Diese seien unzureichend in der Anklageschrift wiedergegeben. Um die Dauer zu verdeutlichen zählt Anwalt Lüdtke: „Eins, zwei“, bis „Neunundfünfzig, Sechzig“ und wieder: „Eins, zwei, ...“ Zwei endlose Minuten vergehen im Gerichtssaal in Halle auf diese Art. Auch das kommentiert Richter Stengel: „Können Sie den gesprochenen Teil ihrer Rede dem schriftlichen Antrag bitte hinzufügen?“

    Im Laufe des Prozesses werden Ursaches Ausführungen immer seltsamer. Er sieht sich als ein „politischer Gefangener“ in „Geiselhaft“, der ins „Konzentrationslager JVA Halle“ überführt wurde. Er ruft: „Wo ist denn die Rechtsgrundlage?“ und „Ist das denn Fantasialand?“. Selbst seine Anwälte senken gegen Ende des Prozesstages ihre Köpfe in die Hände. „Es ist auch für mich eine neue Erfahrung“, wird Anwalt Hartwig Meyer später auf dem Gang des Gerichts sagen. Die Äußerungen seines Mandanten nennt er „grenzwertig“, geht aber davon aus, dass es „in der Hauptverhandlung sachlicher“ zugehen werde. Ein Urteil wird für Ende November erwartet.