München. Leroy Sané durfte nicht zur WM. Jetzt soll seine Zeit in der Nationalelf kommen. Aber der ManCity-Profi stand sich zuletzt selbst im Weg.

Das Erste, was man von Leroy Sané sah, waren Haare. Er steckte seinen Lockenkopf aus einem schwarzen Minivan, schaute hoch zum Hotel der deutschen Nationalmannschaft am Englischen Garten in München und lächelte. Es war die Ankunft eines Verschmähten, der durchaus mit dem Gefühl zurück in den Kreis der DFB-Auswahl kehren konnte, dass man ihn besser mal mitgenommen hätte zur WM nach Russland.

Bester Nachwuchsspieler der Premier League

Ohne Sané blamierte sich Deutschland. Und nun, da man vor den Trümmern der einstigen Weltmeisternation steht und überlegt, wie man sie wieder aufbauen kann, sucht Bundestrainer Joachim Löw dringend nach einem Spielertyp, der die neue harte Währung im Weltfußball darstellt: der schnelle Eins-gegen-Eins-Profi, der Typ Kylian Mbappé. Leroy Sané ist nicht auf dem Leistungsniveau des französischen Weltstars. Aber er gehört zu jener seltenen Gattung. Der 22 Jahre alte Flügelspieler von Manchester City ist, was Löws Elf beim Neustart braucht: schnell, dribbelstark und um unkonventionelle Lösungen bemüht. Das hat der ehemalige Schalker auf höchstem Niveau bewiesen. Am englischen Meistertitel seines Vereins 2018 hatte der Linksaußen mit zehn Toren und 15 Vorlagen in 32 Spielen einen hohen Anteil. Er wurde zum besten Nachwuchsspieler der Premier League gewählt. Deshalb wunderte sich die internationale Fachwelt, als ihn Löw im WM-Trainingslager in Eppan aus dem endgültigen Aufgebot strich. Aus Löws Sicht allerdings war der Verzicht zwingend. Denn Sané ist nicht nur ein Problemlöser für den 58-Jährigen, sondern auch ein Problem.

Löw kann sich Sané-Verzicht nicht mehr leisten

Erkundigt man sich vor dem ersten Post-WM-Länderspiel gegen Weltmeister Frankreich am Donnerstag in der neu gegründeten Nations League (20.45 Uhr/ZDF) nach Sané, bekommt man hinter vorgehaltener Hand zu hören: „Seine Einstellung war das Problem.“ Sané soll in Südtirol ein eigenwilliges Leben geführt haben. Wenn Frühstück bis 11 Uhr war, kam er fünf vor. Wenn es im Training darum ging, sich seinen Platz zu erstreiten, wirkte er lustlos bis überheblich. Noch in Eppan soll Löw das Gespräch mit ihm gesucht haben. Es blieb ohne Wirkung. „Leroy ist richtig gut, wenn er beißt. Wenn nicht, spielt man mit zehn Mann“, sagt einer, der dabei war. Auch in der Mannschaft soll es deshalb einflussreiche Spieler gegeben haben, die sich gegen Sané aussprachen. Löw selbst sagte bei seiner WM-Analyse vor einer Woche: „Leroy hat bei uns nicht diese überzeugenden Leistungen gebracht, auch nicht im Trainingslager.“

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Aber Löws ist jetzt in einer schwächeren Position als vor der WM. Er weiß, dass er sich nicht mehr leisten kann, auf Sané zu verzichten. Die Bundesliga und ihre Nachwuchszentren spülen ihm kaum solche Spielertypen in die Nationalelf. Er muss jetzt das sein, was gute Trainer sind: Persönlichkeiten, die auch komplizierte Charaktere hinbekommen. Noch in Eppan habe er nach der Kaderentscheidung zu Sané gesagt, erzählte Löw: „Deine Zukunft in der Nationalelf muss nach der WM beginnen. Wir müssen uns intensiv mit dir und deiner Spielweise beschäftigen. Und dann kannst du ein sehr wichtiger Spieler für uns in den nächsten Jahren werden.“ Nach Informationen dieser Zeitung gab es nun vor der ersten Länderspielreise ein weiteres Gespräch zwischen beiden. „Jetzt kommt deine Zeit, aber du musst die Chance nutzen“, soll der Bundestrainer gesagt haben.

Nationalelf-Debüt im November 2015

In Löws Zukunftsvision für den abgestürzten Ex-Weltmeisters steht die stabilisierte Defensive im Vordergrund. Er will nun nicht mehr mit möglichst vielen Spielern angreifen, sondern bei starken Gegnern vorgehen wie die Franzosen: Eine kompakte Abwehr bildet die Grundlage für Offensivfußball, für den zukünftig verstärkt drei bis vier Spieler zuständig sein sollen wie Mbappé, Antoine Griezmann und Olivier Giroud bei der Équipe Tricolore. Neben Timo Werner in der Sturmspitze könnten das im DFB-Team Marco Reus und eben Sané auf den Flügeln sein. Da kommen die Meldungen aus England nicht gerade zur passenden Zeit. Am vergangenen Spieltag strich ihn Trainer Pep Guardiola aus dem Kader von Manchester City. Wieder Einstellungsprobleme, hieß es. Ohnehin war der Angreifer in dieser Saison bisher nur Einwechselspieler. Ilkay Gündogan, der mit ihm bei City zusammenspielt, hat schon in der Vergangenheit durchblicken lassen, dass Sané bisweilen angetrieben werden muss. Nun sagte er im Gespräch mit dieser Zeitung: „Leroy läuft gerade ein bisschen seinem Selbstvertrauen hinterher. Aber wenn er das wiederfindet, wird er in Manchester und der Nationalelf bald eine wichtige Rolle einnehmen.“

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Leroy Sanés Nationalelfkarriere begann bei einem Spiel gegen Frankreich. Bei der von Terroranschlägen in Paris überschatteten Testpartie im November 2015 gab er als 19-Jähriger sein Debüt. Nun geht es erneut gegen Frankreich. Es ist das Land, in dem Sanés Vater, der Ex-Bundesligaspieler Souleymane Sané, aufwuchs und seinen Militärdienst absolvierte, weshalb auch Sohn Leroy den französischen Pass besitzt. Gegen den Weltmeister soll seine Nationalelfkarriere nun noch einmal neu beginnen – als Problemlöser, nicht als Problem.