Watutinki. Gegen Schweden am Samstag droht der deutschen Mannschaft bereits das Aus. Bundestrainer Joachim Löw steckt im Dilemma.

Im Birkenwald von Watutinki wogen am Montag die Wipfel im Wind vor dem deutschen WM-Teamquartier. Man konnte ihnen dabei fast zuhören. Denn dieser Ort, an dem sich sonst Hunderte Reporter tummeln, war nahezu leer. Jedes Pfeifen im Walde war zu vernehmen. Und davon gab es viel nach dem schlimmen 0:1 der deutschen Elf gegen Mexiko.

Die Auftaktpleite warf die Frage auf, ob es sich hier nur um eine schmerzhafte Niederlage handelt, oder ob darin die Ahnung steckt, dass die von acht Weltmeistern in der Startelf getragene Mannschaft ihren Zenit schon überschritten hat. Bundestrainer Joachim Löw empörte dieser Gedankens: „Unser Gerüst verfügt über eine hohe Qualität, auch wenn man das diesmal vielleicht nicht gesehen hat“, entgegnete der 58-Jährige, nachdem er darauf hingewiesen wurde, dass Gerüst-Spieler wie Sami Khedira (31) und Jerome Boateng (29) gegen die Mexikaner auf Kriegspfad so ungelenk wirkten, wie alte Cowboys nach einem langen Ausritt, die jemand in einen Hinterhalt gelockt hatte.

Löw appellierte vielmehr: „Wenn wir die Dinge gut machen, wie wir können, haben wir immer die Fähigkeit, Spiele zu gewinnen“, sagte er. „Es gibt Widerstände in einem Turnier. Das weiß man. Wir müssen unsere Lehren daraus ziehen“, so Löw. Nur Pfeifen im Walde, um die Angst vor dem frühen Aus zu vertreiben, oder Überzeugung?

Deutschland macht die Schotten dicht

Leer war die „Sportschule“ (Löw) Watutinki, weil der DFB am Montag eilig eine Pressekonferenz mit dem Weltmeister-Kapitän von 2014 Philipp Lahm wieder absagte. Krisenmodus an, Schotten dicht. Am Dienstag reist Löws Team nach Sotschi, wo es am Sonnabend im zweiten Gruppenspiel auf Schweden treffen wird (20 Uhr/ARD). Schwarzes Meer statt Häusermeer von Moskau. Im Badeort sollte eigentlich eine Erholungsphase beginnen, nun muss Löw dort einen Kurswechsel vornehmen. Und er steckt dabei in einem Dilemma.

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    Löw führt eigentlich zwei Teams: die Weltmeister um Khedira, die schon seit der WM 2010 den Kern bilden, und die Generation Sotschi. Jene Spieler, die vor einem Jahr vom Schwarzen Meer aus den Confed Cup gewannen wie Leon Goretzka. Es ist eine Mannschaft im Übergang, nur hatte Löw nicht erwartet, dass der Übergang schon während dieser WM notwendig werden könnte. Was aber passiert, sollte Löw den gegen Mexiko indisponierten Khedira nun aus der Startelf nehmen und Goretzka hinein? Khedira ist durchaus interessiert an der Macht. Opfert Löw einen seiner Lieblingsspieler, könnte die Stimmung im Teil eins seiner Elf, dem der Weltmeister, kippen.

    Joachim Löw braucht jetzt einen Plan B

    Aber Löw braucht jetzt einen Plan B, nachdem er schon gegen die Mexikaner keinen parat hatte. Er kann nicht nichts tun. Wie ausrechenbar diese deutsche Mannschaft geworden ist, zeigte eine Aussage von Mexikos Trainer Juan Carlos Osorio: „Wir hatten einen Matchplan, den haben wir bereits vor sechs Monaten aufgestellt, schnell über Außen zu kommen“, sagte er.

    Löw beorderte etwa den Rechtsverteidiger Joshua Kimmich nicht zurück, der vorn munter weiter stürmte, während hinten über seine Seite die mexikanischen Beutezüge liefen. Die als Flügelstürmer agierenden Außenverteidiger waren eine Reaktion Löws darauf, dass seine Elf nach der EM 2016 zu wenige Offensiv-Lösungen gegen tief stehende Gegner gefunden hatte. Nun scheint es, als bilde diese Maßnahme das Lindenblatt aus der Nibelungensage, das den von seiner Unverwundbarkeit überzeugten Weltmeister verwundbar macht. Löw sieht das anders: „Wir hatten Ballverluste, die man sonst von der Mannschaft nicht kennt“, erklärte er.

    Aber bereits in den Testspielen gegen Österreich (0:1) und Saudi-Arabien (2:1) hatte man Ähnliches gesehen. Obwohl das Team seit drei Wochen zusammen ist, gibt es immer noch keine Abhilfe.

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      Deutschland benötigt erstmal Sicherheit

      Etwas fehlt, um wirklich wieder ein Titelkandidat zu sein – und zwar erst einmal Sicherheit. Deutschland braucht einen neuen Stabilitätspakt wie 2014, als man nur vier Gegentore in sieben WM-Spielen kassierte und auch deshalb Weltmeister wurde. Wer Löw kennt, der weiß, dass er nicht zu Impulshandlungen neigt. Er wird keine radikalen Änderungen vornehmen. Aber vielleicht braucht es das auch gar nicht. Denkbar wäre die Umstellung auf eine Dreierkette in der Abwehr, die seit der EM 2016 zum Repertoire gehört. Ein Verteidiger mehr im Zentrum – Niklas Süle, Matthias Ginter oder Antonio Rüdiger – könnte den Kontrollverlust beheben. Aber dafür müsste auch ein Offensivspieler weichen.

      Marco Reus ist so einer. Gegen Mexiko wurde er nur eingewechselt, zeigte dann aber, dass Löw ihn besser von Beginn an gebracht hätte. Er habe von seiner Reservistenrolle schon im Trainingslager erfahren, erzählte Reus, „weil wir davon ausgehen, dass das Turnier sehr lange geht“ und er „vor allem in den wichtigen Spielen“ gebraucht würde. Das klang schon arg nach Hybris.

      Ein extrem wichtiges Spiel steht nun gegen Schweden an. Nach dem Sieg der Skandinavier gegen Südkorea am Montag (1:0) könnte Deutschland bei einer weiteren Pleite schon aus dem Turnier fliegen, nämlich dann, wenn Mexiko gegen Südkorea mindestens einen Punkt holt. Das wäre nichts weniger als eine Sensation, die auch die Ära-Löw beim DFB beenden könnte.