Berlin. Die Ermittlungen führen die „Polizeiruf“-Kommissare in ein „braunes Bullerbü“. Völkische Siedlungen sind tatsächlich keine Seltenheit.

Eine rechtspopulistische Rostocker Politikerin wird bei lebendigem Leib verbrannt. Die Ermittlungen führen die Kommissare Katrin König und Alexander Bukow im „Polizeiruf 110“ in eine völkische Siedlung bei Rostock. „Braunes Bullerbü“ nennt ihr Kollege Anton Pöschel das Dorf der Rechtsextremen.

Reichskriegsfahnen, altertümliche Kleidung, Hitler-Scheitel und streng-konservative Rollenverteilung zwischen Mann und Frau – das ist das, was den beiden Kommissaren dort direkt ins Auge sticht. Was hat es mit den völkischen Siedlungen auf sich?

• Gibt es das „braune Bullerbü“ bei Rostock wirklich?

Bei der Siedlung der Völkischen im „Polizeiruf 110“ von Sonntag handelt es sich um ein fiktives Siedlungsprojekt im fiktiven Ort Sandheim bei Rostock. „38 Einwohner, alle in der Szene“, erläutert Kommissarin Katrin König ihren Kollegen in der Lagebesprechung. Dennoch: Siedlungsprojekte von Rechtsextremen wie im TV-Krimi gibt es tatsächlich.

„Seit einigen Jahren ziehen immer mehr völkische Siedler und Siedlerinnen in den ländlichen Raum. Fernab der großen Städte bilden sie hier Gemeinschaften, die ihrem rassistischen Weltbild entsprechen“, schreibt die Amadeu Antonio Stiftung, eine Initiative für demokratische Kultur, auf ihrer Internetseite und gab 2014 die passende Broschüre „Völkische Siedler/innen im ländlichen Raum“ heraus.

Auch der Namen „braunes Bullerbü“ aus dem „Polizeiruf“ ist nicht frei erfunden. Er wurde bereits häufiger aufgegriffen. So trug eine Reportage in der „Zeit“ von 2011 über völkische Siedlungsprojekte in Mecklenburg-Vorpommern den Titel „Bullerbü in braun“. Und auf „Spiegel Online“ erschien 2015 ein Artikel zu rechtsextremen Biobauern unter der Überschrift „Vegane Nazis bauen sich ihr Bullerbü“, in dem es unter anderem um völkische Siedler im Wendland und in Mecklenburg-Vorpommern geht.

• Wo gibt es solche Siedlungen?

Laut einer aktuell gehaltenen Karte der Amadeu Antonio Stiftung ist Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich Deutschlands Schwerpunktgebiet für völkische Siedlungen. 13 Verdachtspunkte verzeichnet die Stiftung in dem Bundesland. Doch auch in anderen Bundesländern – Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Hessen und Bayern – vermutet die Stiftung Siedlungsprojekte von Rechtsextremisten.

• Worum geht es den rechtsextremen Siedlern?

Die völkischen Siedler wählen bewusst den Rückzug aus der Stadt in den ländlichen Raum. Sie beziehen gezielt aussterbende Dörfer, wie auch im „Polizeiruf 110“ klar wird. So zurückgezogen wollen sie ihren Traum vom nationalen Dorf mit Gleichgesinnten verwirklichen und dort eine unabhängige, rückwärtsgewandte Lebensweise führen.

„In dünn besiedelten Gebieten können sie ungestörter ihrer menschenfeindlichen Weltanschauung folgen und ihre Kinder mit weniger Einflüssen von außen erziehen“, erklärt die Amadeu Antonio Stiftung in ihrer Broschüre.

Dabei gehe ihre Weltanschauung auf das rassistisch-antisemitische Denken der völkischen Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, das im Nationalsozialismus seinen Höhepunkt fand. Durch eine „rein deutsche Abstammung“ soll der „Erhalt des Volkes“ gesichert werden, eine arische, „deutsche Volksgemeinschaft“ sei anderen Menschengruppen überlegen.

• Wie leben die völkischen Siedler?

Die völkischen Siedler bauen mit Gleichgesinnten als „Sippen“ nationale Dorfgemeinschaften auf. Häufig arbeiten sie in traditionellen Berufen, etwa als (Bio-)Landwirte, im Kunsthandwerk oder als Hebammen. Sie engagieren sich im Naturschutz und machen sich für ökologische, nachhaltige Lebensweise stark.

In den Gemeinden treten sie als nette, hilfsbereite Nachbarn auf, engagieren sich ehrenamtlich in Vereinen, Kindergärten und Schulen – und machen sich so unentbehrlich. Hinter ihrem Verhalten steckt Kalkül: „Wenn ihre menschenfeindliche Weltanschauung bekannt wird, sind sie oft so fest in den Alltagsstrukturen verankert, dass nur schwer gegen sie vorgegangen werden kann“, schreibt die Amadeu Antonio Stiftung.

