Berlin. Mit dem Sommer beginnt auch die Ferien- und Reisezeit. Aber wie sicher ist Sonnenbaden und Reisen in Zeiten der Coronavirus-Pandemie?

„Nur verrückte Hunde und Engländer gehen mittags in die Sonne“ – so beschrieben britische Zeitungen vor ein paar Tagen unfassbare Bilder aus dem Strandbad Bournemouth. Zehntausende Sonnenanbeter standen, lagen, saßen und tranken dicht an dicht. Corona, war da was? Dabei hat das Königreich schon mehr als 43.000 Todesfälle zu beklagen.

Am Sonnabend stürmten auch die Deutschen die Strände an Nord- und Ostsee, allerdings bei weitem nicht so krass wie auf der britischen Insel. Am Sonntag beruhigte sich die Lage an den Küsten bei regnerischem Wetter ohnehin. Tourismusverbände und Polizei in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern versicherten, die Mindestabstände seien bis auf wenige Ausnahmen eingehalten worden.

Coronavirus könnte besonders in der Ferienzeit unterschätzt werden

Experten sind dennoch beunruhigt, dass mit Beginn der Ferienzeit in fünf Bundesländern die Deutschen die Pandemie unterschätzen könnten. Der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach sagte unserer Redaktion: „Diese neue Sorglosigkeit gefällt mir gar nicht. Ich gönne jedem seinen Sommerurlaub. Aber manche tun so, als habe es Corona nie gegeben. Das ist ein Trugschluss.“ Auch interessant: Urlaub, Wetter, Corona – Wie wird der Sommer 2020?

Das Virus ist noch da, sichtbar aber nur mit bundesweit niedrigen Zahlen an Neuinfektionen. Auffällig sind regionale Hotspots wie in der ostwestfälischen Fleischindustrie, in Göttingen nach Familienfeiern oder in Stadtteilen von Berlin. Besonders stark betroffen ist der Kreis Gütersloh, wo Weltkonzerne wie Miele und Bertelsmann ihre Stammsitze haben, aber eben auch der Großschlachter Tönnies.

Im Kreis lag die Kennziffer der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb der vergangenen sieben Tage trotz Abwärtstendenz weiter deutlich über der entscheidenden Marke von 50. Wie die Kreisverwaltung mitteilte, wurden in Gütersloh in den vergangenen sieben Tagen bis Freitag 75 Menschen positiv auf das Virus getestet, die keinen Bezug zum Unternehmen Tönnies haben. Grund für den Anstieg sei wohl vor allem die Ausweitung der Tests. Lesen Sie hier: So erkennt man Fleisch und Produkte von Tönnies

Bayern will eine „Corona-Testoffensive“ starten

Auch der Nachbarkreis Warendorf sieht bisher keine Anzeichen für eine Ausbreitung des Virus unter der übrigen Bevölkerung. „Der bisherige Trend zeigt, dass das Virus nicht auf die allgemeine Bevölkerung übergesprungen ist“, sagte Warendorf-Landrat Olaf Gericke (CDU). Als Vorsichtsmaßnahme muss nach den Vorfällen in der Tönnies-Schlachterei die Fleischindustrie in Nordrhein-Westfalen künftig auf eigene Kosten Beschäftigte mindestens zweimal pro Woche auf das Coronavirus testen lassen.

Bayern kündigte an, dass sich im Freistaat künftig jeder auf das Coronavirus testen lassen kann – unabhängig davon, ob er Symptome hat oder einem besonderen Risiko ausgesetzt ist. Die Kosten will das Land übernehmen, sofern kein Anspruch auf Erstattung etwa durch die Krankenkasse besteht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnte vor einer Überbewertung der Ergebnisse. „Umfangreiches Testen ist sinnvoll, insbesondere, um regionale Ausbrüche schnell einzudämmen“, sagte er am Sonntag. „Allerdings ist ein Test immer nur eine Momentaufnahme. Er darf nicht in falscher Sicherheit wiegen.“

Auch SPD-Gesundheitsökonom Lauterbach betonte: „Wir müssen dafür sorgen, dass die richtigen Leute getestet und die Tests selbst billiger werden.“ Menschen und Beschäftigte aus Risikogruppen sollten vorrangig auf Covid-19 getestet werden: Mitarbeiter in der Gastronomie, dem Gesundheitswesen, in Schulen und Kitas. Wahllos alle Bürger zu testen, würde zu Milliardenkosten und verzerrten Ergebnissen führen. Lesen Sie hier: Coronavirus – Menschen mit diesen Vorerkrankungen sind gefährdeter

