Berlin. Der Nachfolger von Rüdiger Grube muss neben Wirtschaftssinn und politischem Gespür auch Leidensfähigkeit besitzen. Kandidaten sind rar.

Der Stuhl des zurückgetretenen Vorstandschefs Rüdiger Grube im Bahntower am Potsdamer Platz war fast noch warm – da brach schon die Diskussion über einen Nachfolgekandidaten los. Doch heiße Anwärter sind noch nicht in Sicht. Eine schnelle Besetzung des Postens erscheint wenig wahrscheinlich, weil niemand auf Grubes Abgang vorbereitet war. Und weil die Position „sehr spezielle“ Voraussetzungen verlangt, wie es ein Bundestagsabgeordneter umschreibt. Doch was genau muss der neue Spitzenbahner können?

Zunächst einmal muss er das Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich leiten. Die Deutsche Bahn ist ein Konzern mit 40 Milliarden Euro Jahresumsatz und 300.000 Beschäftigten, von denen knapp zwei Drittel in Deutschland ihren Dienst verrichten.

Der „zweitverrückteste Job der Republik“

Dazu gehört ein Schienennetz von 36.000 Kilometern Länge, die größte Spedition Europas, eine erfolgreiche britische Bahn, Züge, Busse und Grundstücke. Millionen Fahrgäste sind im Nahverkehr auf die Leistungen des Unternehmens angewiesen, das praktisch überall in Deutschland präsent ist.

Gesucht wird aber auch jemand, der die Energie, das Durchhalte- und Leidensvermögen für den „zweitverrücktesten Job der Republik“ mitbringt. So hat der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den Posten des Bahnchefs einmal beschrieben – und gemeint: Kanzler ist natürlich noch verrückter.

Bahnchef muss politisch präsent sein

Die anspruchsvolle Einordnung hat mit den Besonderheiten der Bahn zu tun. Es ist das größte noch in Staatsbesitz befindliche Unternehmen. Die Vorgaben für den neuen Chef kommen daher von Politikern, nicht von Aktionären. Die Bahn muss zugleich wirtschaftlich sein und die Mobilität der Gesellschaft in der Fläche sicherstellen.

Im Arbeitsvertrag wird die politische Präsenz üblicherweise auch festgeschrieben, zum Beispiel, wie oft der Bahnchef im Bundestag erscheinen muss. Zudem steht der Vorstandsvorsitzende im Fokus der Öffentlichkeit und muss oft auch persönliche Kritik aushalten. „Da muss man einen Hintern in der Hose haben“, stellte ein Vorgänger Grubes einmal fest.

Regierung lässt konkrete Vorgaben vermissen

Die Erwartungen an den neuen Bahnchef sind auf allen Seiten hoch. Die Fahrgäste erwarten einen verlässlichen Service, pünktliche Züge und Fahrten zu akzeptablen Preisen. Der Bund will mehrere Hundert Millionen Euro jährlich als Dividende kassieren. Die Oppositionsparteien wollen eine Verlagerung von Verkehr auf die Schiene. Die Bundesregierung will vor allem Ruhe rund um den Konzern.

Dabei trägt sie als Vertreter des Eigentümers Staat selbst zum gelegentlichen Chaos bei, weil es nach wie vor keine konkreten Vorgaben dafür gibt, was die Bahn eigentlich leisten soll. Stehen Gewinne im Vordergrund oder eine möglichst gute Verkehrsleistung? Soll die Bahn international vorne mitmischen oder sich auf Eisenbahnfahrten in Deutschland konzentrieren? Soll sie doch irgendwann privatisiert werden oder Staatskonzern bleiben?

Wenig Rückhalt für Aufsichtsratschef Felcht

Potenziellen Kandidaten für den Chefsessel hat das Unternehmen vor allem Aufregung zu bieten. Das Salär des Vorstandsvorsitzenden ist im Vergleich zu anderen Großkonzernen eher überschaubar. Zu einem Grundgehalt von 900.000 Euro kommen noch erfolgsabhängige Bonuszahlungen. Im Verlustjahr 2015 kassierte Grube insgesamt 1,4 Millionen Euro. Daimler-Chef Dieter Zetsche konnte im gleichen Jahr das Zehnfache einstreichen.

Der frühere Kanzleramtsminister und CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla wurde als Kandidat für die Grube-Nachfolge genannt, hat aber wohl nicht gerade die besten Chancen.
Der frühere Kanzleramtsminister und CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla wurde als Kandidat für die Grube-Nachfolge genannt, hat aber wohl nicht gerade die besten Chancen. © dpa | Soeren Stache

Bewerben können sich Interessenten um den Job nicht. Man wird gefragt. Für eine Aufgabe dieser Größenordnung und Komplexität kommen in Deutschland nach Einschätzung des Personalberaters Wolfram Tröger vom Fachverband Personalberatung nur ein paar Manager infrage. „Die Auswahl ist nicht trivial“, sagt der Experte. Zunächst müsse der Eigentümer aber eine strategische Diskussion über die Ausrichtung des Konzerns führen. Blindbewerbungen sind zwecklos. Das letzte Wort über die Besetzung des Postens liegt bei der Bundeskanzlerin.

Ronald Pofalla als Kandidat genannt

Ob es vor der Bundestagswahl überhaupt zu einer Neubesetzung kommt, wird in Fachkreisen schon angezweifelt. Derzeit führt Finanzvorstand Richard Lutz die Geschäfte. Hausintern wurde bislang nur der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla als Nachfolger genannt. Doch Pofallas Chancen sind durch den vorzeitigen Rückzug Grubes geschwunden, auch weil er nach Einschätzung aus Unternehmenskreisen bislang noch nicht genügend Erfahrungen im Management gesammelt hat. Die anderen Vorstände signalisieren unterdessen, dass sie nicht weiter aufsteigen wollen.

Eine Neubesetzung von außen stößt auf ein anderes Problem. Wer geht schon gerne zu einem Konzern, der nicht weiß, wohin er will und dessen Aufsichtsrat gerade auf schmähliche Weise einen Topmanager vertrieben hat? So befürchten Bahnkenner schon eine lange Vakanz auf der Chefposition. Für wahrscheinlich halten es Beobachter, dass auch ein zweiter Job neu besetzt werden muss: Aufsichtsratschef Utz Felcht wird nach dem Desaster rund um die Vertragsverlängerung von Rüdiger Grube keine Zukunft mehr im Kontrollgremium gegeben.