Berlin. Artur Brauner produzierte Kassenknüller wie „Mädchen in Uniform“ und „Hitlerjunge Salomon“. Jetzt wird der Filmproduzent 100 Jahre alt.

Er hat das deutsche Kino geprägt wie kaum ein anderer. Romy Schneider, Heinz Rühmann, Curd Jürgens, O.W. Fischer, Peter Alexander und Caterina Valente – sie standen alle in den Berliner Filmstudios von Artur Brauner vor der Kamera. Er produzierte die Kassenknüller „Dr. Mabuse“, „Mädchen in Uniform“ und „Der Tiger von Eschnapur“.

Doch Stars und Glamour waren immer nur die eine Seite im Leben des eleganten Filmmoguls. Mit Filmen wie „Morituri“ (1948), „Hitlerjunge Salomon“ (1990) und „Wunderkinder“ (2011) hält Brauner seit sieben Jahrzehnten die Erinnerung an die Opfer des Holocaust wach. Am Mittwoch wird der Filmproduzent 100 Jahre alt.

Wie geht es Ihnen derzeit?

Artur Brauner: Danke der Nachfrage. Meinem Alter entsprechend. Es kommt sehr auf die Tagesform an.

Wie werden Sie den Geburtstag begehen?

Brauner: Meinen Geburtstag werde ich nur im Kreise meiner Familie feiern. Aber am 8. September wird mir zu Ehren eine Gala im Berliner Zoo Palast veranstaltet. Ich freue mich sehr, dort viele Freunde wiederzu­sehen. In 100 Jahren trifft man auf viele interessante Menschen.

1946 kamen Sie, ein polnischer Jude, nach Berlin. Sie wollten eigentlich nach Amerika, um dort Filme zu machen. Warum sind Sie hier geblieben, im Land der Täter?

Brauner: In jungen Jahren haben meine Familie und ich die Gräueltaten der Nazis erlebt und dem Tod in die Augen geschaut. Das bleibt für immer unvergesslich und schrecklich. Als ich nach dem Krieg auf den Heuwagen eines polnischen Bauern nach Berlin fuhr – von dort sollte ich mit der Familie nach Israel emigrieren –, wusste ich noch nicht, wo ich letzten Endes bleiben würde. Ich fuhr mit dem Bauern über Feldstraßen.

Plötzlich wich der Kutscher aus, er wollte den Weg nicht benutzen, da sei etwas Schreckliches geschehen. Ich ging allein in den Wald. Und wurde dort mit toten Leibern konfrontiert, auf einem Haufen zusammengescharrt. Überbleibsel der SS, die es wohl nicht mehr geschafft hatte, ihre Opfer zu verscharren oder zu verbrennen. Besonders die offenen Augen eines etwa Zwölfjährigen Jungen haben meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Artur Brauner heute – hier mit Tochter Alice Brauner.
Artur Brauner heute – hier mit Tochter Alice Brauner. © dpa | Jörg Carstensen

Und dieses Bild wurden Sie nicht mehr los?

Brauner: Deswegen habe ich bis heute 24 Filme um die Opfer des NS produziert.

Gleich Ihr zweiter Film „Morituri“ war einer davon. Eine Pionierleistung. Aber damit waren Sie eigentlich gleich ruiniert. Warum wollte das damals keiner sehen?

Brauner: „Morituri“ ist 1948 abgelehnt und boykottiert worden. Und heutzutage würde die Masse ebenso reagieren, aber wahrscheinlich nicht so offensichtlich, eher im Stillen. Man schaut sich lieber einen Til-Schweiger-Film an oder andere leichte Kost, während ein Film um den ­Holocaust meist nur bis zu 60 000 Kinobesucher erreicht, wenn der Regisseur nicht gerade Polanski oder Spielberg ist. Die arbeiten natürlich mit ganz anderen Mitteln, auch finanziell.

Mit den Unterhaltungsfilmen wurden Sie zum Liebling der Nation. War das manchmal seltsam, von den Deutschen, die noch vor Kurzem die Juden verfolgt hatten, so geliebt zu werden?

Brauner: Meine Filme trafen den Geschmack des Publikums, die Menschen wollten nach dem schrecklichen Krieg unterhalten werden, und ich hatte ein Gespür für die Bedürfnisse des Publikums.

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Was waren in all den Jahren Ihre Lieblingsfilme?

Brauner: Der wichtigste Film ist „Morituri“, da er, zwei Jahre nach Beendigung des Krieges, quasi der erste Film war, der das Thema der NS-Opfer behandelte. Der für mich perfekte Film ist der Film „Die Ratten“, der mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Ich liebe aber auch unseren „Braven Soldat Schwejk“ und natürlich den Golden-Globe-prämierten „Hitlerjunge Salomon“.

Wer waren Ihre Lieblingsstars? Und wie schwer war es, sie immer wieder überreden, gewinnen zu können?

Brauner: „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“ konnte ich nur mit Romy Schneider drehen. Ohne sie wäre der Film nicht produziert worden. Zu jener Zeit war es aber nicht leicht, sie von der Rolle zu überzeugen. Ihr ging es nicht gut, ihr Sohn war gerade tragisch verstorben, und sie sollte in dem Film die Mutter eines fast gleichaltrigen Jungen spielen. Es bedurfte sehr vieler Gespräche. Und der Überzeugungskraft meiner Frau!

Noch heute heißt eine Ihrer drei Studiohallen deshalb Atelier Romy Schneider. Wer fällt Ihnen sonst spontan ein?

Brauner: Für Maria Schell bin ich mit meinem klapprigen VW-Käfer 36 Mal von Berlin nach München – durch die Zone – gefahren, um sie davon zu überzeugen, in „Die Ratten“ mitzuspielen. Sie wollte und wollte nicht, hat aber dank meiner Hartnäckigkeit doch angenommen. Danach hat sie es mir sehr gedankt. Auch an O. W. Fischer und Curd Jürgens habe ich sehr gute Erinnerungen. Mit Curd Jürgens waren wir gut befreundet. Wenn er bei uns drehte, kam er manchmal um drei Uhr nachts zu uns nach Hause, ging an den Kühlschrank und holte sich was.

Mit wem würden Sie nie wieder arbeiten?

Brauner: Da fällt mir niemand ein. Ich kann Ihnen nur sagen, mit wem ich ­immer wieder arbeiten würde: mit Agnieszka Holland, István Szabó. Und wenn er noch leben würde: immer wieder mit Fritz Lang – wenn er sich an meine Budgetvorgaben halten würde.

Haben Sie einen Rat für die jüngeren Filmemacher heute?

Brauner: Das Kino steckt in der Krise. Vor allem junge Leute gehen kaum noch ins Kino, sondern schauen sich Filme lieber im Netz an.

Was sagen Sie zu den rechtspopulistischen Strömungen, die dieser Tage so viel Aufwind erleben?

Brauner: Ich kann der Jugend nur nahelegen, dass sie den Populisten weltweit nicht ins Netz geht und sich mit aller Kraft Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit entgegenstellt. Und zwar jetzt und nicht erst, wenn es zu spät ist.