Washington. Eine 15-Jährige ist in Chicago offenbar Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden. Die Täter zeigten das Verbrechen live auf Facebook.

Wieder rohe Gewalt ungefiltert in Echtzeit im Internet. Wieder in Chicago. Was der Tochter von Stacey Elkins widerfahren ist, erregt weit über die Grenzen von Amerikas Mordhauptstadt (mehr als 800 Opfer in 2016) hinaus die Gemüter.

Die 15-Jährige aus dem sozialen Brennpunkt Lawndale wurde laut Polizei am Wochenanfang von bis zu sechs jungen Männern vergewaltigt – samt Live-Übertragung im Internet. Die Täter, ein Verdächtiger sitzt in Haft, filmten sich bei der mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung und sendeten die Bilder über Facebook via Livestream in alle Welt.

40 Menschen sahen zu – niemand rief die Polizei

Laut Polizeisprecher Anthony Guglielmi schalteten sich zur Tatzeit 40 Nutzer des sozialen Netzwerks live in die Tortur ein; niemand informierte die Behörden. Das Opfer wurde erst am Dienstagmorgen in der Nähe des Wohnortes mitten in Chicago gefunden. Es ist nach ärztlicher Behandlung im Krankenhaus bei seiner Mutter.

Maas will gegen Hass-Kommentare im Internet vorgehen

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    Wie die Lokalzeitungen „Tribune“ und „Sun-Times“ berichten, brachte der Onkel des Mädchens, Reginald King, den Fall ins Rollen. Er war mit seiner Nichte, die zur „Lane Tech College Prep High School“ geht, am Wochenende verabredet. Die beiden besuchten ein Basketballspiel. Man aß Pizza, ging am Sonntag zur Kirche. King setzt sie später wie gewünscht in der Stadt ab. Danach verlor sich die Spur des Teenagers. Die Mutter meldete sie am Sonntagabend als vermisst.

    Mutter des Opfers konfrontiert Polizeichef

    King will darauf die Nachbarschaft abgesucht haben. Ein Jugendlicher macht ihn auf das Facebook-Video aufmerksam. Der bekannte Stadtteil-Aktivist Andrew Holmes, der selbst ein Kind durch die grassierende Gang-Kriminalität in Chicago verloren hat und seither immer zur Stelle ist, wenn Unheil losbricht, informiert die Polizei. Am Montag konfrontiert die Mutter des Opfers Chicagos Polizeichef Eddie Johnson mit Fotos des sexuellen Missbrauchs.

    Umgehend wird eine Ermittlergruppe eingesetzt und Facebook angehalten, das Gewalt-Video zu sperren. Johnson, selbst Vater zweier Töchter, reagiert nach Schilderungen von Lokalreportern „sichtlich erschüttert“ – über die Tat. Und über die Tatsache, dass die offenbar zu einer bekannten Gang gehörenden Peiniger ihre Missetaten an eine globale Zeugenschaft versenden wollten. Das geschieht, gerade in Chicago, nicht zum ersten Mal.

    Mehrfach Live-Streams von Verbrechen in Chicago

    Anfang Januar erst entführten zwei afro-amerikanische 18-Jährige und ihre Schwestern einen geistig behinderten jungen Mann. Über fünf Stunden malträtierten sie ihn mit Tritten und Faustschlägen, schnitten ihm ganze Haarbüschel ab und zwangen ihr 19 Jahre altes Opfer, aus der Toilette zu trinken und den Boden zu küssen.

    Bei ihrer rassistischen motivierten Tat riefen sie mehrfach vulgäre Parolen gegen US-Präsident Donald Trump, filmten sich mit dem Smartphone und stellten das Folter-Video auf Facebook ein. Sie wurden später in Haft genommen und plädierten bei der Anklageverlesung – Hassverbrechen, schwere Entführung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung mit einer tödlichen Waffe – auf „nicht schuldig“.

    Im Februar starb der zweijährige Lavontay White durch einen Kopfschuss, seine Mutter wurde tödlich in den Bauch getroffen. Eine Freundin, die mit im Auto saß, hatte während der Tat ihre Handykamera eingeschaltet und live gestreamt; sie überlebte.

    Kann das Live-Streamen von Verbrechen verhindert werden?

    Während im aktuellen Fall die polizeilichen Ermittlungen noch am Anfang stehen und viele Details noch unbekannt sind, gerät abermals die Frage nach der Verantwortung von Facebook für die Live-Verbreitung von Straftaten ins Blickfeld. Eine Sprecherin des von weltweit über 1,7 Milliarden Menschen genutzten Netzwerks erklärte, dass „solche grässlichen Verbrechen auf Facebook nicht erlaubt sind“. Der Konzern nehme seine Verantwortung „sehr ernst“, die Kunden zu schützen.

    Internet-Experten halten dagegen, dass die zeitnahe Überprüfung von Tausenden parallel gesendeten Streams auf möglicherweise strafbaren Inhalt technisch kaum machbar sei. Eine Zensur-Schranke oder Vorkontrolle einzurichten, hieß es zuletzt bei einer Diskussion in der Washingtoner Denkfabrik Cato, sei zwiespältig. Dabei wurde an den Fall Philando Castile erinnert.

    Der Schwarze war im vergangenen Juni in Minneapolis bei einer Routinekontrolle von einem Polizisten erschossen worden. Seine Lebensgefährtin, die am Steuer saß, filmte das Sterben live. Ohne das Dokument der Zeitgeschichte von Lavish Reynolds, sagt die Bürgerrechtsbewegung „Black Lives Matter“, wäre der eklatante Missbrauch von Polizeigewalt vermutlich nie aufgeklärt worden.