Brüssel. Ungarn und die Slowakei erleiden mit der Klage gegen Flüchtlingsverteilung am EuGH eine Schlappe. Wir zeigen, was das Urteil bedeutet.

In der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 war Europa mit den größten Flüchtlingsbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert. Die EU-Länder trafen damals eine hochbrisante Entscheidung zur Umverteilung von Migranten innerhalb der Staatengemeinschaft. Der Streit darüber dauert bis heute an. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nun eine

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Was wurde 2015 entschieden?

Die EU-Innenminister beschlossen am 22. September 2015 gegen den Widerstand aus Ungarn, der Slowakei sowie Rumänien und Tschechien, 120.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien auf andere EU-Länder umzuverteilen. Dabei griff der Ratsvorsitz zu einem Verfahrenstrick. Er berief sich auf Artikel 78,3 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, in dem es um Notfälle in der gemeinsamen Asylpolitik geht. So wurde eine Mehrheitsentscheidung möglich. Ungarn und die anderen Verweigerer konnten sie nicht mit einem Veto blockieren, wie dies etwa auf einem EU-Gipfel möglich gewesen wäre. Sie wurden überstimmt – und zogen vor Gericht.

Wie begründen die Richter ihr Urteil?

Der Ministerrat sei nicht verpflichtet gewesen, den angefochtenen Beschluss einstimmig anzunehmen, heißt es in der Begründung aus Luxemburg. Außerdem sei der umstrittene Mehrheitsbeschluss nicht „offensichtlich ungeeignet“ gewesen, zur Erreichung der Ziele dieses Beschlusses beizutragen, also Griechenland und Italien bei der Bewältigung der Folgen der Flüchtlingskrise von 2015 zu unterstützen. Dass die Umverteilung in der Praxis nicht die gewünschten Ergebnisse geliefert habe, ändere daran nichts. Denn dies sei nicht zuletzt auf die Verweigerungshaltung der Kläger zurückzuführen. Die „mangelnde Kooperation bestimmter Mitgliedstaaten“ sei 2015 jedoch nicht absehbar gewesen.

Wie reagieren die Kläger?

Ungarns Außenminister Peter Szijjarto.
Ungarns Außenminister Peter Szijjarto. © imago/ITAR-TASS | Alexander Shcherbak

Die Entscheidung sei „abstoßend und unverantwortlich“, sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto in Budapest. „Das Urteil untergräbt die Sicherheit und Zukunft Europas.“ Man werde juristisch alles unternehmen, um sicherzustellen, dass die ungarische Regierung das letzte Wort habe, wer in das Land komme. Auch die Slowakei fand deutliche Worte. „Die Quote funktioniert nicht, weshalb die Gerichtsentscheidung jetzt irrelevant ist“, sagte der slowakische Wirtschaftsminister Peter Ziga in Bratislava. Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo erklärte, die Position ihres Landes bleibe unverändert – also negativ.

Wie hat die Verteilung bisher funktioniert?

Schlecht. Die Umverteilung von insgesamt 120.000 Flüchtlingen sollte eigentlich am 26. September 2017 abgeschlossen sein. Bislang wurden aber erst 27.695 Menschen auf andere EU-Länder verteilt. Nur Malta hat seine Quote von 131 Flüchtlingen erfüllt. Fast geschafft hat es auch Finnland mit 1951 von 2078 Flüchtlingen. Demgegenüber hinken die meisten anderen EU-Staaten gegenüber dem Brüsseler Plansoll her. Auch Deutschland hat mit 8000 Aufgenommenen noch nicht die erwartete Solidarität gezeigt.

Was folgt aus dem Urteil für Ungarn und die Slowakei?

Auch sie müssen nun Flüchtlinge aus Griechenland und Italien übernehmen. Ungarn müsste nach derzeitigem Stand 1294 Menschen aufnehmen, die Slowakei 902. „Solidarität ist keine Einbahnstraße“, sagte EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos. Allerdings zögert die EU-Kommission mit neuen Sanktionen. Schon jetzt laufen Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn, Polen und Tschechien. Wenn diese Länder bei der Verweigerungshaltung blieben, werde die Kommission sie vor dem EuGH in Luxemburg verklagen, sagte Avramopoulos.

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    Wie reagieren deutsche Europaabgeordnete?

    Die EU-Kommission sollte Ungarn und der Slowakei die EU-Zuschüsse für die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern streichen, fordert die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, Ska Keller. Die EU sollte auch damit drohen, den Verweigerern den Geldhahn zuzudrehen, sagt Alexander Graf Lambsdorff von der FDP. In der nächsten Finanzperiode müssten EU-Hilfen „an die Einhaltung von Werten sowie die Befolgung von EuGH-Urteilen“ gebunden werden.

    Wie realistisch sind finanzielle Sanktionen?

    Günther Oettinger (CDU), EU-Kommissar für Haushalt und Personal.
    Günther Oettinger (CDU), EU-Kommissar für Haushalt und Personal. © dpa | Thomas Frey

    Kurzfristig ist damit nicht zu rechnen. Der deutsche EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) hat zwar bereits angedeutet, dass die EU-Hilfen an die Einhaltung der Grundwerte gebunden werden könnten. Doch dies ist nur eine Option von mehreren, die bei der Planung der nächsten Finanzperiode ab 2020 auf dem Tisch liegen. Mit konkreten Vorschlägen wird erst im nächsten Jahr gerechnet. Wegen des britischen EU-Austritts und der dadurch verursachten Finanzierungslücke könnten sich die Entscheidungen aber auch noch länger hinziehen.

    Wie geht es weiter?

    Die EU-Kommission setzt für 2018 nicht mehr so sehr auf die Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland in andere EU-Länder, sondern auf die Neuansiedlung aus Drittländern (Resettlement). Neben der Türkei und Nahost sollen vor allem Menschen aus Nordafrika aufgenommen werden. Bei einem Minigipfel in Paris hat sich auch

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    für die Aufnahme von afrikanischen Flüchtlingen ausgesprochen. Sie sollten nicht erst nach ihrer Ankunft, sondern schon vor der riskanten Flucht übers Mittelmeer ausgesucht und sicher in die EU transportiert werden. Wie dies praktisch gehen soll, ist aber noch völlig offen.