Frankreichs Wahl bestimmt über das Schicksal von Europa
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Von Peter Heusch
Frankreich wählt am Sonntag: Emmanuel Macron oder Marine Le Pen? Das neue Staatsoberhaupt bestimmt die Zukunft des ganzen Kontinents.
Wenn Emmanuel Macron gewinnt,...
... sollen Frankreichs Unternehmen gestärkt und die europäische Integration ausgebaut werden. Die Devise des linksliberalen Kandidaten lautet: Die Zeit drängt, rasches Handeln tut not! Gleich nach seinem Amtsantritt will der 39-Jährige per Erlass eine Reform des Arbeitsrechts durchdrücken.
Diese sieht eine Lockerung des Kündigungsschutzes vor, während die 35-Stunden-Woche zumindest auf dem Papier erhalten bleibt. Allerdings soll es mehr Flexibilität geben: Den Betrieben wird zugestanden, über die tatsächliche Arbeitszeit mit ihren Beschäftigten zu verhandeln. Dass er mit diesen Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gleich eine erste Kraftprobe heraufbeschwört, ist Macron bewusst. Vier der fünf größten Gewerkschaften sowie der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon haben bereits ihren erbitterten Widerstand angekündigt.
Auch die Steuerschraube will Macron rasch zurückdrehen. Vorgesehen ist eine Senkung der Unternehmenssteuer von derzeit 33 auf 25 Prozent. Zudem soll die Wohnungssteuer für 80 Prozent der Haushalte abgeschafft werden. Geringverdiener dürfen sich derweil über eine Teilbefreiung von den Sozialabgaben freuen.
Die Karriere von Präsident Macron
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Der sozialliberale Macron will massiv in die Wirtschaft investieren
Einer der Kernpunkte von Macrons Programm sind massive Investitionen zur Ankurbelung der lahmenden Wirtschaft. Binnen fünf Jahren würden 50 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern bereitgestellt werden. 15 Milliarden Euro davon sollen in bessere Aus- und Weiterbildung fließen, um die Einstellungschancen von Jobsuchenden zu verbessern.
Nochmals 15 Milliarden Euro fließen in die Förderung erneuerbarer Energien. Der Rest der Gelder ist für Investitionen in die Landwirtschaft, für die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, für den Ausbau der Infrastruktur und das Gesundheitswesen vorgesehen. Um das EU-Defizitkriterium von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts einhalten zu können, sollen bei den Staatsausgaben 60 Milliarden Euro eingespart werden.
In der Bildungspolitik will Macron in den sozial schwachen Vorstädten die Zahl der Schüler auf zwölf pro Klasse begrenzen. Lehrer sollen als Anreiz für eine Arbeit in diesen sogenannten Problemzonen einen Bonus von 3000 Euro pro Jahr bekommen. Auch ein Verbot von Mobiltelefonen in den Schulen will Macron durchsetzen. Dafür soll es einen Kulturpass im Wert von 500 Euro für alle 18-Jährigen geben – für Kino-, Theater- und Konzertbesuche.
Die EU soll in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik noch enger kooperieren
Ein weiteres Hauptanliegen des Europa-Enthusiasten Macron ist es, der EU eine Frischzellenkur zu verpassen. In Brüssel will er auf eine Initiative zur Verstärkung der gemeinsamen Sicherheitspolitik drängen. Bis zu 5000 Grenzpolizisten sollen zu einer besseren Kontrolle der Schengen-Außengrenzen abgestellt werden. Außerdem plädiert er für eine Harmonisierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in der Eurozone, die in den nächsten zehn Jahren schrittweise umgesetzt werden soll. Noch ambitionierter ist sein Plan einer gemeinsamen Investitionspolitik und eines gemeinsamen Budgets für die Eurozone. Beides soll von einem Eurozonen-Parlament demokratisch kontrolliert werden. Zudem plant Macron die Bestimmung eines Eurozonen-Wirtschafts- und Finanzministers. Allergrößten Wert misst Macron den deutsch-französischen Beziehungen bei.
