Kairo. Bei einem Luftangriff mit Giftgas im Nordwesten Syriens sterben Dutzende Menschen. Das Assad-Regime weist die Verantwortung von sich.

Während die Vereinten Nationen auf der Syrienkonferenz in Brüssel an die Welt appellierten, mehr Gelder für Flüchtlinge und den Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen, griffen Kampfflugzeuge am Dienstag früh in der Provinz Idlib das Städtchen Khan Sheikhoun mit Giftgasgranaten an und töteten mindestens 58 Menschen, darunter elf Kinder. Aktivisten machten für die Bombardierung Jets der syrischen Luftwaffe verantwortlich. Diese wies den Vorwurf zurück.

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Die in Brüssel versammelten Politiker und Diplomaten reagierten empört. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini machte Bashar al-Assad für das Massaker verantwortlich und erklärte, es sei surreal, an einem solchen Tag über die Zeit nach dem syrischen Bürgerkrieg zu beraten und den Wiederaufbau nach einem Frieden zu planen. Frankreich beantragte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates.

Erdogan ermahnt Putin

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan rief seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin an und drohte, solche Angriffe könnten die russisch-türkische Friedensinitiative von Kasachstan gefährden. In dessen Hauptstadt Astana hatten in den vergangenen Wochen Moskau, Teheran und Istanbul einen Waffenstillstand für Syrien ausgehandelt, den sie seitdem gemeinsam überwachen, der aber immer häufiger verletzt wird.

Welches Gas die Angreifer einsetzten, blieb zunächst unklar. Fotos zeigten Leichen von Mädchen und Jungen auf der Ladefläche eines Pick-ups. Erstickte Erwachsene, die zusammengekrümmt auf der Straße lagen, hatten Schaum vor dem Mund. Freiwillige Helfer der Weißhelme mit Gasmasken versuchten, einige der Vergifteten zu retten, indem sie ihnen die Kleider vom Leib rissen und die Chemikalien mit Wasserduschen abspritzten. Auf anderen Videosequenzen sind Ärzte des örtlichen Krankenhauses zu sehen, die mit künstlicher Beatmung um das Leben der Opfer kämpften.

Einwohner flüchten aus Mossul

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    Chlorgas fällt nicht unter das internationale Verbot

    Am Mittag schlugen Raketen auch in das Hospital ein, in dem Dutzende Überlebende liegen und zerstörten Teile des Gebäudes. Ein benachbarter Stützpunkt der Weißhelme wurde ebenfalls getroffen. Die Provinz Idlib gilt als letzte Hochburg der Rebellen, unter denen die al-Qaida-nahe Allianz Hayat Tahrir al-Sham jetzt den Ton angibt. Das syrische Regime hatte 2013 nach einem schweren Giftgasangriff im Umland von Damaskus mit 1400 Toten alle seine Chemiewaffenbestände an internationale Kontrolleure ausgehändigt.

    Trotzdem gab es in den folgenden Jahren immer wieder vereinzelte Angriffe, meist mit Chlorgas, unter anderem in der Schlacht um Aleppo. Diese Chemikalie fällt nicht unter das internationale Verbot, weil sie im Zivilleben gebraucht wird, unter anderem zur Trinkwasseraufbereitung.

    Nur eine politische Lösung kann das Leid beenden“

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    Auf der Konferenz in Brüssel betonte der für humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissar Christos Stylianides, es sei die moralische Pflicht der internationalen Gemeinschaft, ihrer Verantwortung gegenüber dem syrischen Volk so lange wie nötig nachzukommen. „Nur eine politische Lösung kann das Leid beenden.“

    Fünf Millionen Syrer sind inzwischen in den nahöstlichen Nachbarländern als Flüchtlinge registriert. Weitere 600.000 Menschen leben daheim in Hungerenklaven eingeschlossen, die meisten belagert von den Truppen des Assad-Regimes. Für 2017 braucht das UN-Flüchtlingshilfswerk mindestens 4,7 Milliarden Dollar, von denen bisher erst neun Prozent eingezahlt wurden.

    Was soll mit Assad passieren?

    Überschattet wurde das Treffen in Brüssel von der Kontroverse zwischen den USA und Europa über das Schicksal von Präsident Assad. „Im Blick auf Assad existiert eine politische Realität, die wir anerkennen müssen“, erklärte Ende vergangener Woche der Sprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer. In das gleiche Horn stießen UN-Botschafterin Nikki Haley und US-Außenminister Rex Tillerson. Der langfristige Status von Präsident Assad werde von den Syrern bestimmt, sagte Tillerson bei seinem Besuch in Ankara.

    Dagegen bekräftigten die EU-Außenminister, eine Zukunft Syriens mit Assad an der Spitze sei unmöglich. Haley unterstrich, die USA wollten sich künftig darauf konzentrieren, zusammen mit Russland und der Türkei eine politische Lösung des Bürgerkriegs zu erreichen.

    Ungeachtet dessen will Washington sich künftig primär auf den Krieg gegen den „Islamischen Staat“ und die Einnahme der IS-Hauptstadt Rakka konzentrieren. Die eingesetzten US- Eliteeinheiten sind mit den kurdischen YPG-Milizen und syrisch-arabischen Rebellenverbänden bis auf acht Kilometer an die 300.000-Einwohner-Stadt herangerückt. Die Offensive gegen das Stadtgebiet soll in den nächsten Wochen beginnen, sobald die Angreifer Rakka komplett umzingelt haben.