Berlin/Paris. Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl steht nicht fest, wer letztendlich Präsident wird. Klar ist aber, was das Amt verlangt.

Selten steht eine französische Präsidentschaftswahl derart im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit wie dieses Mal. Die erste Runde ist mit dem Urnengang am Sonntag vorbei. Wer in die Stichwahl am 7. Mai kommt, stand bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht fest. Doch die Bürde, die auf dem nächsten Präsidenten lastet, ist enorm. Ein Überblick über die größten Baustellen des Landes, die auf den Nachfolger von Präsident François Hollande warten:

Hohe Arbeitslosigkeit

Die dramatische Situation am Arbeitsmarkt ist seit Jahren eines der größten Probleme Frankreichs. Die Arbeitslosenquote liegt nach Vergleichszahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat bei zehn Prozent und damit rund zweieinhalb Mal so hoch wie in Deutschland. Vor allem junge Leute haben es schwer, einen Job zu finden - hier liegt die Quote der Arbeitssuchenden bei knapp 24 Prozent, in Deutschland sind es nach Eurostat-Rechnung 6,6 Prozent. Dass der scheidende Präsident Hollande es nicht schaffte, den Trend umzudrehen, wird ihm schwer angekreidet.

Wachstumsschwäche

Frankreichs Wirtschaft kommt nicht richtig in die Gänge. Die Konjunktur hinkte in den vergangenen drei Jahren in der Eurozone hinterher. 2016 lag das Wachstum bei 1,1 Prozent, die Euro-Zone kam dagegen nach Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf 1,7 Prozent. Allerdings zeichnet sich ein Silberstreif am Horizont ab: Für dieses und das kommende Jahr sagen Experten der EU-Kommission voraus, dass der französische Motor etwas an Fahrt aufnimmt und sich dem robusten Tempo der deutschen Wirtschaft annähert. In manchen Wirtschaftsbereichen ist Frankreich richtig stark - etwa in der Luxusindustrie, der Luftfahrtbranche oder dem Tourismus.

Schuldenberg

Um die Jahrtausendwende lagen Frankreich und Deutschland beim Schuldenstand noch gleichauf. Doch seitdem ist Frankreichs Defizit durch die Decke gegangen. Inzwischen türmt sich der Schuldenberg auf 96 Prozent der Wirtschaftskraft, Tendenz weiter steigend. In Deutschland sind es gut 68 Prozent, Tendenz sinkend. Mit großen Mühen hat Frankreich in den vergangenen Jahren sein jährliches Haushaltsdefizit zurückgefahren und will 2017 erstmals seit 2007 unter der europäischen Grenze von maximal drei Prozent der Wirtschaftskraft bleiben. Der Pariser Rechnungshof hat aber Zweifel geäußert, ob das zu schaffen ist. Die Staatsausgaben liegen bei 56 Prozent der Wirtschaftskraft, so hoch wie nirgendwo sonst in der EU. Frankreich leistet sich das größte Beamtenheer der westlichen Welt. Jeder fünfte Arbeitnehmer gehört dem öffentlichen Dienst an.

Reformstau

Versuche, das Land zu reformieren, stoßen in Frankreich oft auf heftigen Widerstand. Das zeigten etwa die monatelangen Proteste gegen eine gar nicht mal sonderlich weitreichende Arbeitsmarktreform im vergangenen Frühjahr. Unternehmer klagen immer wieder über viel Bürokratie und hohe Abgaben. Allerdings hat sich mittlerweile durchaus etwas getan. Unter Präsident Hollande wurden Firmen entlastet und das Arbeitsrecht leicht gelockert. Dennoch ist es für Betriebe nach wie vor schwer, Entlassungen vorzunehmen. Dies liegt am traditionell starken Einfluss der Gewerkschaften. Deshalb ziehen es die Unternehmen vor, neue Stellen vor allem auf befristeter Basis zu schaffen. Unter dem Strich bleibt der Arbeitsmarkt in weiten Teilen unflexibel. Die 35-Stunden-Woche untergräbt die Wettbewerbsfähigkeit ebenso wie zu starre Vorgaben für Firmen.

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