Paris. Der französische Präsidentschaftskandidat Francois Fillon erhebt im Interview weitreichende Forderungen an Deutschland und Angela Merkel.

Sein Büro im Südwesten von Paris ist lichtdurchflutet – weiße Wände, großer Glastisch, schwarze Lederstühle. Nüchtern und funktional sieht es hier aus, nur die Trikolore in der Ecke bietet einen der wenigen Farbtupfer. Präsidentschaftskandidat François Fillon spricht im Interview mit unserer Redaktion und der französischen Zeitung „Ouest-France“ ruhig und bedächtig, trotz der Vorwürfe gegen ihn.

Fillon steht im Wahlkampf unter Druck, weil er seine Frau und zwei seiner Kinder scheinbeschäftigt haben soll. Im Januar sah der Konservative noch als der sichere Sieger aus, nun liegt er in den Umfragen auf Platz drei hinter Emmanuel Macron und Marine Le Pen. Doch politische Beobachter in Paris schreiben ihn noch nicht ab.

Sie stehen wegen der Vorwürfe, Ihre Frau und zwei Ihrer Kinder scheinbeschäftigt zu haben, schwer unter Druck. Beschädigt das nicht nachhaltig Ihre Autorität und Glaubwürdigkeit?

François Fillon: Der Wirbel reduziert die Debatte über die politischen Inhalte, leider. Aber am Ende sind es die Franzosen, die diese Frage entscheiden. Genauso wie die Frage, ob sie eine wirkliche Wende wollen. Ich bin der Einzige, der eine glaubwürdige Alternative zu dem bisherigen Kurs und seinen katas­trophalen Auswirkungen verkörpert.

US-Präsident Donald Trump will sich vom Freihandel verabschieden und droht mit Importzöllen: Wie soll Europa reagieren?

Wegen der Bedrohung des Freihandels durch Donald Trump müssen wir uns erstens auf Gegenmaßnahmen verständigen, die ein Abschreckungspotenzial haben. Und zweitens auf eine Wettbewerbspolitik, die die europäischen Unternehmen gezielt begünstigt und nicht allein den Wettbewerb innerhalb der EU fördert. Ich glaube, dass unsere deutschen Freunde, die in dieser Hinsicht noch zögerlich auftreten, ihre Haltung überdenken sollten – schon allein wegen des Empfangs, den Herr Trump Frau Merkel in Washington bereitet hat.

Sind die Deutschen zu weich gegen Trump?

Die Idee, dass sich Europa künftig schützen muss gegen eine aggressive amerikanische Politik, stößt in den Kreisen politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsträger in Deutschland noch auf sehr viel Skepsis. Aber die Drohung Trumps, für die Importe von BMW oder Mercedes Strafzölle zu erheben, wird Berlin über eine offensivere Strategie nachdenken lassen und somit auch über eine Form von europäischer Solidarität.

Sollte auch die EU Strafzölle einführen?

Darauf will ich nicht hinaus. Aber wir müssen den Amerikanern klarmachen, dass wir uns keine Änderungen der Regeln aufzwingen lassen, ohne zu reagieren. Im Bereich der Digitaltechnik beispielsweise könnte Europa den eigenen Rahmen der Spielregeln und der Besteuerung neu definieren, um den Wettbewerb wieder auszugleichen. Und wir müssen die skandalöse Einmischung der amerikanischen Justiz in die Angelegenheiten europäischer Unternehmen auf die Tagesordnung setzen, die gegen die Regeln der Exterritorialität verstößt und damit gegen internationales Recht.

Frankreich-Wahl: Darum reden alle nur über die Affären der Kandidaten

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    Sie haben die deutsch-französische Partnerschaft als schwach und leer bezeichnet. Wie wollen Sie sie wieder verbessern?

    Die Partnerschaft wurde durch den Versuch von François Hollande beschädigt, zu Beginn seiner Präsidentschaft eine Allianz des Südens Europas gegen Deutschland zu schmieden. Das hat ebenso Spuren hinterlassen wie die Tatsache, dass Frankreich nach wie vor nicht sein Versprechen eingelöst hat, die europäischen Defizitregeln zu respektieren. Wir brauchen eine französische Wachstums- und Reformpolitik, die das verlorene Vertrauen wiederherstellt.

