Berlin. Nach der Inhaftierung von Menschenrechtlern verschärft die Bundesregierung den Ton. Die Türkei-Politik soll neu ausgerichtet werden.

War da was? Im Presseraum des Auswärtigen Amtes stehen die Journalisten am Donnerstagvormittag dicht an dicht. Sie warten auf eine Erklärung des Bundesaußenministers zur Eskalation der Lage in der Türkei; Sigmar Ga­briel (SPD) hat dafür extra seinen Urlaub an der Nordsee unterbrochen.

Plötzlich huscht SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz an den Medienvertretern vorbei. Kaum ist er da, ist er auch schon wieder weg – auf dem Weg zu Gabriel. Als dieser dann endlich mit Verspätung zur Pressekonferenz erscheint, ist Schulz kurz dabei. Er umarmt Gabriel einen Moment lang und verlässt dann den Raum.

Gabriel verkündet „Neuausrichtung unserer Türkei-Politik“

Die Botschaft des Sekundenauftritts: Der Chef und Kanzlerkandidat der SPD zieht hier die Fäden. Es ist Wahlkampf. Eine gemeinsame Pressekonferenz von Gabriel und Schulz hätte sich als politische Instrumentalisierung des Außenministeriums verboten.

Gabriel verkündet eine „Neuausrichtung unserer Türkei-Politik“. Kurz: Er will eine härtere Gangart gegenüber Ankara einschlagen. Die Hinweise des Außenministeriums für Reisen in die Türkei werden verschärft. Die Hermes-Bürgschaften, womit der Staat Geschäfte von Firmen absichert, werden überprüft. Auf EU-Ebene soll eine Einschränkung von Finanzhilfen für die Türkei diskutiert werden. Er habe sich mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem SPD-Kanzlerkandidaten Schulz abgesprochen, betont Gabriel.

• Was bedeuten die verschärften Reise-Hinweise?

Gabriel scheut vor dem ganz großen Paukenschlag einer förmlichen Reisewarnung zurück. Diese wird gewöhnlich bei einer konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesprochen. Nach der Inhaftierung von sechs Menschenrechtlern – darunter der Berliner Peter Steudtner – durch die Türkei war spekuliert worden, ob die Bundesregierung zu diesem Mittel greifen werde.

Doch neu ist nun der Sicherheitshinweis: „Personen, die aus privaten oder geschäftlichen Gründen in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten.“ Der Hinweis, der bislang nur für einzelne Personengruppen gegolten hatte, betrifft nun alle Bundesbürger. Darüber hinaus wird Türkei-Reisenden empfohlen, sich bei der Botschaft oder bei Konsulaten registrieren zu lassen. Gabriel: „Der Fall Peter Steudtner zeigt, dass deutsche Staatsbürger in der Türkei vor willkürlichen Verhaftungen nicht mehr sicher sind.“

Deutschland verschärft Reisehinweise für Türkei

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    Die deutschen Reiseveranstalter halten jedoch trotz der politischen Krise an ihrem Türkei-Geschäft fest. „Die Reisen für die Urlauber finden wie gebucht statt“, teilt der Deutsche Reiseverband (DRV) mit. „Es gelten die regulären Allgemeinen Geschäftsbedingungen und damit die Storno- und Umbuchungsgebühren.“

    Wer sich unsicher fühle, solle sich an den betreffenden Reiseveranstalter oder das Reisebüro wenden, rät Ellen Madeker vom DRV. „In der Regel fallen jedoch Storno- beziehungsweise Umbuchungsgebühren an“, sagt Madeker dieser Redaktion. Der Verband verweist darauf, dass das Auswärtige Amt „keine Neubewertung der Sicherheitslage“ vorgenommen habe.

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      Allerdings schwächelt der Türkei-Tourismus nach einer Serie von Terroranschlägen und dem gescheiterten Militärputsch im Juli 2016. Bis Ende Juni 2017 gingen die Umsätze bei Türkei-Urlauben im Vergleich zur guten Sommersaison 2015 um zwei Drittel zurück, meldet das Marktforschungsunternehmen GfK.

      • Was bedeutet eine Überprüfung der Hermes-Bürgschaften?

