Sotschi. Die Schwäche des 31-Jährigen zeigt: Dem deutschen Kader fehlt ein Sechser in klassischer deutscher Prägung. Wer spielt gegen Schweden?

Dass die Schweden forsch und frech sein können, erlebte Sami Khedira, als er noch gar nicht damit rechnete. Direkt am Trainingsplatz lauerte ihm ein schwedischer Boulevard-Journalist mit einer kleinen Provokation auf: Flugtickets. Von Sotschi nach Berlin. Ausgestellt für Samstag, 23 Uhr. „Weißbier am Bord“, sah die Eigenanfertigung in holprigem Deutsch noch als Verpflegung vor. Um die Enttäuschung herunterzuspülen vermutlich.

Khedira stoppte den gegnerischen Angriff elegant: „Ich denke, die brauchen wir erst am 16. Juli.“ Dem Tag nach dem Finale der WM.

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    Das wirkt beachtlich optimistisch, schließlich ist es ja tatsächlich so, dass das deutsche Vorrunden-Aus schon am Samstagabend nach dem Spiel gegen die Schweden (20 Uhr / ARD live) besiegelt sein kann.

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    Schuld daran ist die vermaledeite 0:1-Niederlage zum Auftakt gegen Mexiko, bei der die Deutschen eine ur-deutsche Fähigkeit vermissen ließen: gegnerische Angriffe zu stoppen. Zuständig eigentlich auch da: Sami Khedira.

    „Ich habe kein Problem damit, persönliche Kritik anzunehmen“, sagt er, als er sich erstmals zu seiner Leistung äußert. „Ich weiß selber, dass ich kein gutes Spiel gemacht habe.“

    Wie soll es gegen Schweden besser werden?

    Khedira war der, der vorne den Ball verlor, kurz bevor hinten das entscheidende Tor fiel. Dabei soll er im deutschen Mittelfeld der sein, der hinter dem steht, der den Ball verliert. Die Absicherung. So etwas wie das defensive Regulativ, das Toni Kroos aufgrund seiner etwas zweikampfscheuen Art eher nicht ist. Gegen Mexiko funktionierte das überhaupt nicht. Und die Frage ist, wie es gegen Schweden besser werden soll.

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    Die Schwäche Khediras zum Auftakt und die Frage nach Aussicht auf Besserung legt auch eine Unwucht im deutschen Kader offen. Denn Deutschland ist nicht nur immer ein Land von herausragenden Torhütern und gleisharten Verteidigern gewesen, sondern auch von arbeitsamen Sechsern.

    Typen, die das erledigen, wofür sich Ästheten wie Kroos und Mesut Özil zu oft zu fein sind. Das klingt gehässiger als es ist. Jeder hat seine Stärken. Bei Real Madrid hält der Brasilianer Casemiro Kroos den Rücken frei.

    Sechser gesucht

    Aber wo ist der Sechser, der das deutsche System verlässlich gegen unliebsame Angriffe abschirmt? Der hinter dribbellustigen Abenteurern den Sinn für das Wesentliche behält? Die Rolle im Zentrum des Spiels hat sich verändert. Sie ist anspruchsvoller geworden. Nur mit Laufen und Treten schafft es niemand mehr in den erlesenen Zirkel des Ästhetik-Freundes Joachim Löw – und das ist auch gut so.

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    Aber jemanden, der dynamische Entschlossenheit und Kopfballstärke mit bestem Spielverständnis und mindestens ordentlicher Ballbehandlung paart, würde sich womöglich auch der Bundestrainer gerade wünschen. Aber schnitzen kann er sie sich ja nicht. Das hat ja schon bei Linksverteidigern nicht geklappt.

    Leon Goretzka? Ist ein besserer Achter. Ilkay Gündogan? Eher ein Stratege wie Kroos. Sebastian Rudy ebenso. Der spielt bei Bayern München, wo sie Javier Martinez für all das haben. Selbst ein Spitzenklub wie Borussia Dortmund fand für die vergangene Saison keinen Spieler, der Unbefugten den Zutritt zur gefährlichen Zone unmissverständlich untersagt.

    Beim Champions-League-Finalisten FC Liverpool übernahm den Job Emre Can. Zur WM lud ihn Löw nicht ein – auch weil dieser an Rückenproblemen litt. Can absolvierte bereits den für einen Wechsel obligatorischen Medizincheck. Beim italienischen Meister Juventus Turin. Bei Khediras Klub.

    "Dann brauchst du Usain Bolt, um die Räume zuzulaufen"

    Aber für Khedira geht die Diskussion um einzelne Personen am Kern vorbei. „Du kannst auch die ganze Mannschaft auswechseln: Wenn wir mit dem gleichen Konstrukt, mit der gleichen Einstellung und der gleichen Intensität wie gegen Mexiko spielen, dann hat jeder Probleme“, sagt er im Hinblick auf den bisher vogelwilden Auftritt der Nationalelf in Russland. „Dann brauchst du Usain Bolt, um im Mittelfeld die Räume zuzulaufen. Das sind wir aber nicht. Das können wir vielleicht einmal schaffen, aber nicht zehnmal“, monierte er die großen Abstände zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen.

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    Kompakter müssten sie stehen, intelligenter vorgehen, „wir haben fast wie Schuljungen gespielt“, sagt Khedira und wirkt nun fast wieder wütend über die deutschen Unzulänglichkeiten. Und seine. „Das ist der Vorwurf, den wir uns machen müssen, den ich mir machen muss: Wir haben nicht reagiert, haben keine Lösung gefunden.“ Mexiko überrannte die deutsche Elf und selbst der erfahrene Khedira schaffte es nicht, aus der Mitte des Spiels heraus regulierend einzugreifen. Indem er die Kollegen zurechtwies. Oder sein eigenes Spiel anpasste.

    Möglich, aber keinesfalls sicher, dass ihn das seinen Platz in der Startformation kostet. Goretzka scheint noch der wahrscheinlichste Erbe. „Diese Mentalität von elf Kriegern, die müssen wir wieder hinbekommen“, sagt Sami Khedira noch. Fürs Erste würde allerdings einer schonmal reichen.