Brüssel. Der Besuch von Donald Trump bei EU und Nato offenbart die Differenzen. Kanzlerin Merkel droht Türkei mit Abzug der Bundeswehrsoldaten.

Im neuen Europa-Gebäude, wo sich Angela Merkel mit den Kollegen zum Gipfel trifft, hängen die Sternenbanner der USA und der EU einträchtig nebeneinander. So soll es sein. Aber ob es wirklich so ist? Wie wird Donald Trump wohl auftreten bei seinem ersten Besuch in Brüssel, wo er noch vor Kurzem „ein Höllenloch“ vermutete?

Bei der EU wie bei der Nato setzen sie weniger auf den US-Präsidenten als auf sein Umfeld. Auf Mitstreiter wie Vizepräsident Mike Pence oder Verteidigungsminister James Mattis, denen man die Professionalität zutraut, die dem Chef abgeht. Aber es ist mühsam. „New Yorker Baugewerbe – das ist ein ganz besonderer Fall“, meint einer aus der EU-Chefetage mit Blick auf den Immobilienunternehmer im Weißen Haus.

Differenzen bei den Themen Russland, Klima und Handel

Am Europa-Gebäude wird Trump mit gedrosseltem Charme von seinem Namensvetter begrüßt, EU-Ratspräsident Donald Tusk. Nach seiner Amtseinführung hatte Trump erzählt, „ein angenehmer Herr aus Brüssel“ habe ihm am Telefon gratuliert. Kommissionschef Juncker? „Genau!“ Tatsächlich war es Tusk. An diesem Tag versuchen sie gemeinsam, dem Gast die EU näherzubringen. Mit begrenztem Erfolg. „Wir waren uns in vielem einig“, berichtet Tusk schmallippig nach der gut einstündigen Unterredung. In Sachen Russland, Klima, Handel gebe es Differenzen. Tusks Lob für „die westlichen Grundwerte“ ist als Ermahnung zu verstehen.

„Die Hauptaufgabe ist heute, dass die ganze freie Welt diese Werte hochhält und nicht nur Interessen.“ Dann kommt ein zweiter Adressat solch unverblümter Hinweise, der türkische Präsident Erdogan. Auch er eine Frontfigur der „antiliberalen Konterrevolution“, wie Timothy Garton Ash, neuer Träger des Aachener Karlspreises, das nennt. Erdogan ist politisch ungleich erfahrener als Trump, aber beim Werte-Appell ähnlich schwerhörig. Das EU-Spitzenduo soll dem sultanesken Mann aus Ankara eine Klarstellung abringen, ob er sein Land Richtung EU führen will. In Brüssel denken sie, Erdogan werde sich lieber von der EU verstoßen lassen, als sich selber loszusagen.

Merkel gibt sich ungewöhnlich scharf

Auch der Nato ist die Quertreiberei des Verbündeten Türkei unangenehm. Sie versucht, das Thema wegzudrücken. Ärger wie der zwischen Berlin und Ankara um die Luftwaffen-Basis Incirlik sei „eine bilaterale Angelegenheit“. Merkel gibt sich in dieser Angelegenheit entschlossen: Wenn Bundestagsabgeordnete deutsche Soldaten nicht besuchen dürften, werde man sie abziehen. Es sei „unabdingbar“, dass eine Parlamentsarmee von Abgeordneten besucht werde. „Ansonsten müssen wir Incirlik verlassen“, sagt Merkel ungewöhnlich scharf.

Drei weitere Gipfel-Neulinge bleiben Nebenfiguren: Frankreichs Präsident Macron, die britische Premierministerin May und Italiens Regierungschef Gentiloni. Die Hauptfigur Trump hat zwar einst die Nato geschmäht („überflüssig“), das aber nachgebessert („nicht mehr überflüssig“). Und setzt ein Ausrufezeichen: 4,8 Milliarden Dollar will er in die Präsenz von US-Truppen an der Nato-Ostflanke stecken – eine Steigerung um 40 Prozent. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist begeistert. Für den berufsoptimistischen Norweger sind Zweifel zerstreut, ob Trump hinter der Beistandsverpflichtung, dem Kern des Bündnisses, stehe.

Kampf gegen Terror

Auch die besorgten Verbündeten sind nach Kräften bemüht, die Zusammenkunft zum harmonischen Event zu machen. Das kontroverse Thema „Nato gegen den IS“ ist abgeräumt: Die Staats- und Regierungschefs müssen nur noch besiegeln, dass sich – wie von den USA verlangt – die Allianz künftig als Ganzes am Kampf gegen die Terrormiliz IS beteiligt. Von der Türkei aus wird der Luftraum über Syrien und dem Irak engmaschiger überwacht, in der Nato-Zentrale die Auswertung der Daten intensiviert. Kampfeinsätze werde es nicht geben, versichert Stoltenberg. Berlin und Paris sind damit zufrieden.

Auch der von Trump forcierte Streit um die Rüstungsaufwendungen soll die Chefs nicht mehr entzweien. Nach der in Aussicht genommenen Vereinbarung bleibt es für die Rüstungsetats, wie 2014 in Wales beschlossen, bei der Peilmarke „zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ (BIP). Wer das nicht schafft, legt zum Jahreswechsel eine Planung für vermehrte Anstrengungen vor. Damit könnte auch die Bundesrepublik leben, die derzeit 1,23 Prozent des BIP für Verteidigung ausgibt.

Schweigeminute für Opfer von Manchester

So schafft die Gipfel-Regie Raum für den zeremoniellen Höhepunkt, die feierliche Einweihung der neuen Nato-Zentrale. Das elegante Gebäude, eine Art in Scheiben aufgeschnittene Muschelschale, ist zwar noch nicht ganz fertig, wird aber vom Königreich Belgien schon übergeben. Gelegenheit für ein Trump-Element: Der Präsident weiht ein Denkmal mit einem Trümmerteil vom New Yorker World Trade Center ein – Erinnerung an den Terroranschlag von 2001, nach dem die Nato zum einzigen Mal den sogenannten Bündnisfall ausrief.

Für Deutschland übergibt die Bundeskanzlerin zwei Teile aus der Berliner Mauer. „Standfestigkeit und Mut haben dafür gesorgt, dass es diese Mauer heute nicht mehr gibt“, sagt sie. Dann kommt Trump, mit allem was dazugehört: Schweigeminute für Opfer des Anschlags in Manchester, Aufruf zur „Vertreibung des Terrorismus“ und Warnung vor „Tausenden, die in unsere Länder drängen“. Er droht Nato-Mitgliedern, „die nicht zahlen, was sie zahlen müssten!“. Und lobt das neue Gebäude: „Ich habe nie gefragt, was es kostet, aber es ist schön!“ Applaus.