Ankara. Seit Jahren arbeitet Erdogan an einer Gleichschaltung der Medien. Ein türkischer Journalist berichtet von seiner schwierigen Arbeit.

„Evet“, das Ja, war allgegenwärtig im Wahlkampf vor dem türkischen Verfassungsreferendum. „Hayir“, das Nein, hatte es schwer – und unterlag dann auch beim Referendum. In den türkischen Medien fand die Nein-Kampagne nur sehr wenig Resonanz. Denn die allermeisten Zeitungen und TV-Sender sind regierungstreu.

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    Seit Jahren arbeitet die islamisch-konservative Regierung an einer Gleichschaltung der Medien, vor allem seit den Massenprotesten vom Sommer 2013. Nach dem Putschversuch vom Juli 2016 hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan den Druck auf kritische Journalisten noch einmal massiv verstärkt.

    Erdogan bezeichnet Yücel als „Terrorist“

    Nach einer Aufstellung des Internetportals Turkey Purge, das Erdogans „Säuberungen“ detailliert dokumentiert, ließ der Staatschef seit dem niedergeschlagenen Coup 149 Medien per Dekret schließen. 231 Journalisten wurden festgenommen. Davon sitzen nach Angaben von P24, der „Plattform für unabhängigen Journalismus“, 141 in Untersuchungs- oder Strafhaft.

    Einer von ihnen ist der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. Er sitzt seit Ende Februar in Untersuchungshaft, weiß aber bisher nicht, was ihm überhaupt vorgeworfen wird. Das Urteil scheint allerdings bereits gesprochen, und zwar von höchster Stelle: Erdogan persönlich bezeichnet Yücel in öffentlichen Reden als „Spion“ und „Terrorist“.

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      Fast jeden Tag im Gerichtssaal

      „Die Regierung betrachtet unabhängigen Journalismus als kriminell“, sagt Baris Yarkadas. Der 42-Jährige arbeitete 20 Jahre lang als Journalist. Seit 2015 sitzt er als Abgeordneter der größten Oppositionspartei CHP im Parlament. In der Partei ist er für die Medienpolitik zuständig und kümmert sich intensiv um inhaftierte Journalisten.

      „Ich bin fast jeden Tag in irgendeinem Gerichtssaal, um Prozesse gegen Journalisten zu beobachten“, sagt Yarkadas. Schwieriger sei es, Zugang zu inhaftierten Redakteuren zu bekommen. „Sie können keine Briefe schreiben oder empfangen, viele sitzen seit Monaten in Haft, ohne Anklage, ohne zu wissen, was man ihnen zur Last legt“, berichtet Yarkadas.

      „Klavier, auf dem die Regierung spielen kann“

      Wie die AKP-Regierung mit den Medien umgehe, erinnere ihn an einen Spruch des NS-Propagandachefs Joseph Goebbels: Die Presse sei „in der Hand der Regierung sozusagen ein Klavier, auf dem die Regierung spielen kann“. Die Melodie, so ergänzt Yarkadas, werde im Präsidentenpalast von Ankara komponiert: „Die einzige Wahrheit ist, was Erdogan sagt.“

      Die Festnahmen aufmüpfiger Journalisten und die Enteignungen nicht regierungstreuer Medienunternehmer verfehlen ihre Wirkung nicht: „Die meisten Journalisten sind eingeschüchtert, viele üben Selbstzensur, andere haben resigniert und ihren Beruf aufgegeben“, sagt Yarkadas.

