Paris/Brüssel. Europa ist erleichtert nach der ersten Runde der Wahl. Doch Frankreich ist zwischen Macron und der Rechtspopulistin Le Pen gespalten.

Geht es nach den Umfragen, hat der unabhängige französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron auch in der Stichwahl am 7. Mai die besten Chancen. Aber wie sicher ist sein Sieg wirklich? Wie stabil könnte ein Präsident Macron ohne eine feste Parteibasis regieren? Und was würde das für Europa bedeuten? Der erste Wahlgang wirft viele Fragen auf.

Wie sind die Chancen, dass Emmanuel Macron die Stichwahl gewinnt?

Mehr als gut. Macron weisen alle Umfragen die Rolle des haushohen Favoriten zu. Der unabhängige Präsidentschaftskandidat schnitt in der ersten Wahlrunde mit einem Vorsprung von 800.000 Stimmen zwar nur knapp besser ab als die rechtsextreme Anwärterin Marine Le Pen. Doch noch am Sonntagabend formierte sich ein breiter Rückhalt für den sozialliberalen Aufsteiger.

Als erster warf sich der auf dem dritten Platz gelandete Konservative François Fillon für Macron ins Zeug. Noch vor Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses rief er seine Anhänger auf, bei der Stichwahl am 7. Mai gegen Le Pen zu stimmen. Deren Rechtsaußen-Partei sei für „Gewalt und Intoleranz“ bekannt und könne Frankreich nur „Unglück und Spaltung“ bescheren.

Erleichterung in Deutschland nach Frankreich-Wahl

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    Auch der weit abgeschlagene Sozialist Benoît Hamon forderte wenig später seine Unterstützer dazu auf, das „Desaster“ Le Pen zu verhindern und für Macron zu stimmen, selbst wenn dieser nicht der Linken angehöre. Allein der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, der im ersten Durchgang auf das viertbeste Ergebnis kam, wollte keine Empfehlung abgeben, bevor er seine Wählerbasis konsultiert habe. Bei deren tiefer Abneigung gegen die populistische Konkurrenz vom rechten Rand steht allerdings von vornherein fest, dass Le Pen von hier nicht viel zu erwarten hat.

    Warum haben die Populisten mehr als 40 Prozent geholt?

    Die Zahl der Protestwähler nimmt seit Jahren stetig zu. Sehr viele Franzosen haben die Nase gestrichen voll von ihrer alten Politikerklasse. Weitverbreitete Wahrnehmung: Die Etablierten bekommen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme des Landes nicht in den Griff.

    Die Rechtspopulistin Le Pen und der Linkspopulist Mélenchon werben mit dem radikalen Bruch, der Absage an jede europäische Einmischung in die nationale Politik. Sie üben scharfe Kritik am Brüsseler „Spardiktat“. Sie stoßen vor allem bei Verlierern des globalen Wettbewerbs und bei Menschen, die von Abstiegsängsten geplagt werden, auf offene Ohren. Der Ruf nach einem starken Staat, der zuallererst dem Schutz des Volkes verpflichtet ist, kommt hier an.

    Macron hat keine Partei im Rücken. Was kann er als Präsident erreichen?

    In jedem Fall dürften die Parlamentswahlen im Juni zu einem heißen Ritt für einen Präsidenten Macron werden. Er könnte sich nur auf die erst vor einem Jahr von ihm gegründete „Graswurzel“-Bewegung „En Marche!“ („Vorwärts“) stützen. Genügend Mitglieder, um in allen 577 Wahlbezirken eigene Kandidaten aufzustellen, hat diese zwar allemal. Doch Macron hat versprochen, zur Hälfte „unverbrauchte Gesichter“ – sprich: politische Neulinge – ins Rennen zu schicken. Die Aussichten, dass „En Marche!“ mit Polit-Amateuren auf mehr als die Hälfte der Sitze in der neuen Nationalversammlung kommen kann, stehen eher schlecht.

    Auch aus diesem Grund hat Macron schon früh angekündigt, mit allen „Progressiven“ der konservativen und der sozialistischen Partei sowie mit den Zentristen zusammenarbeiten zu wollen. Dabei schwebt ihm eine Regierungskoalition vor, wie sie in Deutschland üblich ist. In der Fünften Republik hat es jedoch eine derartige Koalitionspraxis nie gegeben. Es besteht daher die Gefahr, dass sich ein Präsident Macron ohne Rückendeckung durch eine parlamentarische Mehrheit aufreibt und Reformen möglicherweise nicht durchbekommt.

    Wie problematisch wäre eine „Cohabitation“?

    Sollte ein Präsident Macron Ende Juni über keine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung verfügen, muss er einen Premierminister aus den Reihen der stärksten Partei ernennen. Diese sogenannte „Cohabitation“ hat sich in der Vergangenheit als problematisch erwiesen. Sie zwang erklärte politische Gegner zu einer von Konkurrenzdenken aufgeladenen Zusammenarbeit auf Zeit. Dies war zum Beispiel unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand und dem neo-gaullistischen Premier Jacques Chirac 1986 bis 1988 oder dem konservativen Präsidenten Chirac und dessen sozialistischen Premier Lionel Jospin 1997 bis 2002 der Fall.

    Macron würde aller Voraussicht nach wohl einen konservativen Premier ernennen müssen. Dass das auf ein Hauen und Stechen an der Staatsspitze hinausliefe, ist allerdings keineswegs ausgemacht. Schließlich war der konservative Kandidat François Fillon mit einem Reformprogramm angetreten, dass dem von Macron in vielen Punkten ähnelte, auch wenn es ungleich schmerzhaftere Einschnitte vorsah.

    Was würde ein Präsident Macron für die EU bedeuten?

    Die konkretesten Vorschläge Macrons gelten dem Ausbau der Eurozone. Demnach soll die Währungsunion mit einem eigenen Budget ausgestattet werden, das durch ein Eurozonen-Parlament kontrolliert wird. Zudem will Macron Euro-Anleihen zur Finanzierung von Investitionsvorhaben auflegen. Mit den Anleihen könnte man aber auch Mitgliedstaaten beispringen, die durch Strukturwandel in Bedrängnis geraten. Dem Wettbewerb um immer niedrigere Unternehmenssteuern soll durch Mindestsätze Einhalt geboten werden. Aus einem EU-Fonds sollen Industrieforschung und gemeinsame Beschaffung gefördert werden.

    In diese Richtung ist die EU ohnehin unterwegs. Macrons Ideen zur Währungsunion dürften auf mehr Widerstand stoßen. Berlin und die anderen Nettozahler argwöhnen hinter Vorstößen zur Vertiefung der Eurozone gern den Versuch, eine Schulden- und Haftungsunion einzuführen. Mit Wohlwollen wird allerdings in Brüssel Macrons Bekenntnis zur Haushaltsdisziplin vermerkt. Der frühere Wirtschaftsminister hat gelobt, unter seiner Regie werde sich Frankreich an die Defizit-Vorgaben halten. Das wäre eine Neuigkeit. Denn den Maastricht-Grenzwert (maximale Neuverschuldung drei Prozent der Wirtschaftsleistung) hat Paris bislang eher als Zumutung empfunden.