Berlin. Publizist Stefan Aust sorgt bei “Lanz“ mit steilen Thesen zu Corona für großes Unverständnis. Karl Lauterbach muss darüber lachen.

  • Bei Markus Lanz polarisierte Stefan Aust mit seinen Aussagen
  • Karl Lauterbach ließ sich trotzdem nicht von seiner Haltung abbringen
  • Das waren die Aufreger der Sendung

"Wir haben tatsächlich eine Lücke, die geschlossen werden müsste", eröffnete Karl Lauterbach am Donnerstagabend die Runde bei "Markus Lanz". Thema des ZDF-Talks: Die Corona-Politik, Gefahren und Herausforderungen durch die Delta-Variante und aktuelle Gegenmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.

Genau diese reichen dem SPD-Politiker zufolge nicht aus. Müssen sich Reisende aus Risikogebieten momentan nur einmal bei Rückkehr nach Deutschland testen lassen - Geimpfte mit vollem Impfschutz sogar gar nicht -, stellte Lauterbach klar: "Das ist aus meiner Sicht falsch." Publizist und Ex-"Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust sah das ganz anders. Weniger Maßnahmen würden noch mehr Wirkung zeigen, behauptete er. Das sollte noch zu einer hitzigen Diskussion führen.

SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach ließ sich nicht von seiner Haltung abbringen: "Wir müssen das so machen wie im letzten Sommer, dass man sich einmal testen lassen muss, wenn man reinkommt, aber dann fünf Tage später nochmal. Weil ich sonst zu viele übersehe, die beim ersten Test noch negativ sind, beim zweiten Test aber dann, wenn nicht gemacht würde, positiv", argumentierte der Politiker.

"Markus Lanz" – Das waren die Gäste:

  • Karl Lauterbach (SPD), Politiker
  • Prof. Melanie Brinkmann, Virologin
  • Peter Tauber, Politiker
  • Stefan Aust, Publizist

Wenn man eine derartige Strategie umsetze, sei gegen Tourismus und Reisen auch weiterhin nichts einzuwenden: "Mit ein bisschen Intelligenz kann man den superguten Sommer erhalten und man kann auch reisen."

Delta-Variante: Lauterbach schätzt Risiko ein

Lauterbach schloss sich verschiedenen Experten wie Virologin Sandra Ciesek und RKI-Präsident Lothar Wieler an, die davon ausgehen: Die Delta-Variante wird in nicht allzu ferner Zukunft die weltweit dominierende Variante werden. "Sie ist ungefähr zweieinhalb- bis viermal so ansteckend wie die ursprüngliche Sars-CoV-2", so der SPD-Politiker. Bei dieser Corona-Mutante würden für eine Ansteckung einige Minuten im selben Raum mit einem Infizierten ausreichen.

Ein Lichtblick von Lauterbach: Die Impfstoffe von Moderna und Biontech seien zu 90 Prozent auch gegen Delta wirksam. Astrazenecas Wirksamkeit gegen die Variante sei zwar nicht ganz so hoch - schwere Krankheitsverläufe würde allerdings auch dieses Vakzin verhindern. Wäre Delta zu Beginn der Pandemie und damit vor den weltweiten Impfkampagnen aufgetreten, wäre die Katastrophe seiner Meinung nach noch viel größer ausgefallen.

Brinkmann: Deutschland fehlt es an Maßnahmen

Melanie Brinkmann wirkte in der Talk-Runde bei Lanz weniger optimistisch. Der Virologin zufolge könne man sich im Fall Deutschland auf keine schnellen Fortschritte wie in Großbritannien verlassen. Schließlich werde in England die Ausbreitung verschiedener, sogar nicht nennenswerter Mutationen, genauestens verfolgt - in Deutschland vergleichsweise weniger. Außerdem seien die Reisebeschränkungen der Bundesrepublik nicht nennenswert.

Der Anstieg der Delta-Variante in Deutschland sei bemerkenswert - aber nicht überraschend. Unter anderem auch, weil die Impfkampagne in anderen europäischen Ländern fortgeschrittener sei.

