Eppan. Leroy Sané ist 100 Millionen Euro wert, aber bei der WM darf er nicht spielen. Der Ex-Schalker konnte Bundestrainer Joachim Löw nicht überzeugen.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass irgendwann gegen Ende dieses Jahrhunderts die Amtszeit von Joachim Löw als Bundestrainer enden sollte, dann wäre ihm mindestens ein Job im Privatfernsehen durchaus auch zuzutrauen. Zumindest theoretisch. Fotos an Modelanwärterinnen könnte er vergeben oder Rosen an liebestolle Mittzwanzigerinnen. In diesen Formaten werden ja auch Kandidaten nach Hause geschickt – und auch dort liegt die Entscheidungsverkündung am Ende einiger Theatralik.

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Löw wusste natürlich, was es auslösen würde, wenn er diesen Namen nennen würde. Also nannte er ihn zuletzt. Aus dem Kader für die Fußball-WM in Russland (14. Juni bis 15. Juli) werden gestrichen: Bernd Leno, Jonathan Tah, Nils Petersen und – bei Heidi Klum hätte es jetzt noch eine bedeutungsschwere Pause gegeben - Leroy Sané.

Zum Zeitpunkt der mittäglichen Verkündung waren die betroffenen Spieler bereits von schwarzen Limousinen aus dem Mannschaftshotel in Eppan abgeholt und zum Flughafen Bozen gebracht worden. Abreise. Aus der Traum. „Die Enttäuschung bei den Betroffenen ist sehr, sehr groß“, berichtete Löw nach den persönlichen Unterredungen in seinem Trainerzimmer: „Es ist so, als wenn man beim Check-in am Schalter steht auf dem Flug nach Moskau und darf am Ende nicht in die Maschine einsteigen."

Löws Aussortierte hinterließen Botschaft in der Chatgruppe

Die vier Spieler hinterließen aber laut Mannschaftskapitän Manuel Neuer noch eine Abschiedsbotschaft in der Chatgruppe der Mannschaft: „Sie drücken uns die Daumen und hoffen, dass wir mit dem Pokal zurück kommen. Daran sieht man den Charakter der Spieler.“

Während sich Leno, Tah und Petersen aus dem Kreis derer rekrutierten, die als Streichkandidaten hoch gehandelt wurden, geht mit Sané einer, dessen Nicht-Nominierung mehr als überrascht. Sané ist gerade zum besten jungen Spieler der mit Stars gespickten englischen Premier League gewählt worden. Unter Star-Trainer Pep Guardiola gewann er mit Manchester City die Meisterschaft, schoss 14 Tore, gab 19 Vorlagen und wurde spätestens bewundert, als die englische Presse – hoch wissenschaftlich belegt natürlich – herausfand, dass er schneller sprinten kann als ein Tyrannosaurus Rex. All das schraubte Sanés Marktwert nahe an die 100-Millionen-Marke. Löw strich seinen teuersten Spieler dennoch.

„Leroy hat ein riesiges Talent. Absolut. Er wird auch wieder dabei sein. Ab September werden wir wieder mit ihm arbeiten. Bei der Nationalmannschaft war er bisher noch nicht so ganz angekommen“, sagte Löw und trat sogleich einem naheliegenden Urteil entgegen: „Leroy hat sich abseits des Platzes sehr korrekt verhalten.“

Ins Trainingslager reiste Sané mit neuer Frisur: Rastazöpfchen statt Afrolook. Er lachte viel und laut beim Training. Sportlich überzeugte der 22-Jährige zum wiederholten Male nicht, als er gegen Österreich (1:2) einen Ball nach dem nächsten herschenkte und Angriffe nicht zielgerichtet genug abschloss. Löw trieb das schon während des Spiels in die Verzweiflung. Gegen Brasilien (0:1) im März war es ähnlich gewesen. Anschließend sagte Löw verständnisvoll, aber auch ungewohnt offensiv: „Leroy hat bei Manchester gute Fortschritte gemacht. In der Nationalmannschaft herrscht noch eine andere Situation, da ist noch ein anderer Druck. Vielleicht schießt er nicht so schnell in die Höhe, wie manche denken.“

"Sané braucht manchmal einen Tritt in den Allerwertesten"

Ein gewisser Argwohn schwingt in diesem Satz mit. Und es erscheint zumindest nicht ausgeschlossen, dass Löw Sané zwar für einen hoch begabten Fußballer hält, der aber seine Fähigkeiten zumindest in der Nationalelf bis jetzt nicht einzusetzen vermag und eher nicht zu einem guten 12. bis 18. Mann im WM-Kader taugt.

„Wir haben uns die Entscheidung nicht einfach gemacht“, sprach Löw, Experte für atmosphärische Hygiene, ganz allgemein und berichtete, dass Eindrücke aus aus den derzeitigen Einheiten im Trainingslager in Eppan/Südtirol, aus den vergangenen Länderspielen und dem Confed-Cupherangezogen worden seien. Danach hätten sie die „Entscheidung getroffen, das große Ganze zu sehen“. Sané hatte seine Teilnahme am Confed-Cup im vergangenen Sommer wegen einer bis dahin aufgeschobenen Nasen-Operation abgesagt. Der Bundestrainer soll darüber durchaus verärgert gewesen sein. In der übrigen freien Zeit des Sommers ließ sich Sané ein großflächiges Bild von Leroy Sané auf den Rücken tätowieren.

Als der Flügelspieler dann zurück nach Manchester kam, bestach er nicht durch den Wunsch, seinem Trainer zuzuhören. Guardiola ließ ihn zu Beginn der Saison nicht spielen, bis Sané verstanden hatte, worum es ging. Klub- und Nationalmannschaftskollege Ilkay Gündogan berichtete jüngst, dass Sané „manchmal einen Tritt in den Allerwertesten braucht“. Als Weckruf. Als Ermahnung, dass es für einen, der Großes erreichen will, wichtig ist, auch im Kleinen richtig zu handeln.

Das am Montag, das war so ein Weckruf. Ein schmerzhafter.