      Die deutsche Wirtschaft muss sich auf deutlich höhere Risiken für Geschäfte mit der Türkei einstellen. Die Bundesregierung überprüft laut Gabriel die Vergabe von Investitionskrediten europäischer Entwicklungsbanken wie der EIB. Auch die Absicherung von Exporten über sogenannte Hermes-Bürgschaften solle überdacht werden. Hermes-Bürgschaften sind staatliche Exportkreditversicherungen für deutsche Firmen in politisch riskanten Ländern. Zahlt ein ausländischer Abnehmer nicht, springt der deutsche Staat ein.

      Allerdings habe sich das Handelsvolumen deutscher Betriebe mit der Türkei unter dem Hermes-Schutzschirm 2016 bereits auf 1,2 Milliarden Euro halbiert, erklärt die Gesellschaft der Bundesrepublik für Außenwirtschaft und Standortmarketing (GTAI). Grund sei das mangelnde Vertrauen in das Rechtswesen und die politische Stabilität in der Türkei.

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      Das trifft auch auf die generelle Wirtschaftsaktivität zu. So brachen die deutschen Exporte an den Bosporus in den ersten fünf Monaten 2017 gegen den Trend um 9,5 Prozent auf 8,6 Milliarden Euro ein. „Die ohnehin vorhandene Unsicherheit bei deutschen Unternehmen steigt damit noch einmal rapide. Viele Firmen haben ihre Investitionen bereits auf Eis gelegt“, so der Außenhandelsverband BGH.

      Nach Angaben der „Zeit“ werfen türkische Behörden deutschen Unternehmen vor, terroristische Organisationen zu unterstützen. Eine Liste mit insgesamt 68 Firmen – darunter Daimler und BASF – und Einzelpersonen wurde demnach dem Bundeskriminalamt übergeben. Die genannten Betriebe sollen Verbindungen zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen haben. Dieser wird von Ankara beschuldigt, Drahtzieher des gescheiterten Putsches zu sein.

      • Kappt die Europäische Union Finanzhilfen für die Türkei?

      Nach Angaben von Außenminister Ga­briel wird es in den kommenden Tagen und Wochen Gespräche in der EU über die Einschränkung europäischer Finanzhilfen für die Türkei geben. Das ist jedoch nicht so einfach.

      Bislang sind die Beitrittsgespräche zwischen Brüssel und Ankara noch nicht offiziell eingestellt worden, weil sich die EU-Staaten darauf nicht einigen konnten. Deshalb hat die Türkei Anspruch auf sogenannte Vorbeitrittshilfen. Im EU-Finanzplan für den Zeitraum von 2014 bis 2020 wurden dafür 4,45 Milliarden Euro reserviert. Bislang sind allerdings nur rund 167 Millionen Euro an die Türkei geflossen, weil es nicht genügend geeignete Projekte gab.

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        Ferner spricht sich Gabriel gegen eine Ausweitung der seit 1996 bestehenden Zollunion zwischen der EU und der Türkei aus. Der freie Austausch von Industriegütern soll demnach nicht auf Dienstleistungen und landwirtschaftliche Produkte ausgedehnt werden.

        • Wie reagiert Ankara auf den schärferen Ton?

        Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hüllt sich in Schweigen und schickt seinen Sprecher vor. Die deutschen Reaktionen seien „unangemessen und unannehmbar“, sagt Ibrahim Kalin. Von einer erhöhten Gefährdung in der Türkei könne keine Rede sein. Es sei „politisch verantwortungslos“, terrorverdächtige Deutsche und rechtskonforme Reisende „in einen Topf zu werfen“.

        Die Türkei strebe gute Beziehungen zu Deutschland an, das ein wichtiger Handelspartner sei. Deshalb sei es „nicht hinnehmbar“, dass Gabriel „aus politischem Kalkül“ deutsche Investitionen in der Türkei infrage stelle.

        Auf die Kritik der Bundesregierung an der Inhaftierung des Deutschen Peter Steudtner und weiterer Menschenrechtsaktivisten antwortet Kalin mit dem Vorwurf, Deutschland versuche, Einfluss auf die türkische Justiz zu nehmen. Die Bundesregierung wolle türkischen Richtern „Befehle erteilen“. Das sei „respektlos“.