Berlin. Trotz des Anschlags will der Innenminister weiter nach Afghanistan abschieben. SPD-Ministerpräsidenten fordern, die Lage zu prüfen.

Die Bundesregierung will trotz des heftigen Anschlags in der Nähe der deutschen Botschaft in Kabul weiterhin abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abschieben. Das bekräftigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch. Zuvor hatte die Bundesregierung die in dieser Woche geplante Abschiebung verschoben. De Maizière sagte, die Mitarbeiter der Botschaft in Kabul hätten derzeit Wichtigeres zu tun, als sich mit Abschiebungen zu beschäftigen.

„Deshalb habe ich entschieden, diesen Flug abzusagen. Er wird aber baldmöglichst nachgeholt.“ An der generellen Linie der Regierung in dieser Frage ändere sich nichts, fügte de Maizière hinzu. Die Abschiebungen nach Afghanistan sind hoch umstritten. Aktuell verschärft sich der Konflikt zwischen Regierung und radikalislamischen Taliban. Landesweit kommt es zu Gefechten und Anschlägen. Deutschland hat bisher in fünf Sammelflügen 106 abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben.

Zweifel an der Praxis

Der nächste Sammelflug hätte eigentlich am Donnerstagmorgen in Kabul landen sollen. De Maizière sagte zu der kurzfristigen Absage des Fluges: „Es ist keine Veränderung der generellen Linie, sondern es ist eine Entscheidung, die den Umständen des heutigen Tages geschuldet ist.“ Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und er seien sich einig, „dass in maßvoller, bestimmter Weise Rückführungen nach Afghanistan zumutbar und notwendig sind“. Das betreffe insbesondere Straftäter. Bei dieser Linie werde es bleiben.

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    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) will ebenfalls an Abschiebungen nach Afghanistan festhalten. „Der jüngste Anschlag in Kabul war fürchterlich. Aber man muss nicht deswegen die Abschiebungen stoppen“, sagte Herrmann unserer Redaktion . „Eine Rückkehr nach Afghanistan ist immer noch zumutbar.“ Herrmann betonte, Bayern habe nicht die Absicht, die Abschiebepraxis „auf Dauer zu stoppen“.

    In den Reihen der sozialdemokratischen Ministerpräsidenten gibt es jedoch Zweifel an der Praxis der großen Koalition. Bundesratspräsidentin Malu Dreyer (SPD) forderte die Bundesregierung auf, ihre Haltung zu Abschiebungen nach Afghanistan auf den Prüfstand zu stellen.

    Reihe offener Fragen

    Nach dem schrecklichen Anschlag in Kabul müsse die Regierung „die Sicherheitslage in Afghanistan überprüfen und damit die Voraussetzungen, unter denen Abschiebungen dorthin stattfinden können“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin dieser Zeitung. Die rot-grüne Landesregierung in Mainz verzichtet auf Abschiebungen in das Land am Hindukusch.

    Zweifel äußerte auch Bremens Bürgermeister Carsten Sieling. „Nicht zuletzt der UNHCR-Bericht hat sehr deutlich gemacht, dass es eine Reihe offener Fragen hinsichtlich der Sicherheitslage in Afghanistan gibt“, sagte der SPD-Politiker dieser Zeitung. Bremen habe sich deshalb wie andere Bundesländer nicht an den Abschiebungen in das Land beteiligt. „Der grausame Anschlag in Kabul macht es aus meiner Sicht zwingend, dass die Bundesregierung ihre Sicherheitseinschätzung überprüft.“

    Merkel verteidigte Abschiebungen

    Vergangene Woche hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Abschiebepraxis verteidigt. „Ich weiß, dass ich mich damit nicht beliebt mache“, sagte Merkel auf der Veranstaltung mit dem früheren US-Präsidenten Barack Obama in Berlin. Aber wenn in einem Rechtsstaat nach mehrfacher Prüfung eine Entscheidung gegen einen Aufenthalt in Deutschland getroffen werde, müsse diese umgesetzt werden. Man müsse sich auf die wirklich Hilfsbedürftigen konzentrieren, sagte Merkel.

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      Opposition, Menschenrechtsorganisationen und verschiedene Verbände fordern schon seit Längerem einen sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan. Das verlangen sie nun umso eindringlicher. So kritisierte Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne): „Wenn die Bundesregierung jetzt die Abschiebungen nur übergangsweise aussetzen will, ist das schlichtweg zynisch.“ Niemand sei in Afghanistan sicher. Linksfraktionsvize Jan Korte sagte, der Anschlag zeige, wie haarsträubend falsch die Abschiebepolitik sei. (mit dpa-Material)

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