Ihre Weltanschauung vertreten sie aber unerbittlich. Manchmal würden schon Kinder bei Wehrsport und Überlebenstrainings gedrillt, um die Siedlungsgemeinschaft im Zweifel mit militärischen Mitteln verteidigen zu können. Symbole, wie im „Polizeiruf“ die Reichskriegsflagge, werden nicht überall offen zur Schau getragen.

„In Flammen“: Der neue „Polizeiruf 110“

Der Mord an der Bürgermeisterkandidatin der rechtspopulistischen PFS beschäftigt die Kommissare Katrin König (Anneke Kim Sarnau), Alexander Bukow (Charly Hübner, r.) und Anton Pöschel (Andreas Guenther) im Rostocker „Polizeiruf 110: In Flammen“.
Der Mord an der Bürgermeisterkandidatin der rechtspopulistischen PFS beschäftigt die Kommissare Katrin König (Anneke Kim Sarnau), Alexander Bukow (Charly Hübner, r.) und Anton Pöschel (Andreas Guenther) im Rostocker „Polizeiruf 110: In Flammen“. © NDR | Sandra Hoever
Die Politikerin Sylvia Schulte (Katrin Bühring) wurde gefesselt, entführt – und brutal bei lebendigem Leibe verbrannt.
Die Politikerin Sylvia Schulte (Katrin Bühring) wurde gefesselt, entführt – und brutal bei lebendigem Leibe verbrannt. © NDR | Sandra Hoever
Dabei war Schulte Bürgermeisterkandidatin mit größten Erfolgsaussichten. Bevor sie ermordet wurde, hatte sie auf einer Wahlkampfveranstaltung eine Rede gehalten. Ihr persönlicher Referent Karim Jandali (Atheer Adel), der als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland gekommen ist, begleitete sie auf alle öffentlichen Termine.
Dabei war Schulte Bürgermeisterkandidatin mit größten Erfolgsaussichten. Bevor sie ermordet wurde, hatte sie auf einer Wahlkampfveranstaltung eine Rede gehalten. Ihr persönlicher Referent Karim Jandali (Atheer Adel), der als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland gekommen ist, begleitete sie auf alle öffentlichen Termine. © NDR | Sandra Hoever
Die Nachricht vom Tod von Sylvia Schulte erschüttert die PFS-Mitarbeiterin Doris Wagner (Susi Banzhaf) sehr.
Die Nachricht vom Tod von Sylvia Schulte erschüttert die PFS-Mitarbeiterin Doris Wagner (Susi Banzhaf) sehr. © NDR | Christine Schroeder
Kommissar Pöschel (Andreas Guenther) führt erste Befragungen in den Räumen der PFS durch.
Kommissar Pöschel (Andreas Guenther) führt erste Befragungen in den Räumen der PFS durch. © NDR | Christine Schroeder
Jandali, Schultes persönlicher Referent, gilt schnell als Hauptverdächtiger.
Jandali, Schultes persönlicher Referent, gilt schnell als Hauptverdächtiger. © NDR | Christine Schroeder
Lena Schulte (Pauline Rénevier, l.), die Tochter der ermordeten Politikerin, leidet stark unter dem Verlust der Mutter.
Lena Schulte (Pauline Rénevier, l.), die Tochter der ermordeten Politikerin, leidet stark unter dem Verlust der Mutter. © NDR | Sandra Hoever
PFS-Landespolitiker Roland Herlau (Michael Wittenborn) erinnert an die tote Politikerin – und nutzt ihren Tod für den Wahlkampf.
PFS-Landespolitiker Roland Herlau (Michael Wittenborn) erinnert an die tote Politikerin – und nutzt ihren Tod für den Wahlkampf. © NDR | Sandra Hoever
Die Ermittlungen führen Kommissar Bukow auch zu Schultes Ex-Ehemann Erik Meissner (Patrick von Blume). Er lebt mit seiner zweiten Frau, seinen Kindern und anderen Rechten in einer völkischen Siedlung und betreibt einen Bio-Bauernhof.
Die Ermittlungen führen Kommissar Bukow auch zu Schultes Ex-Ehemann Erik Meissner (Patrick von Blume). Er lebt mit seiner zweiten Frau, seinen Kindern und anderen Rechten in einer völkischen Siedlung und betreibt einen Bio-Bauernhof. © NDR | Christine Schroeder
Vom Besuch der Polizei ist Meissner nicht begeistert. Nur widerwillig beantwortet er die Fragen der Ermittler.
Vom Besuch der Polizei ist Meissner nicht begeistert. Nur widerwillig beantwortet er die Fragen der Ermittler. © NDR | Christine Schroeder
Nachdem Bukow in den persönlichen Sachen der ermordeten Politikerin ein Bündel Postkarten ihres Ex-Mannes findet, sucht er dessen neue Ehefrau Lilli Meissner (Lisa Hagmeister) auf und befragt sie.
Nachdem Bukow in den persönlichen Sachen der ermordeten Politikerin ein Bündel Postkarten ihres Ex-Mannes findet, sucht er dessen neue Ehefrau Lilli Meissner (Lisa Hagmeister) auf und befragt sie. © NDR | Christine Schroeder
Die Ermittlungen laufen. Nachdem der Hauptverdächtige Karim Jandali wegen mangelnder Beweise laufen gelassen werden muss, wird er entführt und als Geisel gehalten.
Die Ermittlungen laufen. Nachdem der Hauptverdächtige Karim Jandali wegen mangelnder Beweise laufen gelassen werden muss, wird er entführt und als Geisel gehalten. © NDR | Christine Schroeder
Die Entführer schicken ein Bekennervideo an die Polizeidirektion.
Die Entführer schicken ein Bekennervideo an die Polizeidirektion. © NDR | Christine Schroeder
Das Team um Anton Pöschel, Mordkommissionsleiter Henning Röder (Uwe Preuss), Volker Thiesler (Josef Heynert), Katrin König und Alexander Bukow (v. l.) sichtet das Video.
Das Team um Anton Pöschel, Mordkommissionsleiter Henning Röder (Uwe Preuss), Volker Thiesler (Josef Heynert), Katrin König und Alexander Bukow (v. l.) sichtet das Video. © NDR | Christine Schroeder
Plötzlich fliegt eine Farbbombe durch das Fenster des Kommissariats. Thiesler versucht, sein Team zu schützen.
Plötzlich fliegt eine Farbbombe durch das Fenster des Kommissariats. Thiesler versucht, sein Team zu schützen. © NDR | Christine Schroeder
Nach der Geiselnahme und dem Bekennervideo geht es für Bukow und König um jede Sekunde. Sie fürchten um das Leben von Jandali. Bukow fährt erneut in die Siedlung der Völkischen – und greift zu drastischen Maßnahmen, um von Meissner das zu erfahren, was er wissen will.
Nach der Geiselnahme und dem Bekennervideo geht es für Bukow und König um jede Sekunde. Sie fürchten um das Leben von Jandali. Bukow fährt erneut in die Siedlung der Völkischen – und greift zu drastischen Maßnahmen, um von Meissner das zu erfahren, was er wissen will. © NDR | Christine Schroeder
Bukow und König eilen in das Haus, in dem sie Jandali vermuten.
Bukow und König eilen in das Haus, in dem sie Jandali vermuten. © NDR | Christine Schroeder
Schaffen es die beiden Kommissare, den persönlichen Referenten der ermordeten PSF-Politikerin zu retten und den Fall zu lösen?
Schaffen es die beiden Kommissare, den persönlichen Referenten der ermordeten PSF-Politikerin zu retten und den Fall zu lösen? © NDR | Christine Schroeder
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Auffallend ist aber im allgemeinen die sehr traditionelle Kleidung. So tragen Frauen häufig lange Röcke aus Leinen, die Männer Zimmermannshosen und Leinenhemden. Auch das Rollenverständnis zwischen Mann und Frau ist traditionell geprägt.