Wenn Marine Le Pen gewinnt, ...
... sollen die Versorgungsleistungen des Staates massiv erhöht und die Bindungen an Europa gekappt werden. Dazu gehört das Festhalten an der 35-Stunden Woche, aber auch eine Steuerbefreiung der Überstunden. Ebenfalls vorgesehen: Steuersenkungen für Privathaushalte sowie für kleine und mittelständische Unternehmen. Gleichzeitig sollen der Mindestlohn und die Mindestrenten angehoben werden. Nicht zuletzt will sie das Renteneintrittsalter wieder von derzeit 62 auf 60 Jahre absenken.
Kernpunkt des Programms der Rechtsextremistin ist die Wiedereinführung des Franc, um Frankreich seine Souveränität in der Währungspolitik zurückzugeben. Ob das auch den vollständigen Abschied vom Euro bedeutet, ist unklar. Zwar hatte Le Pen die Abkehr von der Gemeinschaftswährung jahrelang als Zielvorgabe ausgegeben, doch ruderte sie in den letzten Wochen zurück. Offenbar schwebt ihr nun vor, zum Franc zurückzukehren, den Euro jedoch als Zahlungsmittel für Großunternehmen und staatliche Institutionen beizubehalten.
Le Pen will die EU zu einem losen Staatenbund zurückstutzen
Die EU ist in den Augen Le Pens für beinahe alle Missstände in Frankreich verantwortlich. Deshalb will sie den europäischen Partnern innerhalb von sechs Monaten eine radikale Änderung der EU-Verträge abringen. Die Union soll dabei in einen losen Verbund der Mitgliedsländer umgebaut werden – ohne von Brüssel überwachte Haushaltsregeln, aber mit Grenzkontrollen. Letztere könnten für Frankreich noch vor dem Sommer durch die Aufkündigung des Schengen-Abkommens wieder eingeführt werden. Für den Fall, dass die EU-Partner der gewünschten Änderung des Unionsvertrags nicht zustimmen, will die Rechtsextremistin aus der EU austreten. Allerdings hat sie versprochen, den Franzosen diese Entscheidung zu überlassen. Über „Frexit“ und Euro-Austritt soll per Referendum abgestimmt werden.
Frankreichs Präsidenten seit 1959
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Des Weiteren plant die Rechtspopulistin die sofortige Umsetzung ihres Konzepts eines „intelligenten Protektionismus’“. Bei öffentlichen Ausschreibungen sollen nur noch französische Unternehmen zum Zuge kommen. Auf alle Importe soll eine Steuer von drei Prozent erhoben werden. Zudem droht Arbeitgebern, die ausländische Mitarbeiter einstellen, eine Extrasteuer von zehn Prozent auf deren Gehälter.
Ihre Devise: Frankreich und die Franzosen zuerst
Le Pen will das Oberhaupt eines starken Staates sein, dessen erste Aufgabe es ist, die eigenen Bürger zu schützen. Dass dazu der Ausbau des Sicherheitsapparats gehört, versteht sich von selbst. Doch ebenso wichtig ist ihr das „Prinzip der nationalen Priorität“, das sie in der Verfassung verankern will. Französische Staatsbürger sollen bei der Vergabe von Sozialleistungen, Arbeitsplätzen und Sozialwohnungen gegenüber Ausländern bevorzugt werden.
Den größten Teil ihres Programms wird Le Pen freilich nur umsetzen können, wenn sie nach dem Élysée-Palast im Juni auch die Parlamentswahlen gewinnt. Die Chancen, dass ihre rechtsextreme Partei Front National die Mehrheit der Abgeordnetenmandate in der neuen Nationalversammlung erobert, stehen jedoch bei null. Allerdings: Die Außen- und Sicherheitspolitik gehören zu den „reservierten Domänen“ des französischen Präsidenten. An einem harten Konfrontationskurs mit Brüssel und Berlin kann Le Len daher niemand hindern.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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