Berlin. Am 24. Oktober kommen die Abgeordneten erstmals zusammen. Es sind so viele wie nie zuvor. Der Streit um die Sitzordnung ist entbrannt.

Es ist ein Parlament der Superlative und Extreme: Mit 709 Abgeordneten ist der neue Bundestag der größte in der Geschichte der Bundesrepublik, mit dem 75-jährigen Wolfgang Schäuble bekommt das Parlament den bislang ältesten Präsidenten.

Mehr noch: Mit der AfD ist seit Langem erstmals wieder eine Partei im Parlament, die sich klar rechts außen positioniert – und bevor noch die erste Sitzung eröffnet ist, haben bereits zwei AfD-Abgeordnete ihre Fraktion verlassen.

Am Mittwoch trafen sich zum ersten Mal die Geschäftsführer der sechs Fraktionen. Sie bilden den „Vor-Ältestenrat“, der die erste Bundestagssitzung vorbereitet. Die AfD-Delegation sei sehr zurückhaltend gewesen, sie hätte viele Fragen gehabt und fast „schüchtern“ gewirkt, hieß es nachher. Der Eindruck dürfte sich bald ändern: Dem Parlament droht heftiger Streit.

Was passiert in der ersten Sitzung am 24. Oktober?

Der wichtigste Schritt ist die Wahl des neuen Bundestagspräsidenten:

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, der dienstälteste Abgeordnete des neuen Bundestags. Eigentlich würde der CDU-Politiker als Alterspräsident auch die Sitzung leiten, doch weil er nicht seine eigene Wahl dirigieren kann, kommt der FDP-Mann Solms zum Zuge.

Die Sache traf diesen etwas unvorbereitet, denn: Woher sollte er ahnen, dass ausgerechnet er nach Schäuble am längsten von allen 709 Abgeordneten im Bundestag gesessen hat? Doch der 76-Jährige war immerhin etliche Jahre Vizepräsident des Parlaments, er weiß, wie man eine neue Wahlperiode eröffnet – und was man sagt. Wenige, würdige Worte. Nicht zu lang, nicht zu parteipolitisch. Er schreibt jetzt an seiner Rede.

Wer sitzt wo?

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, da besteht Einigkeit. Doch wer sitzt dann neben ihr? Infrage kommt die Union oder die FDP, die mit 80 Abgeordneten wieder zurück in den Bundestag einzieht. Bevor die FDP vor vier Jahren aus dem Parlament flog, gehörten ihr die Plätze rechts außen – vom Rednerpult aus gesehen. Doch Christian Lindners Leute hatten schon vor der Wahl klargestellt, dass sie lieber in der Mitte des Parlaments sitzen wollen. „Das ist für uns eine Frage von symbolischer Bedeutung“, sagt Marco Buschmann, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion am Mittwoch nach der Sitzung der Fraktionsmanager.

Aber: Die Union will genauso wenig Sitznachbar der AfD werden und ist sich offenbar sicher, die FDP im Zweifel überstimmen zu können. Am 13. Oktober will die Runde sich wieder treffen und eine Entscheidung herbeiführen. „Wir werden das nicht kampflos hinnehmen“, sagt Buschmann. „Die FDP gehört in die Mitte des Parlaments.“ In sechs von neun Landtagen sitzen die Liberalen im Zentrum.

Doch Politik wird nicht nur im Parlament gemacht – die sechs Fraktionen müssen sich auch einigen, wie viel Platz jede für Sitzungen in der obersten Etage des Reichstags bekommt. In der letzten Wahlperiode hatten es die vier Fraktionen von Union, SPD, Grünen und der Linken einfach, die Bundestagsverwaltung muss nun aber auch noch AfD und FDP unterbringen. Ein erster Vorschlag sieht offenbar vor, dass Union und SPD in ihren Bereichen bleiben können, Grüne und Liberale räumliche Nachbarn werden sowie auch AfD und Linke. Auch hier droht noch Streit

Welchen Platz bekommt Petry?

Unklar ist auch, wo Frauke Petry sitzen wird, die nach ihrem Austritt aus Fraktion und Partei nicht mehr bei den anderen AfD-Abgeordneten Platz nehmen kann. Nachdem auch der AfD-Abgeordnete Mario Mieruch die Fraktion verlassen hat, werden die Handwerker nun, ähnlich wie im Fall der zuletzt fraktionslosen Erika Steinbach, einzelne Sitze in der letzten Reihe des Parlaments montieren.