„Frauen sind für Haushalt und Kinder zuständig, sie sorgen für den Fortbestand des Volkes, indem sie ihren Männern den Rücken stärken, den Nachwuchs gebären und im Sinne völkischer Ideale erziehen. Die Männer dagegen treten mehr in der Öffentlichkeit auf, vertreten die völkische Bewegung kämpferisch und sorgen für das Auskommen der Familie“, schreibt die Amadeu Antonio Stiftung.

Ein Fest der Völkischen, das im „Polizeiruf“ vorbereitet wird, erinnert wegen des Feuers stark an das heidnisch-germanische Fest zur Midsonnenwende, das häufig auch von Rechtsextremisten begangen wird. Allerdings findet es, anders als im TV-Krimi, normalerweise zur Sommersonnenwende, also dem längsten Tag des Jahres statt, meist am 21. Juni.

• Welche Handlungsstrategien gegen die Völkischen schlagen Experten vor?

Wer in der Nachbarschaft, in der Kita, in der Schule oder im Verein auf Menschen trifft, die völkische Weltanschauungen verfolgen, sollte nicht wegsehen, rät die Amadeu Antonio Stiftung, sondern sich aktiv für eine demokratische Alltagskultur einsetzen.

Das können Einzelpersonen tun:

  • Sich mit Freunden, anderen Nachbarn und Vertrauten über das Problem austauschen.
  • Experten zu Rate ziehen: Hilfe findet man beispielsweise bei der Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung.
  • Kontakt zu anderen Stellen aufnehmen, die ebenfalls betroffen sein könnten, wie Kitas, Schulen, Vereine oder die Gemeindeverwaltung.
  • Bewusstes Kaufverhalten bei Bio- oder Handwerksware kann verhindern, dass völkische Siedler durch den Vertrieb ihrer Produkte finanzielle Vorteile ziehen.
  • Sich selber für eine demokratische Alltagskultur einsetzen und beispielsweise Feste, Kulturveranstaltungen oder Diskussionsabende mit klar weltoffener, menschenfreundlicher und demokratischer Ausrichtung organisieren.