Berlin. Extremistendatei, anhaltende Grenzkontrollen, mehr Polizei: Die Politik ist schnell mit neuen Forderungen. Doch neu sind sie nicht.

Die Debatte über Konsequenzen aus der Gewalt beim G20-Gipfel in Hamburg ist platt. Auf die vielen Forderungen kann man sich nur noch mit Wilhelm Busch einen Reim machen, mit der Witwe Bolte und ihrer Vorliebe für Sauerkraut: „Wofür sie besonders schwärmt, wenn es wieder aufgewärmt.“

Jetzt werden Forderungen aufgewärmt: Mehr Polizisten (Joachim Herrmann, CSU), europäische Extremistendatei (Eva Högl, SPD), anhaltende Grenzkontrollen (Stephan Mayer, CSU). Nichts davon hätte die Exzesse verhindert. Nichts davon dürfte für den nächsten G20-Gipfel in Deutschland relevant werden. Rein rechnerisch sind wir in 20 Jahren wieder dran. Wer weiß, worauf es dann ankommen wird?

Schnelle Antworten der Politik? Eine Unart

Nehmen wir die Extremistendatei. Es gibt sie längst auf nationaler Ebene, ebenso einen engen Datenaustausch in Europa. Man kann so eine Datei gemeinsam führen. Aber das ist nicht DIE Lösung. Auch erweckt die Debatte den Eindruck, die meisten Straftäter von Hamburg seien aus dem Ausland gekommen. Dafür gibt es keinen Beleg. Im Gegenteil. Gesichert ist, dass die Bundespolizei viele dubiose Gestalten an der Grenze aus dem Verkehr zog.

Schnelle Antworten sind in der Politik eine Unart. Eine Ausnahme sind die Bemühungen, die Opfer der Gewalt rasch zu entschädigen. Wobei ein Faktor noch wichtiger ist als die Zeit: ein unbürokratisches Verfahren.

Rechtsstaat muss auf Verhältnismäßigkeit achten

Die Bundesregierung verhält sich clever: Sie besetzt das einzige positive Thema (der Erfolg geht mit Kanzlerin Angela Merkel nach Hause) und lässt den Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz nicht aus einer Schraubstock-Umarmung los. Merkel ist gnadenlos solidarisch mit ihm. Scholz war der Unglücksrabe, der große Verharmloser, und seine Stadt ist für die Sicherheit zuständig. Schuld und Kompetenzen werden eben nicht vermischt, geschweige denn geteilt.

Kriminelle kennen kein Maß. Ein Rechtsstaat muss die Verhältnismäßigkeit beachten. Deswegen ist es leichter gesagt als getan, Zentren wie die „Rote Flora“ zu schließen. Wo haben Einzelne gegen Gesetze verstoßen und wo trägt die „Rote Flora“ Schuld? Klar ist, wer zur Demonstration unter dem Motto „Welcome to Hell“ einlädt, der beschwört bereits eine Gewaltwelle.

Es gibt den Rausch der Gewalt

Der Linksextremismus, von dem alle reden, ist nur eine grobe Orientierungshilfe. Es gibt Globalisierungskritiker, die friedlich sind und solche, die Gewalt tolerieren, zudem Autonome – quasi Reichsbürger von links – und Schläger, die nur einen Anlass für Gewalt suchen. Und: Gelegenheit schafft nicht nur Diebe, sondern auch Randalierer. Es gibt den Rausch der Gewalt.

Vor jedem Gipfel wurde zu Randale aufgerufen, auf jedem Gipfel – auch im beschaulichen Elmau oder in Heiligendamm – gab es Radau. 100-prozentig verhindern lassen sich die Vorfälle nicht, ebenso wenig exakt voraussagen, wie sich die Massen verhalten werden. Wichtig sind jetzt die Aufarbeitung und Folgen. Das heißt: Gerichtsurteile tatsächlich mit abschreckender Wirkung.

Für das Sicherheitsgefühl im Land waren die vergangenen Jahre verheerend, angefangen mit dem Kontrollverlust an den Grenzen im Sommer 2015, über die Silvesternacht in Köln bis hin zum Behördenversagen im Fall Amri. Jeder Fall muss differenziert betrachtet werden, aber in der Summe ist die Wirkung verstörend.

Ein Desaster ist auch, dass die Gewalt ablenkt. Niemand fragt, was für Afrika, zu Vertreibung, Migration, zur Jugendarbeitslosigkeit, zu Ressourceneffizienz, Meeresvermüllung beschlossen wurde – lauter Gipfelthemen. Wir reden nur über die Gewalt. Ohne zu ahnen, bedienen die Globalisierungskritiker bloß die Empörungsrepublik mit den üblichen Reflexen und viel Aktionismus.

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