Luxemburg. Dürfen sich EU-Staaten weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, wie die Slowakei und Ungarn? Darüber entscheidet heute der EuGH in Luxemburg.

Im Sommer 2015 war Europa mit den größten Flüchtlingsbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert. Viele tausend Menschen kamen in die EU – vornehmlich über die Außengrenzen in Griechenland und Italien. Die EU-Länder trafen damals eine Entscheidung für eine gerechte Verteilung der Menschen innerhalb der Staatengemeinschaft.

Der Streit darüber dauert bis heute an, denn einige Länder weigern sich. Der Europäische Gerichtshof könnte mit einem Urteil an diesem Mittwoch nun Klarheit schaffen.

Was genau wurde 2015 entschieden?

Die EU-Innenminister beschlossen am 22. September 2015, 120.000 Flüchtlinge innerhalb Europas zu verteilen. Seither sind jedoch Tausende weitere Menschen angekommen, über deren Verteilung noch gar nicht entschieden ist. Die 120.000 Menschen sind vor allem solche, die gute Chancen auf Asyl haben.

In erster Linie ging und geht es dabei um Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, aber auch etwa um Flüchtlinge aus Eritrea und dem Irak. Die Umverteilung sollte eigentlich bis zum 26. September dieses Jahres abgeschlossen sein, sie zieht sich jedoch in die Länge. Die EU-Kommission hat jedoch bereits deutlich gemacht, dass mit diesem Datum die Umverteilung nicht beendet ist.

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    Wie kam die Entscheidung zustande?

    . Das war äußerst ungewöhnlich, da derart heikle Entscheidungen – auch wenn die nötige Mehrheit erreicht wird – nach Möglichkeit einstimmig unter den EU-Staaten getroffen werden.

    Wie argumentieren nun Ungarn und die Slowakei?

    Ungarn müsste nach dem Verteilungsschlüssel 1294 Schutzbedürftige aufnehmen, die Slowakei 902. Aus Sicht der beiden klagenden Länder ist der Beschluss von 2015 jedoch rechtlich unzulässig. Die ungarische Regierung wetterte zuletzt zudem, die EU-Kommission und der Europäische Rat hätten sich dem „Soros-Plan“ angeschlossen.

    Nach einer Verschwörungstheorie des

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    beabsichtigt der US-Milliardär George Soros angeblich, Flüchtlingsmassen nach Europa zu lenken. Dies geschehe durch „Unterwanderung“ der europäischen Gremien und von Soros finanzierten Zivilorganisationen. Ziel dieses „Plans“ sei es letztlich, die „christliche und nationale Identität“ der Völker Europas zu zerstören. Die Slowakei äußert sich zurückhaltender, ist in der Sache aber bislang ähnlich unnachgiebig.

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    Wie sieht die Flüchtlingssituation in Europa heute aus?

    Im Vergleich zur Hochphase 2015 kommen derzeit deutlich weniger Flüchtlinge in der EU an. Das liegt unter anderem an dem Flüchtlingspakt mit der Türkei. In den vergangenen Monaten kamen im Schnitt 50 Menschen pro Tag auf den benachbarten griechischen Inseln in der Ägäis an, zuletzt stiegt deren Zahl auf etwa 400 pro Tag.

    Bislang wurden außerdem erst gut 27.000 Menschen aus Griechenland und Italien in andere EU-Länder gebracht. Ungarn hat bislang niemanden aufgenommen, Polen ebenfalls nicht. Tschechien kommt auf 12 Menschen, die Slowakei auf 16. Deutschland kann im Rahmen des Umverteilungsbeschlusses bislang rund 8000 Aufgenommene vorweisen. Die EU-Kommission weist darauf hin, dass es nicht einfach sei, genügend geeignete Kandidaten für die Umverteilung zu finden.

    Wie sieht der EuGH-Generalanwalt die Sache?

    Nach Einschätzung eines wichtigen Gutachters am EuGH, Generalanwalt Yves Bot, ist die Sache eindeutig: Ungarn und die Slowakei müssen – ebenso wie die übrigen an dem Beschluss beteiligten EU-Staaten – Flüchtlinge aufnehmen. Weder sei an der Rechtsgrundlage des Beschlusses etwas auszusetzen, noch habe es Verfahrensfehler gegeben.

    Auch inhaltlich sieht er die Entscheidung begründet. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 sei die Übernahme von Migranten durch andere Länder zur Entlastung von Griechenland und Italien geeignet gewesen. Die Klage Ungarns und der Slowakei müsse daher auf ganzer Linie abgewiesen werden. Meistens folgen die Luxemburger Richter der Empfehlung des Gutachters.

    Welche Folgen könnte ein Urteil haben?

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    n, wäre damit klar, dass der Beschluss des Ministerrats vom 22. September 2015 geltendes EU-Recht ist. Sollten sich einzelne Länder weiterhin dagegen sperren und die Aufnahme von Flüchtlingen verweigern, hätte die EU-Kommission als „Hüterin der Verträge“ die Möglichkeit sogenannte Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

    Sie können nach einem längeren Verfahren wiederum in einer Klage vor dem EuGH und in hohen Geldstrafen münden.

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    bereits im Juni erste derartige Schritte eingeleitet. (dpa/aba)