Berlin. Sie legten ein Feuer neben dem Kopf eines Mannes. Nun geht es für die Berliner „U-Bahn-Zündler“ dennoch nicht mehr um versuchten Mord.

Der Prozess gegen die sechs als „U-Bahnhof-Zündler“ bekannt gewordenen jungen Männer aus Syrien und Libyen steuert auf ein überraschendes Ende zu, das zweifelsohne noch sehr viel Diskussionsstoff bieten wird. Während des vorletzten Prozesstages am Freitag hob das Gericht fünf der sechs gegen die Angeklagten bestehenden Haftbefehle auf. Zuvor hatte die Vorsitzende der 13. Jugendkammer am Landgericht bereits mitgeteilt, für das Gericht komme statt einer Verurteilung wegen versuchten Mordes auch eine Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Betracht.

Das Urteil steht noch aus, es wird vermutlich am Dienstag kommender Woche gesprochen. Aber mit ihren Ankündigungen und Entscheidungen vom Freitag signalisierten die Richter bereits: Der Vorwurf des versuchten Mordes ist für die jungen Männer aus Syrien vom Tisch. Nach dem Abschluss der Beweisaufnahme begann dann der angesichts der richterlichen Entscheidung sichtlich um Fassung ringende Vertreter der Anklage Martin Glage, sein Schlussplädoyer. „Auch wenn das jetzt wohl für die Galerie ist“, bemerkte der Oberstaatsanwalt trocken.

Tat hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst

Die Tat, deren juristische Aufarbeitung am Freitag eine solch überraschende Wendung nahm, sorgte seinerzeit für großes Aufsehen und fassungsloses Entsetzen weit über Berlin hinaus. In der Nacht zum 25. Dezember 2016 hielten sich die Angeklagten im U-Bahnhof Schönleinstraße in Neukölln auf, wo ein 37-jähriger Obdachloser auf einer Bank schlief. Der Anklage zufolge legte der 21-jährige Haupttäter Nouri N. ein brennendes Taschentuch neben den Kopf des Opfers, anschließend verfolgten er und mindestens drei Mitangeklagte interessiert, wie die Flammen größer wurden, bevor sie den Tatort verließen.

Im Bahnhof Schönleinstraße hatte der Obdachlose auf einer Bank geschlafen.
Im Bahnhof Schönleinstraße hatte der Obdachlose auf einer Bank geschlafen. © dpa | Paul Zinken

Der Fahrer der nächsten einfahrenden U-Bahn und ein Fahrgast bemerkten das Feuer und löschten es, als es gerade die Decke zu erreichen drohte, unter der das Opfer schlief. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft war es nur dem beherzten Eingreifen der beiden Helfer zu verdanken, dass Schlimmeres verhindert wurde.

Anklage: Opfer war zur Tatzeit arg- und wehrlos

Nach der Veröffentlichung von Überwachungsvideos stellten sich die Täter, vier Wochen später wurde bereits Anklage erhoben. Den Vorwurf des versuchten Mordes begründete die Staatsanwaltschaft mit dem sogenannten bedingten Vorsatz. Der besagt, dass ein Täter keinesfalls in Tötungsabsicht handeln muss, es reicht, wenn er durch sein Verhalten den Tod eines anderen „billigend in Kauf nimmt“. Als Mordmerkmal sah die Anklagebehörde Grausamkeit und Heimtücke an, da das tief und fest schlafende Opfer arg- und wehrlos war, wie es in der Juristensprache heißt.

Eindringlich und detailliert schilderte Ankläger Glage in seinem Plädoyer nochmals das Tatgeschehen. Wie die Angeklagten aufmerksam verfolgen, dass Haupttäter N. das brennende Papier neben den Kopf des Opfers legt, wie sie anschließend „gut gelaunt und amüsiert“ zusehen, wie die Flammen größer werden und wie sie schließlich lachend mit der nächsten U-Bahn davonfahren, während zwei Helfer das Feuer löschen und das Opfer wecken.

Oberstaatsanwalt ist „erstaunt“ über neue Auffassung des Gerichts

Er sei erstaunt, so der Oberstaatsanwalt am Freitag, dass das Gericht inzwischen offenbar eine andere Auffassung von der Tat habe, noch im Februar habe auch die Kammer in einem Beschluss festgestellt, den Angeklagten sei völlig egal gewesen, was mit dem Opfer passierte.

Einige Angeklagte erklärten in der Verhandlung, sie hätten das Opfer nicht ernsthaft schädigen wollen. Andere gaben an, sie hätten von dem Feuer nichts mitbekommen. Ihre Verteidiger argumentierten, ihre Mandanten hätten nicht erkennen können, dass sie ihr Opfer in Gefahr brachten und bezweifelten, dass ein „kleines Feuer“ überhaupt tödliche Folgen haben könne.

Die Staatsanwaltschaft geht weiterhin von versuchtem Mord aus. Sie fordert für den Haupttäter vier Jahre Haft. Er sei gespannt auf die Urteilsbegründung des Gerichts, sagte Anklagevertreter Glage am Freitag. Am kommenden Dienstag wird er die hören. Es darf als sicher gelten, dass es keine Verurteilung wegen versuchten Mordes geben wird. Es darf aber ebenfalls als sicher gelten, dass die Staatsanwaltschaft in dem Fall vor den Bundesgerichtshof ziehen wird.

Dieser Text ist zuerst auf morgenpost.deerschienen.