Platz genug ist jedenfalls – immerhin beherbergt der Plenarsaal auch regelmäßig die Bundesversammlung mit über 1200 Delegierten. Dass die über 90-köpfige AfD-Fraktion in Zukunft direkt vor der Regierungsbank Platz nehmen wird und damit öfter als ohnehin schon im Fokus der Kameras stehen dürfte – diese Sorge spielte bei der Entscheidung offenbar keine Rolle.

Frauke Petry vs. AfD – ein Drama in mehreren Akten

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    Wie viel Macht bekommt die AfD?

    Jede Fraktion hat das Recht, im Parlament mindestens einen Vizepräsidenten zu stellen und mehrere Fachausschüsse zu leiten. Die Fraktionen wollen an dieser Regelung festhalten. Unstrittig ist also, dass auch ein AfD-Politiker künftig Bundestagssitzungen leiten wird. Strittig ist aber, ob der bisher von der AfD vorgeschlagene Kandidat das Amt bekommt: Der Abgeordnete Albrecht Glaser hatte den Muslimen das Recht auf Religionsfreiheit abgesprochen. Etliche Abgeordnete von SPD, FDP, Grünen und Linkspartei haben deshalb bereits angekündigt, Glaser nicht wählen zu wollen.

    Gut möglich ist deshalb, dass Glaser bei der Wahl durchfällt. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Kandidat nicht durchkommt: Linke-Politiker Lothar Bisky scheiterte vor zwölf Jahren in vier Wahlgängen. Der Vizepräsidentenposten der Linken blieb damals mehrere Monate unbesetzt, bis die Partei mit Petra Pau eine Kandidatin präsentierte, die mehrheitsfähig war. Im Fall der AfD warnen bereits viele, sollte Glaser durchfallen, könnte sich die AfD als Opfer der eta­blierten Parteien darstellen.

    Diese Rechte haben Fraktionen

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      Diese Gefahr birgt auch ein anderer Streitfall: Um zu verhindern, dass ein AfD-Abgeordneter den Vorsitz des Kulturausschusses übernimmt, hatten sich Künstler und Politiker von der CSU bis zur Linkspartei in einem offenen Brief an die Fraktionen gewandt: Es dürfe nicht passieren, dass eine „rechtsradikale Partei“ an einer der sensibelsten Stellen des parlamentarischen Systems ihr „nationalistisches Gift“ injiziere, heißt es darin. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem die Schauspielerin Iris Berben und die Präsidenten des Goethe-Instituts und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann und Hermann Parzinger. Von den Parteien sind Diether Dehm (Linke), Bernd Fabritius (CSU), Elisabeth Motschmann (CDU), Michelle Müntefering (SPD) und Claudia Roth (Grüne) vertreten.

      Die AfD wehrt sich: „Gerade unsere junge Partei hat sich die Bewahrung und Förderung von Tradition, Kunst und Kultur zu einer zentralen Aufgabe gemacht“, erklärte der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Siegbert Droese. Das Thema „Kultur und Identität“ sei für die AfD wichtig.

      Bedenken gegen einzelne AfD-Politiker gibt es in den anderen Fraktionen auch mit Blick auf das sensible Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr), das die Geheimdienste beaufsichtigt. Aus der SPD hieß es, die AfD sei gut beraten, nicht ihre größten Scharfmacher in diese Gremien zu schicken, sonst müsste sie damit rechnen, nicht gewählt zu werden. In den Sitzungen des geheim tagenden PKGr berichten Vertreter von Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst auch über konkrete Ermittlungen gegen mutmaßliche Extremisten.

      Der designierte Bundestagspräsident Schäuble hatte am Sonntag zu Gelassenheit im Umgang mit der AfD-Fraktion gemahnt. Er wünsche sich mehr Selbstbewusstsein: Der Rechtsstaat sei so stark, dass ihn niemand einfach so zerstören könne. Weder von außen noch von innen. „Wenn das jemand vorhaben sollte, wird er scheitern.“

      Nie war der Bundestag so groß – wie geht es nun weiter?

      Schäuble hat bereits einen neuen Vorstoß für eine Wahlrechtsreform angekündigt: „Viele teilen die Kritik, dass der Bundestag zu groß geworden ist“, sagte der CDU-Politiker der „Bild am Sonntag“. Das Wahlrecht könne aber nur gemeinsam geändert werden. „Das wird nicht einfach, aber es muss in der neuen Legislaturperiode einen neuen Versuch geben.“

      Der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte angesichts von „unabsehbaren Größenordnungen“ immer wieder eine Begrenzung auf 630 Abgeordnete gefordert, in der großen Koalition gab es in den vergangenen Jahren aber keine Einigung auf eine Reform des Wahlrechts. Im neuen Bundestag sitzt nun die Rekordzahl von 709 Abgeordneten – keine westliche Demokratie hat ein so großes Parlament wie Deutschland.