    Indem Paris Befehle aus Berlin entgegennimmt, wie die rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen behauptet?

    Seinen Verpflichtungen nachkommen ist kein Akt der Unterwerfung! Hingegen können Sie sicher sein, dass nach sechs Monaten Regentschaft Le Pen der Internationale Währungsfonds die Verwaltung unseres Landes übernimmt. Europa ist in Gefahr, der Brexit ist ein Donnerschlag. Wir brauchen ein Projekt der Wiederbelebung Europas, aber nicht durch einen neuen EU-Vertrag, der Monate der Verhandlungen zwischen den 27 EU-Mitgliedern brauchen würde. Der einzig gangbare Weg ist eine deutsch-französische Initiative, die Lösungen für die drängendsten Probleme anbietet.

    Welchen Draht haben Sie zu Bundeskanzlerin Angela Merkel?

    Wir haben eine Vertrauensbeziehung. Charakterlich verfügen wir beide über ein ruhiges und solides Naturell. Wir haben einen ähnlichen Blick auf Gesellschaft und Wirtschaft. Es ist wohlgemerkt nicht der Blick Hollandes. Wir haben ein offenes Verhältnis. Ich habe Frau Merkel zum Beispiel ganz offen gesagt, dass Frankreich zwar bestimmt keine Lektionen über die Flüchtlingspolitik erteilen kann. Aber umgekehrt ist unser Land auch nicht in der Lage, eine große Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen. Das liegt an unserer wirtschaftlichen und sozialen Situation sowie an den Spannungen in der Gesellschaft.

    Wäre es ein Problem für Sie, wenn der SPD-Kandidat Martin Schulz Kanzler wird – möglicherweise in einer Koalition mit der Linkspartei und den Grünen?

    Ich habe nicht die Absicht, mich in die deutsche Innenpolitik einzumischen. Die nötigen Initiativen werde ich mit jeder deutschen Regierung ergreifen. Deutschland ist unser historischer Partner und Verbündeter. Richtig ist, dass ich Frau Merkel in ideologischer und politischer Hinsicht näherstehe als Herrn Schulz. Aber in der Vergangenheit haben wir oft Präsidenten und Kanzler gehabt, die sich trotz ihrer unterschiedlichen politischen Couleurs gut verstanden haben. Seien wir realistisch: Frankreich und Deutschland sind zwei Kontinentalmächte, deren Schicksal eng miteinander verknüpft ist.

    Sie wollen die Sanktionen gegen Russland restlos aufheben?

    Ja. Auch wenn unsere deutschen Freunde das anders sehen: Die Sanktionen gegen Russland müssen so schnell wie möglich aufgehoben werden. Ein Kurs der Konfrontation kann nur in eine Katastrophe münden. Die Russen werden nicht nachgeben. Das ist kein Volk, das den Kopf senkt, weil man wirtschaftliche Sanktionen verhängt. Ich behaupte ja nicht, die Russen begingen keine Irrtümer. Ich sage lediglich, dass wir auf die falsche Methode zurückgreifen. Die Russen respektieren das Abkommen von Minsk nicht, die Ukrainer aber auch nicht. Es kommt der Punkt, an dem Europa mit der Faust auf den Tisch schlagen muss.

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      Muss die Krim an die Ukraine zurückgegeben werden?

      Das ist Wunschdenken. Russland wird die Krim niemals zurückgeben. Drei Viertel der Bevölkerung dort bestehen aus Russen. Die Situation im Osten der Ukraine ist aber eine ganz andere. Wer die Geschichte der Krim kennt, weiß, dass sich das nicht vergleichen lässt.

      Sie haben kritisiert, dass die Bundeswehr nicht an Kampfeinsätzen teilnimmt: Wo sollte sie denn kämpfen?

      Zum Beispiel in der Sahelzone.

      In Mali und in vier Anrainerstaaten kämpfen derzeit rund 3500 französische Soldaten gegen die Unterwanderung des Landes durch islamistische Milizen.

      Frankreich kann dort nicht ewig allein agieren. Das geht über unsere Kräfte und finanziellen Möglichkeiten hinaus. Deutschland könnte mit seinen Überschüssen wenigstens mehr zur Finanzierung der europäischen Sicherheit beitragen, die wir dort verteidigen.