Sinsheim. Ein Debüt zwischen Fehler und Glücksmoment: Schulz' Geschichte vom Aufstehen nach dem Fall kann der DFB-Elf als Exempel dienen.

Mit 25 Jahren hat man als Fußballprofi heute statistisch gesehen den Mittelpunkt seiner Karriere erreicht. Experten sagen, danach gehe es eher nicht mehr steil nach oben. Die Allermeisten würden dann noch ein paar Jahre ihr Leistungsniveau halten, bis irgendwann der schleichende Niedergang beginne. Die Zeit in einer Spielerlaufbahn, sie fährt Auto.

Für Nico Schulz hat es Vorteile, schon 25 zu sein. Erstens ist er nicht mehr 22, was gut ist, weil er mit 22 ein schwerverletzter Fußballprofi war. Und zweitens braucht er sich und der Welt nichts mehr vorzumachen. „Joa, kann man halten“, gab Schulz unumwunden zu, nachdem dem Linksverteidiger in seinem allerersten Länderspiel der 2:1-Siegtreffer gegen Peru mit einem krummen Schüsschen kurz vor Schluss gelungen war. Der peruanische Torwart Pedro Gallese hatte sich den Ball eigentlich fast selbst ins Netz gelenkt. „So ein Schuss geht wahrscheinlich nur in unserem Stadion rein“, sagte Schulz, der sein Debüt in der Sinsheimer Arena seines Arbeitgebers, der TSG Hoffenheim, geben durfte. Das war eine der vielen Pointen in dieser schrecklichen netten Geschichte, die für Schulz Höhen und Tiefen mit sich brachte und die am Ende auch als Parabel auf den deutschen Fußball nach dem WM-Debakel gelesen werden kann.

Schulz ist Löws 98. DFB-Debütant

Der gebürtige Berliner Nico Schulz zog 2015 von seinem Heimatklub Hertha BSC aus, um sich einen größeren Namen zu machen. Er war U21-Nationalspieler, hatte aber in Berlin das Gefühl, über den Status des Nachwuchstalents nicht weit genug hinaus zu kommen. Schulz ging nach Mönchengladbach und wollte Champions League spielen. Doch dann riss sein Kreuzband – in einem Testspiel gegen Duisburg. Ein Unfall auf der Überholspur.

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Drei Jahre später ist Schulz nun der 98. Debütant unter Bundestrainer Joachim Löw und endlich dort angekommen, wovon der Sohn eines Italieners und einer Deutschen schon als Kind geträumt hat. Die Zeit, sie raste weiter. Wechsel nach Hoffenheim 2017, im Frühjahr 2018 dann die stärkste Rückrunde seiner Karriere. Danach wurde er vom „Kicker“ zum besten Außenverteidiger der Liga gewählt – noch vor Joshua Kimmich, was Schulz vor allem seinem Vereinstrainer Julian Nagelsmann verdankte, der ihn taktisch versierter werden ließ. Nächster Halt: Nationalmannschaft. „Es ist Wahnsinn, wie schnell das alles ging“, sagte Schulz Sonntagnacht. „Ich hatte keine einfache Zeit. Aber ich wurde jetzt belohnt.“

Siegtor "sehr besonders" für Schulz

Das galt für seine Karriere im Großen und für das Spiel gegen Peru im Kleinen. Denn Schulz hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass es zunächst auch keine einfache Zeit für das deutsche Team im Test gegen die Südamerikaner war. Beim Gegentor (22. Minute) machte er gleich zwei Fehler, als er erst nicht klärte und dann zu spät kam. „Das kann man besser lösen. Ich weiß das“, sagte Schulz und zeigte dann auch etwas von dieser neuen Selbstkritik im DFB-Team: „Ich war mit meinem Spiel gar nicht so zufrieden. Da kann man noch viele Sachen verbessern“, kritisierte er. Er nehme aber als Erkenntnis mit nach Hause, „dass es sich lohnt, hart zu arbeiten“, sagte Schulz. Denn nach seiner anfänglichen Unpässlichkeit kämpfte er sich hinein ins Spiel – und wurde am Ende zum glücklichen Siegtorschützen. „Das war schon etwas sehr Besonderes für mich“, sagte Schulz.

Bundestrainer Löw war durchaus angetan von Schulz' Fähigkeit, sich von Rückschlägen nicht umstoßen zu lassen. Und er deutete an, mit ihm auch weiterhin in der Nationalelf zu planen: „Es ist nie einfach im ersten Länderspiel, da ist man etwas nervös“, sagte der 58-Jährige. „Beim Gegentor muss Nico den Ball klären, aber mit seinem Engagement bin ich zufrieden und freue mich über das Tor. Ich glaube, dass er sich auch künftig bei uns gut einbringen kann.“ Neben dem geschonten Jonas Hector vom Zweitligisten Köln und dem diesmal verletzt fehlenden Herthaner Marvin Plattenhardt hat Löw nun eine dritte Alternative auf der Linksverteidigerposition.

In Schulz' Geschichte steckt Hoffnung

Aber der Bundestrainer besitzt mit Schulz auch eine Geschichte im Team, die für den Zustand seiner Mannschaft nach dem WM-Desaster insgesamt stehen kann. Der Neuaufbau verlief bisher ebenso wenig fehlerlos wie Schulz's erster Auftritt in der DFB-Auswahl. Dass am Ende gegen Peru der schlechteste Schuss des ganzen Abends den Sieg brachte, nachdem unzählige bessere Chancen vergeben wurden, passt ebenfalls zur Nationalelf auf der Suche nach Effizienz. Und dennoch steckt in der Schulz-Story auch etwas Hoffnung. Dass man nach einem tiefen Fall wieder aufstehen kann, wenn man dafür kämpft. Das ist nach dem deutschen Sommer zum Vergessen nun der neue Modus der Nationalmannschaft.

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Schulz übrigens hatte Löw im Training damit beeindruckt, ohne viel Anlauf sofort anzukommen in der Nationalelf. Ohne Schüchternheit, dafür mit Tempo. Er weiß, dass das auch notwendig ist. „Ich bin keine 18 mehr. Ich habe nicht mehr allzu viele Jahre und muss alle Chancen nutzen“, sagte er. Seine Spielerlaufbahn will Nico Schulz jetzt nur noch selbst lenken.