Vor 20 Jahren hat sich die Angst vor dem Terror in das kollektive Gedächtnis eingebrannt und uns Menschen verändert. Ein Kommentar.

Ich habe eine Sache mit 72 Prozent der Deutschen gemeinsam. Ich weiß noch genau, was ich gemacht habe, als ich vom Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 erfahren habe. Die Zahl 72 hat eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergeben. Im Grunde bedeutet das, dass fast alle, die damals schon geboren waren, sich genau erinnern können. Der 11. September war ein kollektiver Schock, der bis heute als Trauma nachwirkt.

Die unermesslich grausame Tat kostete 3000 Menschen das Leben. Doch das ist nicht der einzige Grund, der diesen Tag für viele so unvergesslich macht.

Zum einen ist da der Hauptort des Anschlags. Kaum einer, der damals schon einmal in New York war, beendete seine Reise, ohne die Twin Tower erklommen zu haben. Schnappschüsse von oben mit Blick über die Stadt zierten Kommoden deutscher Wohnzimmer. Und wer noch nicht selbst die Stadt besucht hatte, kannte sie aus Filmen.

Ich war 2004 das erste Mal dort, fühlte ebendiese Vertrautheit, als ich den Dampf der U-Bahnen aus den Gullys aufsteigen sah. Was für ein Klischee, aber in jedem New-York-Film tauchten die gelben Taxis auf, küssten sich die Protagonisten auf dem Empire State Building in der 34. Straße und hetzten Banker durch die Wall Street auf der Jagd nach Aktiendeals.

Die Twin Tower, die lange Zeit die höchsten Gebäude der Welt waren, galten als die Superlative der menschlichen Schaffens- und Wirtschaftskraft. Die in den Himmel ragenden Träume des westlichen Wirtschaftssystems. Ihre Zerstörung war nicht die Zerstörung eines übergroßen Bauwerks, es war die Vernichtung dieser Träume.

Zudem besteht und bestand eine enge Identifikation mit der Stadt und seinen Menschen, viele Deutsche arbeiteten in New York – folglich gab es unter den Toten auch elf deutsche Opfer.

Die Welt erlebte den kollektiven Horror live im Fernsehen

Diana Zinkler, Textchefin der Zentralredaktion.
Diana Zinkler, Textchefin der Zentralredaktion. © Krauthoefer | Krauthoefer

Neben der emotionalen Nähe konnte jeder den Anschlag, nachdem das erste Flugzeug in die Hochhäuser geflogen war, live im Fernsehen verfolgen. Ich weiß noch, wie ich damals als Studentin bei einer Autozulieferfirma auf der Frankfurter Automesse IAA arbeitete. Meine Aufgabe war es, als Hostess, die Gäste zu empfangen. Und mir gegenüber stand ein riesiger Bildschirm einer Technikfirma. Es war um 15.03 Uhr, als das zweite Flugzeug in die bereits brennenden Tower stürzte.

Es war der kollektive Horror, den die ganze Welt erstmals live miterleben musste.

Schnell waren die Attentäter bekannt. Islamisten, die unter uns gelebt hatten, die in Hamburg studierten, die in Deutschland das Attentat planten.

20 Jahre später ist die Angst allgegenwärtig

Neben all den Veränderungen, die der Staat vornehmen konnte, um mögliche weitere Taten zu verhindern, passte ein jeder in den Jahren danach auf. Heute berichten Muslime darüber, wie sie in der Zeit nach den Anschlägen argwöhnisch beobachtet wurden, wie sie sich selbst unwohl fühlten in öffentlichen Verkehrsmitteln, wie Menschen das Abteil wechselten. Angst wurde zum Begleiter, das Reisen verlor seine Unschuld, der dunkelhaarige Nachbar im Flugzeug gedanklich zumindest einmal zum potenziellen Attentäter erklärt. Das „Was-wäre-wenn“ verwandelte Toleranz in Misstrauen.

Heute leben wir selbstverständlich mit den vielen Sicherheitsvorkehrungen, die uns seit 2001 geblieben sind. Getränke austrinken vor dem Check-in, keine spitzen Gegenstände einpacken, nur kleine Mengen Flüssigkeit, Shampoo, Parfüm, Creme sind erlaubt. Geübt drehen wir uns im Körperscanner.

Aber die Angst ist immer noch da, zwar nicht mehr so bewusst, aber sie hat uns wachsam gemacht: Mindestens die 72 Prozent, die sich genau erinnern.