Sotschi. Der Viertelfinalsieg über WM-Gastgeber Russland war ein Kraftakt für Kroatien. Doch Modric und Co. sind bereit für den großen Coup.

Weit nach Abpfiff schien Luka Modric immer noch zu schnaufen. Der kleine Modric, was war er gerannt. Dieser große Fußballer, wie hatte er schon wieder gekickt. Jetzt nippte er an einem isotonischen Drink und wirkte so, als würde er nicht mal mehr einen geraden Satz herausbekommen. Seine Miene erhellte sich dann jedoch schnell zu einem breiten Grinsen, als gleich zuerst die Frage kam, die er nun schon so oft in diesen Tagen gehört hat: Ob nicht er mal Weltfußballer werden sollte?

Modric schmeichelt die Frage, aber in seinem Grinsen ließ sich auch ein gewisses Amüsement darüber ablesen, wie manche in so einer Nacht als erstes über die Fußball-Oscars sprechen können. „Das ist mir vollkommen egal“, sagte er und nippte an seinem Drink. „Für mich zählt nur der Erfolg Kroatiens.“

Rakitic: "Mehr als Helden"

So brillant er gegen Russland wieder dirigiert hatte, so heroisch Torwart Danijel Subasic trotz Muskelverletzung bis zum Elfmeterschießen durchhielt, so eiskalt Ivan Rakitic wie schon im Achtelfinale gegen Dänemark den letzten Strafstoß verwandelte – wer in diesem Team großer Könner einen Hang zum Individualismus sucht, wird ihn kaum finden.

Das Kroatien von 2018 mag nicht mehr so patriotisch aufgeladen sein wie die Vorgänger von 1998, die wenige Jahre nach Ende des jugoslawischen Bürgerkriegs das Halbfiale erreichten und damit bis heute „mehr als Helden“ sind, wie Rakitic sagte. Aber es finden sich in ihm immer noch Biographien wie die von Modric, dessen Familie 1991 aus dem Ort Jasenice floh, während sein Großvater dort von serbischen Freischärlern ermordet wurde. Die Geschichte schweißt zusammen, außerdem ist Kroatien mit seinen 4,2 Millionen Einwohnern sowieso ein kleines, familiäres Land. Oder wo sonst geben Nationalspieler schon während einer WM-Partie das Freibier für die Heimatstadt aus wie Mario Mandzukic für das Public Viewing in Slavonski Brod?

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„Für jeden von uns ist die WM das allergrößte, wir wollen jede Minute genießen“, betonte Rakitic mehrfach, und wer das nicht so sieht, der wurde nach Hause geschickt wie Stürmer Nikola Kalinic, der im Eröffnungsspiel die Einwechslung verweigerte. Die Probleme deshalb sind beachtlich, für Mandzukic gibt es im Sturmzentrum keine Alternative, und der Ex-Münchner war nicht der einzige, der sich in der zweiten Verlängerung binnen einer Woche nur unter Krämpfen auf den Beinen hielt. Warum Kroatien seine überlegene Klasse binnen der regulären 90 Minuten erneut nicht entscheidend ausspielen konnte, das will man nun analysieren. Spontan jedoch, fand Modric, „schmeckte es so nur noch süßer“. Als erste Mannschaft seit Argentinien 1990 hat Kroatien jetzt bei derselben WM zwei Elfmeterschießen gewonnen. Glück, sagte Assistenztrainer Ivica Olic, der Ex-Bundesligaprofi, der zugab, vor Aufregung während des Shootouts lieber weggeschaut zu haben. Aber vielleicht auch ein bisschen mehr als Glück. „Modric und Co wissen genau, dass es für diese Generation die letzte Chance ist. Sie werden auch in den nächsten Spielen alles aus sich herausholen.“

"Das Heute zählt"

32 Jahre alt sind Modric und Mandzukic, 30 ist Rakitic, 33 Subasic – und „endlich haben sie geschafft“, lachte Verbandspräsident Davor Suker, die Galionsfigur der 1998er. „Die Vergangenheit ist egal, das Heute zählt. Ich sehen in ihren Augen, dass sie bereit sind“. Sie machen es allerdings auch so spannend, dass Suker in der Verlängerung erst mal einen Wodka hinunterkippen musste, wie er verriet: „Für das Herzen“.

Der joviale Ex-Star war nach Spielschluss so ubiquitär wie Modric auf dem Platz, ein gutes Beispiel für eine Delegation, die sich hier zugänglicher präsentiert als jede andere Spitzenmannschaft. Dass sie ihre Heimat so stark fühlen und Spieler wie Innenverteidiger Dejan Lovren in der Kabine nationalistische, kriegsverherrlichende Rockmusik hören, wie ein Video nach dem Sieg über Argentinien zeigte, schließt sich bei den Kroaten nicht mit Weltläufigkeit aus – bei ihnen gibt es kaum eine Sprache, die keiner kann, kaum ein Land, in dem nicht irgendwer mal gespielt hätte. Und so verplappert man sich halt schon mal, wie Domagoj Vida auf einem Videoclip, in dem er den Sieg über Russland „der Ukraine zu Ehren“ widmete, wo er jahrelang bei Dynamo Kiew kickte.

„Nur ein Witz“, beeilte sich Vida zu erklären. Denn die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine sind kriegsähnlich, und weil die Fifa auf Politisierung so gar nicht steht, ermittelt sie jetzt. Eine Sperre für das Halbfinale gegen England scheint zwar unwahrscheinlich. Aber einfacher machte es der Innenverteidiger mit der blonden Mähne über ausrasierten Schläfen und dem manchmal etwas irren Blick, der mit seinem Tor zum 2:1 und einem verwandelten Elfmeter geglänzt hatte, den Kroaten natürlich nicht. Einfach allerdings scheint diese Mannschaft auch nicht zu können.