      Türken stimmen für Präsidialsystem

      Am Sonntag stand die Türkei vor einer wegweisenden Entscheidung: für oder gegen ein Präsidialsystem, das Präsident Recep Tayyip Erdogan mehr Macht verleiht. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs.
      Am Sonntag stand die Türkei vor einer wegweisenden Entscheidung: für oder gegen ein Präsidialsystem, das Präsident Recep Tayyip Erdogan mehr Macht verleiht. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs. © dpa | Dha - Depo Photos
      Seit Sonntagmorgen waren die Wahllokale geöffnet. Etwa 55,3 Millionen Wahlberechtigte waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Im Ausland waren zusätzlich 2,9 Millionen Türken zur Wahl zugelassen.
      Seit Sonntagmorgen waren die Wahllokale geöffnet. Etwa 55,3 Millionen Wahlberechtigte waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Im Ausland waren zusätzlich 2,9 Millionen Türken zur Wahl zugelassen. © dpa | Michael Kappeler
      „Evet“ (Ja) oder „Hayir“ (Nein) – Darüber haben die Türken per Wahlzettel abgestimmt.
      „Evet“ (Ja) oder „Hayir“ (Nein) – Darüber haben die Türken per Wahlzettel abgestimmt. © dpa | Michael Kappeler
      Ein Wähler gibt in einem Wahllokal in Diyarbakir seinen Fingerabdruck. Die Millionenstadt wird überwiegend von Kurden bewohnt.
      Ein Wähler gibt in einem Wahllokal in Diyarbakir seinen Fingerabdruck. Die Millionenstadt wird überwiegend von Kurden bewohnt. © dpa | Emre Tazegul
      Auch Präsident Erdogan hat in einem Wahllokal in seiner Heimatstadt Istanbul seine Stimme abgegeben.
      Auch Präsident Erdogan hat in einem Wahllokal in seiner Heimatstadt Istanbul seine Stimme abgegeben. © dpa | Lefteris Pitarakis
      Gemeinsam mit seiner Frau Emine und im Beisein seiner Enkelin Mahinur nahm der türkische Präsident an der Abstimmung teil.
      Gemeinsam mit seiner Frau Emine und im Beisein seiner Enkelin Mahinur nahm der türkische Präsident an der Abstimmung teil. © dpa | Lefteris Pitarakis
      Nach der Stimmabgabe wurde Präsident Erdogan von seinen Anhängern freudig in Empfang genommen.
      Nach der Stimmabgabe wurde Präsident Erdogan von seinen Anhängern freudig in Empfang genommen. © dpa
      Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. Die Opposition warnte zuvor vor einer Ein-Mann-Herrschaft.
      Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. Die Opposition warnte zuvor vor einer Ein-Mann-Herrschaft. © dpa | Michael Kappeler
      In Istanbul, Ankara und Izmir – den drei größten Städten des Landes – überwogen die „Nein“-Stimmen. Die türkische Opposition kritisierte Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung und kündigte Einspruch an.
      In Istanbul, Ankara und Izmir – den drei größten Städten des Landes – überwogen die „Nein“-Stimmen. Die türkische Opposition kritisierte Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung und kündigte Einspruch an. © dpa | Michael Kappeler
      Staatschef Erdogan ließ sich von seinen Anhängern feiern. Das Volk habe eine „historische Entscheidung“ getroffen und der Verfassungsänderung zugestimmt, sagte Erdogan am Sonntagabend in Istanbul.
      Staatschef Erdogan ließ sich von seinen Anhängern feiern. Das Volk habe eine „historische Entscheidung“ getroffen und der Verfassungsänderung zugestimmt, sagte Erdogan am Sonntagabend in Istanbul. © dpa | Lefteris Pitarakis
      Unterstützer des „Ja“-Lagers zeigten ihre Freude über das Wahlergebnis mit einem Autokorso in Istanbul.
      Unterstützer des „Ja“-Lagers zeigten ihre Freude über das Wahlergebnis mit einem Autokorso in Istanbul. © dpa | Emrah Gurel
      Erdogan sagte vor begeisterten Anhängern in Istanbul, seine „erste Aufgabe“ werde sein, die Wiedereinführung der Todesstrafe auf die Tagesordnung zu setzen.
      Erdogan sagte vor begeisterten Anhängern in Istanbul, seine „erste Aufgabe“ werde sein, die Wiedereinführung der Todesstrafe auf die Tagesordnung zu setzen. © dpa | Emrah Gurel
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      Medien müssen um Staatsaufträge buhlen

      Aber wer sich zum Instrument der Regierungspropaganda machen lasse, der habe ein gutes Leben. Erdogan persönlich bestimme, wer bei den regierungsnahen Zeitungen Chefredakteur wird oder einen Job als Hauptstadtkorrespondent bekommt, weiß der Oppositionsabgeordnete. „Die regierungstreuen Spitzenjournalisten verdienen Supergeld, sie leben in tollen Wohnungen und fahren große Autos.“ Yarkadas: „85 Prozent der türkischen Medien sind auf Regierungslinie.“

      Das ist das Ergebnis einer lang angelegten Strategie. Sie wird dadurch begünstigt, dass die meisten Medien zu großen Industrie-Holdings gehören, die auf das Wohlwollen der Regierung angewiesen sind – zum Beispiel, um Staatsaufträge zu bekommen. Wie diese enge Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Medienmacht funktioniert, zeigt das Beispiel der Zeitung „Sabah“.

      Günstige Kredite für Erdogan-Anhänger

      Die Mediengruppe Merkez, zu der das Blatt gehörte, wurde 2007 von der staatlichen Treuhandanstalt beschlagnahmt. Wenige Monate später ging die „Sabah“ an die regierungsnahe Calik Holding. Das Geschäft finanzierten Staatsbanken mit günstigen Krediten. CEO von Calik war damals Berat Albayrak, ein Schwiegersohn Erdogans. Heute ist er Energieminister.

      Ähnlich lief es bei der Zeitung „Günes“: Die ursprünglich oppositionsnahe Zeitung wurde ebenfalls verstaatlicht und später an der Erdogan-nahen Unternehmer Ethem Sancak weitergereicht, der auch die Zeitung „Aksam“ und den Nachrichtensender „24“ kontrolliert.

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        Milliardenstrafe für Dogan-Mediengruppe

        Medienbarone, die sich nicht fügen, bekommen Erdogans Zorn zu spüren. Jahrelang lieferte sich die Dogan-Mediengruppe einen Machtkampf mit Erdogan – und unterlag. Die Finanzbehörden brummten dem Unternehmen eine Steuerstrafe in Milliardenhöhe auf. Konzernchef Aydin Dogan musste sich von Teilen seines Medienimperiums trennen, regierungskritische Redakteure und Kolumnisten wurden entlassen. Heute sind die Dogan-Medien zahm.