Berlin. Steuern und Sozialbeiträge sind in Deutschland überdurchschnittlich hoch. Das muss sich ändern. Doch die Aussichten sind nicht gut.

Wer am Ende eines Monats zuerst oben rechts auf seine Gehaltsabrechnung schaut und dann auf die letzte Zeile ganz unten, der traut oft seinen Augen nicht. Die Summe, die dort steht, entspricht in vielen Fällen nur noch knapp der Hälfte des Bruttogehalts. Der Rest geht für Steuern und Sozialabgaben drauf. Zwei Studien, die am Dienstag vorgelegt wurden, zeigen sehr deutlich, dass Deutschland in dieser Hinsicht international Spitze ist, mindestens aber – je nach Rechenmethode – im oberen Mittelfeld liegt.

Dass das so nicht bleiben kann, haben zum Glück alle Parteien erkannt: Die Union will mit der Forderung nach deutlichen Steuersenkungen in den Wahlkampf ziehen, die SPD möchte vor allem an den Sozialabgaben ansetzen und selbst Grüne und Linke sehen ein, dass bestimmte Einkommensgruppen entlastet werden müssen. Die FDP versucht, mit dem Versprechen auf Steuersenkungen zurück in den Bundestag zu kommen.

Steuerpolitisches Armutszeugnis der Parteien

Steuern und Abgaben zu senken, ist bitter nötig. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seine Kollegen in den Bundesländern haben zuletzt immer mehr Steuereinnahmen kassiert, die Bürger aber allenfalls in homöopathischen Dosen entlastet. Der Tarif für die Einkommensteuer hat sich seit zehn Jahren nicht verändert. CDU und CSU brüsten sich noch immer damit, die Steuer-Erhöhungspläne der SPD aus dem vergangenen Wahlkampf verhindert zu haben. Damit aber verkaufen sie Stillstand als Fortschritt – tatsächlich ist es ein steuerpolitisches Armutszeugnis.

Doch so gut und richtig es ist, über Steuersenkungen zu diskutieren: Die eigentliche Musik spielt bei den Sozialabgaben. Hier gehört Deutschland international zu den Spitzenreitern, und hier hat gerade die große Koalition in den vergangenen vier Jahren noch einmal ordentlich zugelangt: Rente mit 63, Mütterrente, mehr Leistungen in der Pflegeversicherung, teure Reformen in der Krankenversicherung – das alles hat mehr Geld gekostet. Diese Mehrausgaben müssen alle Arbeitnehmer (und übrigens auch die Arbeitgeber) zahlen, auch wenn nicht alle gleichermaßen von den Wohltaten profitieren, die ihnen die große Koalition spendiert hat.

Gretchenfrage: Wie viel Sozialstaat brauchen wir?

Politisch heikel ist, dass gerade Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen die hohen Sozialabgaben besonders hart treffen. Sie sind auf die Leistungen der Sozialversicherung oft besonders angewiesen, aber sie wenden gleichzeitig einen besonders großen Teil ihres Einkommens für Renten- und Krankenkassenbeiträge auf. Ihre Steuerlast dagegen ist gering, von Steuersenkungen würden sie kaum profitieren. Ihnen wäre mit geringeren Sozialabgaben mehr geholfen. Nur: Wie sollen die Beiträge sinken?

Die Gretchenfrage, auf die alle Parteien in den Monaten bis zur Bundestagswahl eine Antwort finden müssen, lautet deshalb: „Wie viel Sozialstaat wollen wir uns leisten?“ Es sind ja nicht nur die Sozialbeiträge, die zu hoch sind. Auch mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts – der mithilfe von Steuern gefüllt wird – fließt in Sozialausgaben. Renten- und Krankenversicherung bekommen milliardenschwere Zuschüsse. Dass all dieses Geld sinnvoll verwendet wird, daran bestehen berechtigte Zweifel. Eine Debatte über Strukturen im Gesundheitssystem oder darüber, ob die Schulabgänger von heute länger arbeiten müssen als ihre Großeltern, ist überfällig.

Für so eine Debatte braucht es Mut. Parteien, die vor einer Wahl um Wählerstimmen buhlen, waren bisher selten mutig. Die Aussichten, dass Steuern und Abgaben tatsächlich sinken werden, sind nicht rosig. Wir werden vorerst weiterzahlen.