Berlin. In der Europapolitik zeigt der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz mit seinem „Zukunftsplan“ klare Kante – ob das hilft, ist ungewiss.

Ob das der SPD zum ersehnten Stimmungsumschwung vor der Bundestagswahl verhilft? Eher nicht: Kanzlerkandidat Martin Schulz hat bei der Vorstellung seines „Zukunftsplans“ offen dafür plädiert, dass Deutschland mehr Geld an die EU überweist. Die Bundesrepublik, größter Nettozahler und als führende Exportnation ebenso größter Profiteur der EU, müsse auch finanziell mehr für Europa tun. Parallel sollen Mitgliedstaaten, die Solidarität etwa bei der Flüchtlingsaufnahme verweigern, weniger Geld bekommen.

Ein mutiger Vorstoß. Richtig ist er auch. Wie die Strafe für unsolidarische Staaten durchgesetzt werden könnte, ist zwar offen. Schulz spricht mit Blick auf die Staatskasse aber nur aus, was fast alle Experten wissen: Auf Deutschland kommen schon wegen des Brexits höhere Lasten zu. Nach dem Austritt des Nettozahlers Großbritannien wird im EU-Etat ein Zehn-Milliarden-Loch klaffen, das angesichts der größer werdenden Aufgaben nicht allein durch Sparen geschlossen werden kann – die Mitgliedstaaten werden die Lücke wenigstens zum Teil füllen müssen.

Weitreichende Reformen

Verhandlungstaktisch scheint es zwar unklug, dass Berlin die Schatulle schon vor Beginn der Etatgespräche öffnet. Aber es ist wichtiger, dass den Bürgern vor der Wahl reiner Wein über die zunehmend bedeutsamere Europapolitik eingeschenkt wird. Ja, Schulz ist da in seinen Ansagen klarer als die Kanzlerin. Als langjähriger EU-Abgeordneter ist er in seinem Plädoyer für mehr Europa auch authentisch. Aber die Hoffnung, er könne die Kanzlerin wenigstens hier in die Konfrontation zwingen, trügt dennoch.

Angela Merkel hat im engen Schulterschluss mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ja längst die Planungen für weitreichende Reformen der EU begonnen, von einem europäischen Finanzminister bis zu einem eigenen Haushalt der Eurozone; nur lässt sich Merkel Hintertüren offen und spricht lieber nicht über die Kosten. Schulz hat schon recht, dass er diese zentralen Zukunftsfragen zum Wahlkampfthema macht.

Schulz ist ratlos

Dass es ihm nützt, wenn er als Erster neue Milliardenzahlungen befürwortet, sollte er aber nicht erwarten. Davon abgesehen, sind die europapolitischen Passagen noch der stärkste Teil seines neuen „Zukunftsplans“. Insgesamt hinterlässt das Konzept mehr Fragen als Antworten. Erst vor drei Wochen hat ein SPD-Parteitag ein Regierungsprogramm beschlossen.

Die schönen Pläne für sichere Renten und Steuerentlastungen haben die Umfragewerte nicht verbessern können. Die Ratlosigkeit des Kanzlerkandidaten ist verständlich. Aber was bringt es, gleich den nächsten Plan vorzulegen, der überwiegend nur das Wahlprogramm zusammenfasst – ergänzt um ein paar Knalleffekte? Warum feiert Schulz etwa einen Vorstoß für staatliche Dienstleistungen im Internet, die Bund und Länder im Kern schon vereinbart haben?

Aktionismus schadet

An anderer Stelle überdreht er um der Wirkung willen richtige Forderungen seiner Partei: So notwendig mehr Investitionen der öffentlichen Hand sind, so überflüssig ist die Verankerung einer staatlichen „Investitionspflicht“, die nur den Gestaltungsspielraum der Politik beschneiden würde.

Bei manchen seiner Vorschläge hätte der Kanzlerkandidat besser auch etwas zu den Kosten gesagt. Solide finanziert scheinen seine Pläne nicht mehr zu sein. Und warum spricht er plötzlich so selten von Gerechtigkeit, dem Schlagwort der bisherigen Kampagne? Dieser Programm-Aktionismus schadet mehr, als er nutzt: Er verwischt das Profil des Kanzlerkandidaten. Und er legt offen, was ein Herausforderer besser nicht zeigt: Nervosität vor der Wahl.