Stefan Aust: Zu viel Alarmstimmung in Deutschland

Publizist Stefan Aust entpuppte sich in der Runde als polarisierender Gesprächspartner. Zwar sei er ebenfalls der Meinung, dass in der Pandemie bestimmte Maßnahmen greifen müssen - "aber ich glaube, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, war ein bisschen zu viel Alarmstimmung. [...] Ich glaube, wenn man den Leuten genau sagt, wo die Probleme liegen, dann muss man denen nicht so viel Angst machen, wie das in diesem Land in der Tat passiert ist", meint Aust. Lauterbach wendet sofort sein Gesicht ab und schaut zu Boden - auch Brinkmann wirkt sichtlich überrascht.

"Ich glaube, dass die Bürger dieses Landes klug genug sind, um von sich aus sich etwas anders zu verhalten." Für seine durchaus gewagte Hypothese kassierte Aust weitere ungläubige Blicke aus der Runde. Ein frühes Papier des Bundesinnenministeriums wirke Aust zufolge beispielsweise schlichtweg so, als sei es nur dafür bestimmt, den Menschen gezielt Angst zu machen.

Lauterbach gibt Fehler zu

Als Beteiligter am Papier fiel ihm Lauterbach zugleich ins Wort und gab zu: "Dieses frühe Papier aus dem Innenministerium, wo die Dinge dramatisiert werden sollten, um die Menschen zu verängstigen, sodass sie sich schützen müssen... [...] Das Papier war aus meiner Sicht ein Fehler - es hat mehr geschadet als alles andere."

Für Peter Tauber ist Lauterbachs Einsicht allerings wenig einleuchtend: Er sehe es sehr wohl als Aufgabe von Wissenschaftlern und Politikern, die Bürger auf das Schlimmste vorzubereiten.

"Lanz": Publizist wirft Regierung Angstmache vor Corona vor. © WDR/Max Kohr | WDR/Max Kohr

Aust: Corona-Todeszahlen werden dramatisiert

Aust konterte mit weiteren Vorgängen in der Corona-Politik - unter anderem auch mit der dramatischen Berichterstattung. So sei vor allem zur Höchstphase der Pandemie täglich über alle Radiostationen und Sender über die Opfer berichtet worden, die mit oder an Corona gestorben sind. Seiner Meinung nach werde den Menschen allerdings kein Vergleichswert geboten: Wie viele Menschen sterben ohnehin täglich in Deutschland? Den Menschen werde übermittelt, dass Covid-19 in diesem Land die einzige Todesursache sei. Außerdem sei bis heute völlig unklar, was "an oder mit Covid" bedeute. Bei diesen Aussagen bricht Lauterbach in Lachen aus.

Es folgt ein verbales Hin- und Her zwischen Lauterbach und Aust. Eine der wohl steilsten Thesen Austs: "Die an oder mit Corona Verstorbenen in Deutschland haben eine längere Lebenserwartung gehabt als die durchschnittliche Lebenserwartung der Leute in Deutschland." In Lauterbachs Augen ein gefährliches Statement.

Es relativiere die Opfer, vor allem die verstorbenen Älteren und das nur aufgrund deren Alters. Außerdem stimme Austs Aussage einfach nicht - er habe selbst zuletzt junge Menschen im Alter von rund 29 Jahren auf Intensivstationen gesehen, die nahezu keine Überlebenschance hatten, sagte Lauterbach.

Schüler und Präsenzunterricht: Maskenzwang nicht der richtige Weg?

Ein weiteres Streitthema: Kinder und der Präsenzunterricht. Auch hier vertrat Aust eine ganz eigene Meinung: Kinder sollten nicht dazu gezwungen werden, stundenlang mit Maske im Unterricht zu sitzen. In Schweden fahre man schließlich auch mit ausgedünnten Klassen, sprich Wechselunterricht, und dafür ohne Masken gut. Dass die Situation in Schweden Lauterbach zufolge nicht mit der in Deutschland zu vergleichen sei, interessierte Aust wenig. Diese Debatte bei Markus Lanz zeigte eindeutig: Selbst Experten wie Lauterbach und Brinkmann sind sich nicht komplett einig über das Vorgehen in der Pandemie und erwarten ganz unterschiedliche Szenarios. Unterm Strich ist klar: Für einwandfrei hielt keiner der Gäste die deutsche Corona-Politik.

"Markus Lanz" – So liefen die vergangenen Sendungen