Washington. In den USA haben sich Jugendliche über einen Ertrinkenden lustig gemacht anstatt ihm zu helfen. Sie könnten ohne Strafe davonkommen.

  • Fünf Teenager haben in den USA einen 31-Jährigen ausgelacht, als dieser in einem Teich ertrank
  • Ein Video des Vorfalls entdeckten Angehörige des Mannes im Netz und informierten die Behörden
  • Weil „unterlassene Hilfeleistung“ in Florida nicht strafbar ist, sind Konsequenzen fraglich

Gaffer, die nach schweren Verkehrsunfällen Einsatzkräfte behindern und sich an der Tragik anderer ergötzen. Passanten, die tatenlos zuschauen oder einfach wegsehen, wenn vor ihren Augen ein Mensch in Not gerät oder gar um sein Leben kämpft. Beispiele für kollektiven Empathieverlust gibt es – auch in Amerika – nahezu jeden Tag. Aber kein Fall hat zuletzt so viel Empörung ausgelöst wie der Tod von Jamal Dunn.

Der 31-jährige Afro-Amerikaner ertrank am 9. Juli in einem großen Teich in Cocoa im Bundesstaat Florida. Fünf Teenager zwischen 14 und 18 saßen am Ufer, sahen zu, kifften, lachten, beschimpften und filmten den mehrfach um Hilfe schreienden Gehbehinderten. Bis er unterging.

Angehörige fordern empfindliche Strafe

Danach stellen sie das zweieinhalb Minuten lange Handy-Video ins Internet. Angehörige des erst fünf Tage später im Wasser gefundenen Vaters zweier Töchter (11 und 6) entdeckten das nur schwer zu ertragende Dokument der Verrohung.

Sie fordern eine empfindliche Strafe. „Wenn die als Jugendliche ansehen können, wie jemand vor ihren Augen stirbt, stellt euch vor, was sie tun werden, wenn sie älter werden“, sagte Simone McIntosh, die Schwester des Opfers, Lokalzeitungen der 18.000 Einwohner-Stadt in der Nähe von Orlando.

„Unterlassene Hilfeleistung“ gibt es in Florida nicht als Straftatbestand

Die Teenager zur Rechenschaft zu ziehen, die laut Polizei bei ihren ersten Vernehmungen wenig bis keine Reue zeigten, wird aber nicht einfach. Sie haben de facto keine Straftat begangen.

Florida gehört zu den vielen US-Bundesstaaten, die nicht kennen, was etwa in Deutschland Paragraf 323c des Strafgesetzbuches „mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft“: unterlassene Hilfeleistung in „Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not, obwohl dies erforderlich und den Umständen nach zuzumuten ist“.

„Akt unsäglicher Unmenschlichkeit“

Im Fall Jamal Dunn wäre es ein Leichtes gewesen, ihn vor dem Tod zu bewahren, sagen Ermittler. Ein Anruf unter 911, der Polizei-Notrufnummer. Ein gemeinsamer Rettungsversuch. Stattdessen: „Niemand wird Dir zur Hilfe kommen, du blödes Miststück.“ - „Du hättest da eben nicht reingehen sollen.“ - „Jetzt ist er gestorben.“

Es sind diese sprachlos machenden Sätze, durchsetzt mit vielen Lachern, die man beim Ansehen des Videos hört und die Henry Parrish III zur Verzweiflung bringen. „Es gibt keine Worte für die Gewissenlosigkeit dieser jungen Menschen“, sagte Cocoas Bürgermeister. Er sprach von einem „isolierten Akt unsäglicher Unmenschlichkeit“ und stellte sich hinter Bezirksstaatswanwalt.

Phänomen des Zuschauereffekts gibt es schon lange

Staatsanwalt Phil Archer will die Jugendlichen über einen Umweg doch noch zur Verantwortung ziehen. „Es gibt ein wenig bekanntes Gesetz in Florida, das vorschreibt, der Polizei einen Todesfall zu melden. Das haben diese Teenager nicht getan“, sagt Polizeisprecher Yvonne Martinez. Sie sind geflohen, nachdem Jamal Dunn untergegangen war.

Nach den Ursachen für das nicht vorhandene Mitgefühl der Teenager befragt, sagte die Psychologin Vicki Panaccione, dass Kinder und Jugendliche heutzutage auch durch das Internet mit Gewalt und Aggression und Leid „bombardiert“ würden. „Das desensibilisiert.“ Ihr Kollege Laurence Miller sieht in dem Fall eine besondere Form von „Sadismus“ und „Kaltblütigkeit“. Eltern müssten dies zum Anlass nehmen, ihre Kinder gegen Grausamkeit zu immunisieren.

Dabei ist das Phänomen des Zuschauereffekts nicht neu. John Darley und Bibb Latané , zwei New Yorker Psychologen, beschrieben schon vor 50 Jahren das „Genovese-Syndrom“. Dabei ging es um den Fall der Kitty Genovese, einer jungen Frau, die 1964 in New York ermordet worden war. 38 Nachbarn und Passanten, schrieb die „New York Times“ zu Zeiten des legendären Chefredakteurs A. M. Rosenthal, sollen beobachtet haben, wie der Täter Winston Moseley auf Genovese einstach, zwischendurch von ihr abließ und die Halbtote dann erneut attackierte. 40 Minuten dauerte das Martyrium. Niemand half.

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