Strände in Florida voll wie eh und je

weitere Videos

    Sorgenfreie Ferien trotz Corona? Nicht mit Kennzeichen GT und WAF

    Um die Kosten für mehr Tests zu verringern, schlägt Lauterbach ein Pooling-Verfahren vor. So würde zum Beispiel bei 100 Proben nicht jede einzelne im Labor geprüft, sondern die Proben zuvor in zehn Zehnergruppen unterteilt. Gebe es dann in einer dieser Gruppen einen positiven Befund, würde es letztlich mit einer Kontrolluntersuchung nur 20 statt 100 Labortests geben. „In Teilen von Asien und in den USA kosten Corona-Tests dank eines Poolings nur noch ein paar Dollar.“ Auch interessant: Coronavirus – So wird man Testperson für den Impfstoff

    Deutsche Laborärzte konnten bislang 52 Euro pro Test für Laborleistungen, Versandmaterial und Transportkosten bei den Kassen abrechnen. Vom 1. Juli an sinkt die Vergütung auf 39,40 Euro. Lauterbach sagte, günstigere Tests seien wichtig, um Deutschland für eine mögliche zweite Pandemie-Welle zu rüsten: „Wir brauchen im Herbst Massentests. Neue Studien deuten darauf hin, dass es stärker auf die Häufigkeit der Tests ankommt, in welchen Abständen ich Risikopersonen regelmäßig teste.“

    Trotz allem können die Deutschen derzeit unkompliziert im Inland Urlaub machen – wenn sie nicht aus Gütersloh oder Warendorf kommen. Für Urlauber mit den Autokennzeichen GT und WAF hatten Bund und Länder sich geeinigt, dass diese nur dann in Hotels und Ferienwohnungen untergebracht werden oder ohne Quarantänemaßnahme in ein Bundesland einreisen dürfen, wenn sie mit einem frischen Attest nachweisen, dass sie keine Infektion haben. Mehr zum Thema: Lockdown in Gütersloh – das ist jetzt wichtig

    Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt Bürger vor Leichtsinnigkeit

    Thüringen schert dabei aber aus und wird kein Einreise- und kein Beherbergungsverbot erlassen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) mahnte Einheitlichkeit an. „Ich appelliere an alle Beteiligten, an diesem Kompromiss festzuhalten.“ Nur so könne ein Flickenteppich in den reiseintensiven Sommermonaten verhindert werden. Lesen Sie hier: Alles Wichtige zu Urlaub in Deutschland - trotz Corona

    Die Kanzlerin warnte die Bürger davor, leichtsinnig zu werden. „Die von dem Virus ausgehende Gefahr ist weiterhin ernst“, sagte Angela Merkel (CDU) in einer Videobotschaft. „Nehmen Sie es ernst, denn es ist ernst.“ Das Virus kam ihr bereits einmal sehr nahe. Ihr Arzt war positiv. Merkel ging vorsorglich in Quarantäne, hatte sich aber nicht angesteckt. Ihren Sommerurlaub will Merkel in Deutschland verbringen. Sonst zog es die 65-Jährige gern auf die Insel Ischia im Golf von Neapel oder in die Südtiroler Berge.

    Die EU hadert noch, für welche Länder zum 1. Juli die Grenzen wieder aufgemacht werden sollen. Nach der Zahl der neuen Infektionsfälle würden die Einreiseverbote für Länder wie die USA, Brasilien oder Russland zunächst weiter gelten, nicht aber für China. Neben China stehen derzeit noch 14 Länder auf der Liste, die mit einer Lockerung rechnen können: Algerien, Australien, Kanada, Georgien, Japan, Montenegro, Marokko, Neuseeland, Ruanda, Serbien, Südkorea, Thailand, Tunesien, Uruguay. Sie müssten im Gegenzug EU-Reisenden die Einreise erlauben.

    Nach vier Monaten, in denen die eng vernetzte Welt nahezu stillstand und der Himmel weitgehend frei von Flugzeugen war, springt die Globalisierung langsam wieder an. Entweder es geht gut, oder mit der zweiten Welle kommt der nächste Shutdown.

    Mehr zum Thema Coronavirus:

    (mit dpa)